Stadtwald RheinbachCDU und Grüne wollen mehr wilden Forst – Experten raten ab
Rheinbach – Die zuständigen Fachleute waren strikt gegen das Vorhaben, doch das hielt CDU und Grüne im Rheinbacher Ausschuss für Umwelt und Mobilität nicht davon ab, ein Fünftel des Stadtwaldes künftig aus der Bewirtschaftung herauszunehmen und ganz der Natur überlassen zu wollen.Auch nach zwei Sitzungsunterbrechungen war die Ratsmehrheit nicht bereit, einen Antrag so zu modifizieren, wie es Stadtförster Sebastian Tölle und der Leiter des Regionalforstamtes Rhein-Sieg-Erft, Stephan Schütte, gefordert hatten: „Lassen Sie das, das macht fachlich keinen Sinn!“
CDU und Grüne beauftragten gegen die Stimmen von SPD, FDP und UWG das Forstamt, mehrere Ziele im Stadtwald umzusetzen. Unter anderem sollen alternative Förderung- und Finanzinstrumente erschlossen und die Kosten für Reparaturen von Fahrschäden auf den Wegen durch die Forstwirtschaft gemindert werden.
Naturschützer sind dafür, Opposition lehnt Vorgehen ab
Rückendeckung erhalten sie von Naturschutzvereinigungen in der Region. Politische Gegner werfen CDU und Grünen vor, der Bevölkerung den Zugang zum Wald zu versperren. Tölle und Schütte waren nicht einverstanden mit dem Wunsch, 20 Prozent des Stadtwaldes – 160 Hektar - aus der Bewirtschaftung herauszunehmen, bevorzugt in den FFH- und Naturschutzgebieten.
Als Argument führten CDU und Grüne an, der Stadtwald mit seinen mehr als 800 Hektar Fläche diene verschiedenen Zwecken. Freizeit, Erholung und Tourismus, Forstwirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz hätten allesamt ihre Daseinsberechtigung, doch angesichts des Klimawandels wolle Schwarz-Grün künftig den Aspekt des Umwelt- und Klimaschutzes stärker akzentuieren. Die Zonen mit Flächen ohne jegliche Nutzung, FFH- und NSG-Schutzgebieten und Arealen ohne Schutz seien ein guter Kompromiss.
277.000 Hektar Waldfläche vor Aufforstung
Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) schätzt, dass in Deutschland 277.000 Hektar Waldfläche aufgeforstet werden müssen.
Ein Forscherteam aus Informatikern der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) untersucht derzeit, ob speziell angefertigte Drohnen dazu einen Beitrag leisten können. Im Projekt Garrulus bauen die Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Alexander Asteroth den Prototypen eines unbemannten Luftfahrzeugs (UAV), das in der Lage ist, neues Saatgut an geeigneten Stellen auszubringen. Normalerweise werden Setzlinge in Baumschulen angezogen, bevor sie in der Natur eingepflanzt werden.
Forstwirtschaftlich betreut wird das Projekt vom Zentrum für Wald und Holzwirtschaft in Arnsberg. Rund 320.000 Euro gab das NRW-Umweltministerium als Förderung. (Bir)
Da niemand wisse, wie der Wald am besten fit für den Klimawandel zu machen sei, empfehle es sich, mehrere Strategien anzuwenden. So solle einem Teilbereich der Natur die Chance geben werden, sich selbst zu heilen. Die Besucher hätten in den kommenden Jahrzehnten die Gelegenheit, einen „Urwald im Werden“ zu erleben. Zumal auch bei Verzicht auf eine traditionelle Bewirtschaftung Erträge erzielt werden könnten, etwa durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten, „Waldaktien“ oder dem Einwerben von Fördergeldern und Spenden.
