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Alarmstufe im Notfallplan GasKosten für Verbraucher könnten sich verdoppeln

Lesezeit 4 Minuten
Habeck Notfallplan Alarmstufe

Robert Habeck hat offenbar Details der Alarmstufe im Notfallplan bereits diskutiert.

  1. Habeck (Grüne) steht offenbar kurz davor, die Alarmstufe im Notfallplan Gas auszurufen.
  2. Schon seit Wochen gilt die Frühwarnstufe, nun sollen Details für die Alarmstufe diskutiert worden sein.
  3. Für Verbraucher hätte ein solches Szenario aller Voraussicht nach große Auswirkungen.

Berlin – Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) steht offenbar kurz davor, die Alarmstufe im Notfallplan Gas auszurufen. Im ungünstigsten Fall könnte das für Verbraucher schnelle und massive Preiserhöhungen bedeuten. Ursache sind stark reduzierte Lieferungen aus Russland.

Nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) wurden am Mittwoch zwischen Politik und Gasbranche bereits die Details für die Umsetzung der Alarmstufe diskutiert. Sie wäre der zweite von drei möglichen Schritten, um die Versorgung mit dem Brennstoff zu sichern. Schon seit Wochen gilt die Frühwarnstufe.

Energieversorger könnten Preise auf „angemessenes Niveau anpassen“

Die aktuell brisanteste Frage ergibt sich aus neuen Bestimmungen, die im Mai im Energiesicherungsgesetz in Verbindung mit der Alarmstufe festgezurrt wurden. „Stellt die Bundesnetzagentur fest, dass sich der Gasimport nach Deutschland erheblich reduziert, haben alle hiervon betroffenen Energieversorger entlang der Lieferkette das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen“, heißt es auf der Website der Bundesregierung.

So werde verhindert, dass Importeure in eine finanzielle Schieflage geraten, die kaskadenartige Auswirkungen auf den gesamten Markt haben könne. Und weiter: „Im Falle solcher Preisanpassungen haben Kundinnen und Kunden ein außerordentliches Kündigungsrecht.“

Viele Fragen offen

Ob tatsächlich der Weg für solche Preiserhöhungen gleichzeitig beim Auslösen der Alarmstufe freigemacht wird, war am Mittwochnachmittag noch nicht klar. Es gibt keinen Automatismus. Vielmehr muss das Wirtschaftsministerium die Möglichkeit der Preisanpassungen ausdrücklich genehmigen. Zu der Frage, ob Habeck dazu bereit wäre, hüllte sich das Ministerium am Mittwoch in Schweigen.

Klar ist, dass die Aufschläge für die Kunden erheblich sein würden – und entsprechende Sprengkraft entfalten könnten. Würden Versorger ihre Tarife auf das aktuelle Preisniveau heben, „droht vielen Verbrauchern mit Laufzeitverträgen eine schlagartige Verdopplung ihrer Gaskosten“, sagte ein Sprecher des Verbraucherportals Verivox dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Dies lässt sich an den aktuellen Preisen für Neukunden ablesen. Für diese kostet laut Verivox derzeit die Kilowattstunde knapp 19 Cent. So kommen bei einem jährlichen Verbrauch eines Durchschnittshaushalts (20.000 Kilowattstunden) fast 2600 Euro zusammen. Vor einem Jahr fielen noch rund 1220 Euro an.

Gas in Deutschland wird knapp

Derzeit wird in Deutschland das Gas knapp, weil Russland seine Lieferungen über die enorm wichtige Ostseepipeline Nord Stream 1 Ende voriger Woche um etwa 60 Prozent gekürzt hat. Versorgungsunternehmen werden deshalb gezwungen, sich kurzfristig Gas auf dem Spotmarkt der Energiebörsen zu beschaffen, um ihre Kunden weiter beliefern zu können. Die für Europa maßgebliche Sorte (Dutch TTF) kostete am Mittwochmittag rund 130 Euro pro Megawattstunde.

Die Versorger konnten sich bislang auf langfristige Lieferverträge verlassen, in denen Preise festgelegt waren, die teilweise ein Fünftel oder weniger des aktuellen TTF-Preises ausmachen. Die extrem hohen Differenzen sind die Ursache für Schieflagen, in die Gasunternehmen in der aktuellen Lage innerhalb weniger Tage kommen können.

Reservekraftwerke sollen hochgefahren werden

Der Kreml hat die Lieferkürzungen über die Pipeline unter anderem mit technischen Problemen begründet, weil eine Verdichteranlage von Siemens Energy, die sich in Kanada befindet, wegen der Sanktionen gegen Russland nicht geliefert werden kann. Habeck hatte diese Argumentation als vorgeschoben bezeichnet.

Als weitere Vorkehrung für den Fall eine Gasmangellage hat das Wirtschafsministerium die Betreiber von Reservekraftwerken, die mit Kohle- und Öl befeuert werden, aufgefordert, sich auf ein baldiges und dauerhaftes Hochfahren der Stromerzeugung vorzubereiten. In einem Brief vom Dienstag bittet Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen die Kraftwerksbetreiber „nachdrücklich“ darum, Ihre Anlagen bereit für einen Dauerbetrieb zu machen und eine ausreichende Versorgung mit Steinkohle und Mineralöl, sicherstellen.

Preisschwankungen nicht kalkulierbar

Unterdessen gehen Experten von weiterhin extrem hohen Preisen für Erdgas im Großhandel aus. Schwer zu prognostizieren ist aber, wie stark die Ausschläge ausfallen. So sagte Andy Schröder vom Energiemarktforscher ICIS dem RND: „Ich rechne nicht damit, dass der TTF-Gaspreis jetzt wie im Februar über 200 Euro springt. Aber wenn es noch eine weitere Drosselung der Liefermenge gibt, ist ein Preis von 200 Euro durchaus möglich.“ Er fügte hinzu: Da Deutschland ein wichtiger Gasmarkt in Europa sei, sende die Alarmstufe ein wichtiges Signal für den ganzen europäischen Markt.

Um die Nachfrage nach dem Brennstoff zu drosseln, arbeitet die Netzagentur (BnetzA) an einem neuen Auktionsmodell. Industriellen Gasverbrauchern werde die Möglichkeit gegeben, ihren Verbrauch zu reduzieren, heißt es in einem Papier der BnetzA.

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„Die eingesparten Verbräuche können über die Lieferanten zur Stabilisierung der Netze verwendet werden.“ Das Instrument soll nach dem Prinzip eines offenen Orderbuchs funktionieren. Großverbraucher bieten an, ihren Verbrauch zu von ihnen selbst bestimmten Zeitpunkten zu reduzieren. So sollen Spielräume für Engpass-Situationen im Winter geschaffen werden. Der für die Verteilung des Gases in Deutschland zuständige Trading Hub Europe (THE) soll die Angebote bei Bedarf abrufen. Die Industrieunternehmen erhalten dafür Prämien, die von den Gaskunden finanziert werden.

Sollte sich die Versorgungssituation weiter verschärfen, muss die Bundesregierung die dritte Stufe (Notfall) ausrufen. Dann greift der Staat in die Verteilung des Gases ein und kann Bezugsreduktionen verfügen. Zuerst würde es Industrie und Gewerbe treffen. Gesetzlich besonders geschützt sind private Haushalte und soziale Einrichtungen.