Angst um das eigene KindMutter bittet um Impfung ihres Sohnes mit Behinderung
Es sind Familien, die nun bald ein Jahr lang in strenger Isolation leben – sie versuchen es zumindest, so weit wie es möglich ist, um das Leben ihrer Kinder zu schützen. Es sind Familien wie die von Annamaria Fabian. Ihr dreijähriger Sohn lebt mit einer Behinderung. Ihm gehe es fernab von Corona gut, sagt sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er ist in seiner Mobilität eingeschränkt und hat eine Atemzentrumbeeinträchtigung. Doch durch die Corona-Pandemie müssten sie nun um sein Leben bangen. Ärzte sagen ihr, dass Covid-19 für ihn tödlich sein könnte. „Der Schutz älterer Personen ist wichtig. Ich möchte aber auch, dass die Kinder mit Vorerkrankungen die Chance haben, 80 Jahre alt werden zu können“, sagt die Mutter. „Ich finde es traurig, dass sie keine Priorität und keine Regelungen bekommen.“
Seit fast einem Jahr haben sie Familie und Freunde nicht mehr gesehen. Normalerweise geht Fabians Sohn mit einem Betreuer in die Kita. Im letzten Jahr wurde diese Assistenz von Juni bis September auch für zu Hause genehmigt. Seitdem allerdings nicht mehr. „Das bringt uns in die Situation, dass wir das Kind teilweise auch in die Kita geben müssen“, sagt Annamaria Fabian. Homeoffice und die Betreuung kriegt man nicht immer unter einen Hut. „Die Eltern werden dann vor eine schlimme Wahl gestellt: Gebe ich das Kind in die Kita und habe Angst um das Leben des Kindes oder behalte ich es zu Hause und habe Angst um die eigene Existenz.“
Keine Schutzmaßnahmen für Kinder mit Vorerkrankungen
Die Problematik liege darin, dass es keine Regelungen für den Schutz von Kindern mit Vorerkrankungen gibt. Es müsse eine zeitnahe Impfung der Kinder ermöglicht werden, sagt Fabian. „Dabei würde schon helfen, wenn das Off-Label-Use vom Bundesgesundheitsministerium toleriert werden würde.“ Damit meint sie den Gebrauch des Impfstoffs außerhalb der Zulassung. Oder es müsse möglich sein, ein Kind mit Vorerkrankungen überhaupt isolieren zu können – mit gesicherter Unterstützung durch Betreuung von außen. Doch bislang seien die Kinder mit Behinderungen vor Corona ungeschützt. „Ihr Leben ist damit bedroht“, sagt die Mutter.
Vom Bundesgesundheitsministerium habe sie die Empfehlung bekommen, für die Impfung ihres Sohnes zu klagen. Das möchte sie nun auch tun. Das Bundesgesundheitsministerium äußerte sich auf RND-Anfrage nicht.
Bislang sind die Impfstoffe gegen Covid-19 von der EU nur für Personen ab 16 beziehungsweise 18 Jahren zugelassen. In der Impfstrategie der Bundesregierung sind Kinder und Jugendliche gar nicht inbegriffen – also auch keine Priorisierung für Kinder mit Vorerkrankungen.
Kinderärzte fordern Priorisierung von vorerkrankten Kindern
Der Kinderarzt und Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, warnt vor der Gefahr eines schweren Covid-19-Verlaufes für Kinder und Jugendliche mit chronischen Krankheiten. Sie bräuchten „so schnell wie möglich den Impfschutz“. Der Verband fordert, „dass sie bei der Priorisierung vorgezogen werden, also in die gleiche Gruppe kommen wie erwachsene chronisch Kranke“.
Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, bewertet die derzeitige Situation etwas anders. Er hat an der Uniklinik Köln viele chronisch kranke Patienten. „Unsere Daten zeigen, dass Kinder seltener von schweren Covid-19-Verläufen betroffen sind – sowohl gesunde Kinder als auch Kinder mit Vorerkrankungen. Im Vergleich sind ältere Erwachsene mit gleichen Vorerkrankungen erheblich stärker gefährdet.“ Dass laut Dötsch wenige Kinder mit Vorerkrankungen betroffen sind, „kann natürlich auch damit zusammenhängen, dass sich ihre Familien besonders gut schützen“.
Mediziner lehnen Off-Label-Use vom Corona-Impfstoff für Kinder ab
Einen sogenannten Off-Label-Use – also Kinder und Jugendliche auch ohne Zulassung zu impfen – lehnen beide Mediziner ab. „Um die Sicherheit von Kindern mit chronischen Erkrankungen möglichst hoch zu gestalten, müssen wir abwarten, was die Zulassungsstudien ergeben“, sagt Dötsch. Einige Impfstoffanbieter hätten bereits begonnen, Studien bei Zwölf- bis 16-Jährigen durchzuführen. Die Nutzung eines nicht zugelassenen Impfstoffes habe aber ein unkalkulierbares Risiko, sagt Dötsch. „Kinder haben noch ein langes Leben vor sich. Die Wirkdauer von Langzeitnebenwirkungen wäre also wesentlich länger.“
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Dies betont auch Kinderarzt Fischbach. „Als Kinder- und Jugendärzte fordern wir die Politik auf, Forschung und Zulassungsstudien für kindgerechte Corona-Impfstoffe zu fördern, sodass diese Vakzine möglichst schnell zur Verfügung stehen.“
Umgebung der Kinder mit chronischen Erkrankungen schützen
Außerdem sollte die Umgebung der Kinder mit Behinderungen geschützt werden. Deshalb appelliert Christiane Marx von der Behindertenhilfe Aktion Mensch an die Politik, „zunächst wenigstens die Kontaktpersonen dieser stark gefährdeten Gruppe – etwa erwachsene Familienmitglieder und Pflegepersonen – bei den Impfungen zu priorisieren.“ Ähnlich also zu den Kontaktpersonen von Schwangeren, die in der zweiten Gruppe erwähnt werden. „Die Impfverordnung müsste aus unserer Sicht dementsprechend angepasst werden“, sagt Marx. Auch ein Wunsch von Annamaria Fabian.