Regionalförster Schütte: Klimawandel in Rheinbach angekommen
Stephan Schütte bestätigte, dass auch in Rheinbach der Klimawandel voll angekommen sei, nicht zuletzt mit den heißen und trockenen Jahren von 2018 bis 2020. Die Hälfte der Fichten in Nordrhein-Westfalen sei tot, und auch die Buche sei stark geschädigt, Schütte: „Die sehen im Stadtwald nicht gut aus.“ Dennoch könne die Stadt sich den Verzicht auf Holznutzung nicht leisten, „sonst wird es aus fernen Ländern importiert, und das ist noch weniger nachhaltig.“
Außerdem bedeute Wildnis nicht gleich mehr Artenvielfalt, denn auch im naturnah bewirtschafteten Wald, wie das in Rheinbach der Fall sei, gebe es eine große Artenvielfalt, wenn auch etwas geringer. Schütte war überzeugt: „Ein standortgerechter Mischwald hilft gegen Klimawandel.“
Ohnehin seien die Bestrebungen, einen Teil des Waldes sich selbst zu überlassen, veraltet. Das sei in einer Zeit entstanden, in der nur die Ökologie im Vordergrund gestanden habe und Klimawandel kaum berücksichtigt worden sei. Zudem hätten mehr als 40 Jahre naturgemäße Waldwirtschaft im Rheinbacher Stadtwald zu einem überdurchschnittlich hohen Laubwaldanteil geführt, der für die Besucher einen sehr hohen Erholungswert besitze.
Abgesehen davon seien die 113 Hektar Traubeneiche-Saatgutbestand von bundesweiter Bedeutung. In einem sich selbst überlassenen Wald, so Stadtförster Tölle, könne sich auf Dauer kein Baum halten, weil sich die Brombeeren durchsetzen würden. Die von CDU und Grünen geforderten 160 Hektar seien jedenfalls fachlich nicht zu vertreten.
Opposition wirbt für Fortentwicklung des Status Quo
So sah es auch Dieter Huth (UWG): „Wir lassen den Wald so wie er ist. Der ist voll und ganz klimaschutztauglich.“ Auch Martina Koch (SPD) plädierte dafür, die Förster weiterhin ihre Arbeit im Stadtwald machen zu lassen, zumal sich selbst überlassene Waldstücke aus Sicherheitsgründen vermutlich für Erholungssuchende gesperrt werden müssten.
Lorenz Euskirchen (FDP) fügte hinzu: „Wir haben einen funktionierenden, naturnahen, wunderbaren und standortgerechten Wald. Wenn wir das von der Politik ändern würden, würde das zu einem großen Aufstand in Rheinbach führen.“ Er warnte davor, aus ideologischen Gründen den Antrag gegen die Meinung der Fachleute durchzupauken.
Doch das ließ Markus Pütz (CDU) nicht gelten: Die Kreisgruppe des BUND habe den Antrag im Vorfeld ausdrücklich begrüßt und unterstützt, denn er helfe mit, die Ziele der Biodiversitätsstrategie umzusetzen. „Es lohnt, der Natur zu vertrauen und ihr nennenswerte Teilflächen als ungestörten Entwicklungsraum zu überlassen“, heißt es darin. Das trage zur Kohlenstoffbindung und damit zum Klimaschutz bei, wie ohnehin aus Klimaschutzgründen eine weitgehende Stilllegung aller Forstflächen optimal wäre. Doch da dies im Widerspruch zum Holzbedarf stehe, seien Mischlösungen zu bevorzugen.
BUND und Nabu spenden Beifall
Am Dienstag erklärte der BUND-Kreisvorsitzende Achim Baumgartner, der Beschluss sei ein wichtiger Schritt „hin zu einer verantwortungsvollen Waldpolitik in Rheinbach“. Die Entscheidung sei zukunftsweisend und vorbildhaft.
Der BUND betonte zudem, die Wege und die Verkehrssicherung seien von einer Stilllegung der Holznutzung nicht betroffen: „Wer dies behauptet, schürt wider besseren Wissens Ängste, die objektiv unbegründet sind.“ Der Wald vor der Haustüre werde noch lebendiger und Spaziergänge dort lohnten sich mehr denn je. Baumgartner appellierte dringend an die Kritiker des Beschlusses, „zwischen forstlicher Lobbypolitik und naturwissenschaftlichen Fragen sauber zu unterscheiden“.
Die Nabu-Kreisgruppe Bonn hatte zur Sitzung unterstrichen, dem Rheinbacher Stadtwald fehle trotz seiner enormen Standortqualität ein Teil, in dem über lange Zeit eine selbst erzeugte Abfolge von Erneuerung und Zerfall zugelassen werde. „Deshalb bleibt die Artenvielfalt auch dieses hochwertigen kommunalen Waldlebensraumes vor unserer Haustür leider bruchstückhaft“, heißt es in einer Stellungnahme. Einen Teil des Waldes aus der forstlichen Nutzung zu nehmen, sei „ein wertvoller Beitrag, dem dramatischen Artensterben in unserer Natur endlich entschlossen entgegenzuwirken.“