Alles schon zu spät?Warum jetzt die richtige Zeit für Klimahoffnung sein könnte
Hannover – Nie fühlt sich der Klimawandel so real an wie im Sommer. Das ist auch in diesem Jahr nicht anders. Hitzewellen rollen über das Land. Flüsse trocknen aus, Wälder brennen, Temperaturrekorde werden gebrochen. Menschen sterben, Tiere verenden. Und Klimaforschende wie Mojib Latif warnen: „Das ist erst der Anfang“. Ein fader Vorgeschmack auf das, was uns in fünf Jahren bevorsteht, in zwanzig, in fünfzig. Jetzt ist der Sommer unerträglich? Wie soll die Welt erst aussehen, wenn wir drei Grad Erderwärmung erreicht haben?
Es ist also definitiv nicht die richtige Zeit für Klimahoffnung. Oder doch?
„Derzeit öffnet sich ein sogenanntes Window of Opportunity, ein günstiger Zeitpunkt für Veränderungen“, sagt Pia-Johanna Schweizer vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Sie ist Expertin für systemische Risiken. Also Bedrohungen, die sich nicht nur auf einen bestimmten Bereich begrenzen, sondern das Potenzial haben, das ganze Gesellschaftssystem zum Einsturz zu bringen. Und die gibt es derzeit reichlich: Corona, Klima, Krieg, Inflation, Energie – jede dieser Krisen hat schon für sich allein genommen Auswirkungen, die weit über Gesundheit, Umwelt oder das Wirtschaftssystem hinausgehen. Zusammen aber können sie die ultimative Katastrophe erzeugen. Oder aber den Aufbruch in eine neue, für alle bessere Zukunft einleiten.
Je mehr Krisen, desto besser?
Das Problem mit Krisen wie dem Klimawandel ist: Sie bahnen sich meist langsam an, was dazu führt, dass man sie lange aufschieben kann. Und gleichzeitig muss, wer sie bewältigen will, früh viel investiert werden. Alle wissen, dass der Klimawandel kommen wird, aber niemand will derjenige sein, der das Öl jetzt schon im Boden lässt. Dass nun gleich mehrere große Krisen aufeinandertreffen, könne da tatsächlich „hilfreich“ sein, sagt Schweizer. „Denn das erzeugt eine politische Dringlichkeit, die sonst nicht da gewesen wäre.“ Plötzlich zeigen sich all die Probleme in voller Klarheit. Warum etwa haben wir uns so abhängig von russischem Gas gemacht?
„Dann werden alle wieder bequem“
Es ist allerdings noch gar nicht so lange her, da schienen wir an einem ähnlichen Punkt angelangt zu sein. Im Frühling 2020, als Corona noch neu war, einte viele Klimaforscherinnen und -forscher eine leise Hoffnung: Dass Corona uns beweisen würde, dass eine andere Welt möglich ist. Dass wir es in uns tragen, krasse Veränderungen auszuhalten. Die CO₂-Emissionen sanken, der Himmel und die Straßen wurden leerer, und die Hoffnung keimte auf: Das hier ist der große Aufbruch, das Signal, auf das wir gewartet haben. Von jetzt an wird alles besser.
Nichts wurde besser. Die Treibhausgasemissionen in der EU sind wieder auf Vorpandemieniveau geklettert. Die Erde erwärmt sich weiter. „Das Window of Opportunity schließt sich sehr schnell“, mahnt daher auch Schweizer. Das habe die Pandemie eben auch gezeigt: Am Anfang, wenn Krisenstimmung herrscht und die Routinen unterbrochen sind, ist viel möglich. „Dann werden alle wieder bequem.“
Wissen alleine bringt noch gar nichts
Auf unsere Unwissenheit können wir uns dabei nicht berufen. Erst kürzlich stellte eine große Studie, für die mehr als 40.000 Menschen in 20 Ländern befragt wurden, fest: „Eine überwiegende Mehrheit der Menschen versteht, dass der Klimawandel real ist und dass er vom Menschen verursacht wurde.“ Aber das heißt noch gar nichts. Denn dieses Wissen sei „für ihre Ansichten darüber, was dagegen getan werden sollte, nicht relevant“. Oder anders gesagt: Wir alle wissen, wie schlimm der Klimawandel wird. Wir alle sehen schon heute, wie er unsere Welt für immer verändert. Aber selbst die Menschen, bei denen sich Sorgen mit großem Wissen paaren, seien nicht zwingend diejenigen, die Klimaschutzmaßnahmen unterstützen, so die Forscherinnen und Forscher. Wie bitte kann das sein?
