Die AfD nutzt ihr Umfragehoch und will einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen. Eine Regierungsbeteiligung im Bund ist zwar auf lange Sicht eine Illusion, aber es geht um einen „Führungsanspruch“, sagt Parteichefin Alice Weidel. Und bringt sich bereits selbst ins Spiel.
„Natürlich habe ich Lust“AfD-Vorsitzende Weidel kann sich Kanzlerkandidatur vorstellen
AfD-Parteichefin Alice Weidel hat Anspruch auf den Posten als AfD-Kanzlerkandidatin erhoben. „Natürlich habe ich Lust“, sagte sie in einem Interview mit „Welt TV“, „andere haben aber auch Lust“. Die Partei werde im Laufe des Jahres 2024 in einer Mitgliederumfrage oder auf einem Parteitag über die Kandidatur entscheiden. Erst am Mittwoch hatte Weidel angekündigt, dass die AfD erstmals einen eigenen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin aufstellen werde.
„Unsere Umfragewerte verpflichten uns, einen Führungsanspruch herzustellen“, sagte Weidel zur Begründung. Die AfD wolle sich nicht auf Dauer in der Opposition einrichten. „Wir sind angetreten, einen Regierungsanspruch umzusetzen, erst in den Ländern, dann im Bund“. Dieser „Führungsanspruch“ und vor allem die anstehenden Landtagswahlen in den drei AfD-Hochburgen Brandenburg, Sachsen und Thüringen 2024 sind anscheinend auch die eigentlichen Beweggründe für Weidels Offensive.
Björn Höcke strebt keine Kanzlerkandidatur an
Mit dem Anspruch auf eine Kanzlerkandidatur löst die AfD das Kapital ihres aktuellen Umfragehochs ein und festigt den Anspruch als Hauptgegner der Regierungsparteien in Ländern und Bund. Im komplizierten Binnenverhältnis der AfD, insbesondere zwischen Parteichefin Weidel und dem Thüringer Landeschef Björn Höcke, erfüllt es noch einen zweiten Zweck: Einerseits stützt der Anspruch auch Höckes Landtagswahlkampf - andererseits nimmt der Zeitplan der Kandidatenkür ihn für die Bundesebene aus dem Spiel.
„Herr Höcke wird in den Landtagswahlkampf in Thüringen gehen und wird wegen des hervorragenden Ergebnisses auch dort einen Führungsanspruch anmelden - und dort bleiben“, sagte Weidel am Donnerstag in die Kameras. Zwar hat sich die AfD stets weiter radikalisiert, ist ihr verbliebenes bürgerliches Lager nach dem Austritt von Ex-Parteichef Jörg Meuthen führungslos - aber ein Björn Höcke wäre vermutlich auch 2024 bundesweit in der AfD nicht vermittelbar.
Weidel hat starken Rückhalt in Parteibasis
Weidel hat in der Parteibasis traditionell einen sehr starken Rückhalt, in ihrem zerstrittenen Landesverband Baden-Württemberg jedoch weniger. Seit Monaten kursieren Gerüchte, ihre Parteifeinde im Südwesten wollten ihre Nominierung für die Landesliste für die nächste Bundestagswahl torpedieren. Wenn sie sich jetzt bereits als Kanzlerkandidatin ins Spiel bringt und innerparteilich Rückhalt erhält, könnte solch ein Putsch in sich zusammenfallen.
Doch auch Weidels Co-Partei- und Bundestagsfraktionschef Tino Chrupalla wäre als Spitzenkandidat vorstellbar. Seit 2019 steht er an der Spitze der Partei, seit 2021 auch der Fraktion. Die Tage, da der Malermeister aus der Lausitz als unbedarfter „Pinsel“ verspottet wurde, sind vorbei. Sein russlandfreundlicher Kurs, inklusive mehrerer Fototermine mit Putins Botschafter Sergej Netschajew, bringt ihm zwar immer wieder heftige innerparteiliche Kritik ein, aber die Erregung nimmt stetig ab.
Live-Interviews und Talkshowauftritte bringt er inzwischen fehlerfrei über die Bühne. Dass er am Mittwochabend bei „Maischberger“ eine Linie zwischen dem Abwehrkampf der Ukraine zum Fanatismus Nazideutschlands zog („...das haben wir 45 auch gesagt...“), ist kein Ausrutscher, sondern eine kalkulierte Provokation. Mit der Festlegung auf einen einzelnen Kanzlerkandidaten oder eine einzelne Kanzlerkandidatin bricht die AfD mit dem Prinzip der Doppel-Spitzenkandidatur. Ob das von Vorteil ist, wird sich noch zeigen.
2017 traten Alexander Gauland (alt, männlich, im Osten wohnhaft) und Weidel (jung, weiblich, west) gemeinsam an, 2021 gingen dann Chrupalla (Handwerker, Ost) und Weidel (Akademikerin, West) als einander verstärkendes Paar ins Rennen. Aus der zweiten Reihe wäre eine Kandidatur des 37-jährigen NRW-Landeschefs Martin Vincentz möglich, vielleicht auch von Bundesvize Mariana Harder-Kühnel aus Hessen. Der Europaabgeordnete Maximilian Krah wird zurzeit stark vom völkischen Vorfeld um Götz Kubitschek in Schnellroda unterstützt - er zielt aber auf die Spitzenkandidatur für die Europawahl 2024.