Vielleicht kennen Sie die Situation: Sie unterhalten sich mit Ihrer Nachbarin, mit Verwandten oder Freunden über das Wetter. „Wahnsinnig heiß, unerträglich diese Hitze“, sagt eine. „Ja, ja“, nicken alle. „Ich konnte heute kaum schlafen“, beschwert sich jemand. „Ja, ja“, nicken alle. „Das wird in Zukunft wohl noch schlimmer. Der Klimawandel.“, sagt ein anderer. Betretenes Schweigen. Wissen doch alle. Dann erbarmt sich jemand und wechselt das Thema.
Aber was soll man auch sagen? Der Klimawandel ist kein Thema für Small Talk. Oder überhaupt ein Thema, mit dem man sich länger gedanklich befassen möchte. Das liegt natürlich auch am Problem selbst: Die Klimakatastrophe, auf die wir zusteuern, ist gigantisch, kompliziert, zeitlich und räumlich unbegrenzt. Und all die Gefühle, die diese Bedrohung in uns weckt, sind schnell zu viel.
Die Liste der psychologischen Tricks ist lang
Der Autor George Marshall hat diesem Problem ein ganzes Buch gewidmet. In „Don‘t even think about it“ (2014) erklärt er, „warum unsere Gehirne darauf programmiert sind, den Klimawandel zu ignorieren“. Er verweist darin auf zahlreiche psychologische Mechanismen: Viele Menschen wissen zum Beispiel: Wenn sie sich zu sehr emotional mit dem Klimawandel beschäftigen, werden sie schnell ängstlich und beunruhigt – also verdrängen sie ihn lieber, wiegen sich in einer „schützenden Gleichgültigkeit“. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass die Kapazität, sich ständig Sorgen zu machen, bei den meisten Menschen schlicht und einfach begrenzt ist. Und es gibt immer ein drängenderes Problem: Das Auto geht kaputt, der Wocheneinkauf wird zu teuer, die Mutter muss ins Heim.
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Aber auch Menschen, die die Realität des Klimawandels anerkennen, seien, erklärt Marshall, „schnell bereit, eine einzige einfache Aktion als Zeichen ihrer Besorgnis zu übernehmen“ – um dann nichts weiter zu unternehmen. Frei nach dem Motto: Ich fahre kein Auto oder kaufe mein Gemüse regional – leiste also meinen Beitrag – und habe es deshalb „verdient“, in den Urlaub zu fliegen oder die Ananas aus Übersee zu kaufen.
Eltern dagegen trösten sich oft unter anderem mit dem Gedanken, der Klimawandel würde zumindest ihre Kinder nicht so schlimm treffen wie an anderen Orten. Andere beziehen das direkt auf sich selbst: Hier in Deutschland wird es schon noch okay sein – im Vergleich etwa zu Bangladesch. Wieder andere flüchten sich in kalten Zynismus, sprechen davon, dass es „eh besser ist, wenn die Menschen aussterben“. Wobei sie aber, so Marshall, davon überzeugt seien, dass sie selbst dann doch vom Schlimmsten verschont blieben.
Wie viel ist die Hoffnung wert?
Die Liste der psychologischen Tricks ließe sich mühelos weiterführen. Jeder und jede findet so eine eigene Strategie, dem Klimawandel den Schrecken zu nehmen. Vielleicht gehört auch die Hoffnung, dass nach den aktuellen Krisen alles besser wird, dazu. Dass wir endlich unser Window of Opportunity nutzen. Dass wir es eben doch noch schaffen, die Erderwärmung zu begrenzen.
Und trotzdem: Ausgerechnet diese Hoffnung ist es, die sich auch viele Experten und Expertinnen nicht nehmen lassen wollen. Auch wenn – oder gerade weil – sie ganz genau wissen, wie schwierig der Kampf gegen den Klimawandel ist. „Ich habe nie meine ganze Hoffnung verloren. Wenn ich einen Rückschlag erlebt habe, hat mich das nur noch entschlossener gemacht, nicht aufzugeben“, sagt etwa Jane Goodall. Doch – das ist der weltberühmten Naturforscherin sehr wichtig: Hoffnung ist nicht das Gleiche wie passives Wunschdenken. Es reiche nicht, die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, dass schon alles besser wird. Echte Hoffnung, so Goodall in „Das Buch der Hoffnung“ (2021), „erfordert Handeln und Engagement“.