Es ist Bidens bislang gefährlichste Reise als US-Präsident. Mit einem Überraschungsbesuch in Kiew zum Jahrestag des russischen Überfalls demonstriert Biden, dass die USA und ihre Partner unverbrüchlich zur Ukraine stehen. Allerdings stellt sich die Frage: Wie lange gilt das noch?
Besuch in der UkraineBiden setzt in Kiew starkes Zeichen gegen Putin
So nah kommen US-Präsidenten dem Krieg normalerweise nicht: Als Joe Biden und sein ukrainischer Kollege Wolodymyr Selenskyj am Montag in Kiew das Areal des St. Michaelskloster verlassen, ertönen die Sirenen – wieder einmal wird in der ukrainischen Hauptstadt Luftalarm ausgerufen.
Für Selenskyj ist das Alltag, doch auch Biden wirkt auf einem kurzen Video dieser Szene nicht beeindruckt. Selenskyj (45) trägt olivgrüne Hose und Jacke, mit dem Outfit sieht er immer ein wenig so aus, als käme er gerade vom Frontbesuch. Sein 80 Jahre alter Gast aus Amerika hat einen dunklen Mantel und eine seiner typischen Fliegersonnenbrille an, in Kiew herrscht strahlender Sonnenschein bei eisigem Wetter.
Die beiden Präsidenten setzen ihren Weg durch ein Spalier an Soldaten trotz des Alarms fort. Von Kremlchef Wladimir Putin, der der Infrastruktur der Ukraine mit Luftangriffen zerstören möchte, lassen sie sich nicht aus dem Konzept bringen. An der Wand der Erinnerung legen sie zwei Kränze nieder, hier wird ukrainischen Soldaten gedacht, die durch russische Aggression ums Leben gekommen sind. Mit seinem Überraschungsbesuch in Kiew kurz vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine hat Biden ein starkes Zeichen gesetzt – einen deutlicheren Ausdruck der Solidarität hätte sich Selenskyj nicht wünschen können.
„Ich hielt es für wichtig, dass es keinerlei Zweifel an der Unterstützung der USA für die Ukraine in diesem Krieg gibt“, sagt Biden beim Treffen mit Selenskyj im Marienpalast, wo der ukrainische Präsident ausländische Gäste empfängt. Biden erinnert auch an den Beginn des Krieges: „In dieser dunklen Nacht vor einem Jahr bereitete sich die Welt buchstäblich auf den Fall von Kiew vor. Vielleicht sogar auf das Ende der Ukraine“, sagt er. Der Krieg sei noch lange nicht gewonnen. „Wir wissen, dass es noch sehr schwierige Tage, Wochen und Jahre geben wird. Aber Russlands Ziel war es, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen.“ Biden ist überzeugt: „Putins Eroberungskrieg scheitert.“
Der US-Präsident beschwört auch die Einheit der westlichen Allianz, deren Unterstützung die Lebensader der Ukraine ist. „Als Putin vor fast einem Jahr seine Invasion startete, dachte er, die Ukraine sei schwach und der Westen sei gespalten“, betont er. „Aber da lag er völlig falsch.“ Dass diese Allianz so eisern zusammensteht, ist vor allem Bidens Engagement zu verdanken. Seit seinem ersten Tag im Amt hat der Demokrat sich bemüht, Bündnisse wiederzubeleben, die nach vier Jahren Herrschaft von seinem republikanischen Vorgänger Donald Trump schwer angeschlagen waren.
Joe Biden weiß, dass im Westen die Kriegsmüdigkeit zunimmt
Der US-Präsident weiß aber auch, dass bei den Menschen im Westen die Kriegsmüdigkeit wächst, je länger der blutige Konflikt in der Ukraine andauert. Das gilt für sein eigenes Land, wo besonders unter Republikanern die Kritik an den hohen Kosten wächst. Das trifft aber auch für europäische Partner wie Deutschland zu, wo jene Stimmen lauter werden, die Verhandlungen mit dem Aggressor Russland fordern.
Das Weiße Haus schreibt am Montag zwar auf Twitter: „Die Vereinigten Staaten von Amerika werden dem ukrainischen Volk zur Seite stehen, solange es nötig ist.“ Das liegt aber letztlich nicht in Bidens Händen. Sollte im kommenden Jahr Trump oder ein anderer Republikaner die Präsidentenwahl gewinnen, kann die Unterstützung aus Washington schnell versiegen.
Umso wichtiger ist für Selenskyj die Botschaft, die nun von Bidens Besuch ausgeht. Die Vorbereitung der Visite hat unter strengster Geheimhaltung stattgefunden. An diesem Dienstag und Mittwoch steht für Biden ein Polen-Besuch auf dem Programm, nach dem Programm des Weißen Hauses hätte der Präsident am Montagabend um 19 Uhr Ostküstenzeit überhaupt erst aus den USA in Richtung Europa losfliegen sollen. In Kiew halten sich am Montagmorgen Gerüchte, dass ein hochrangiger Besuch ansteht. Dass er derart hochrangig sein würde, kommt für viele Hauptstadtbewohner aber doch überraschend.
Immer wieder hat Selenskyj Biden in der Vergangenheit eingeladen, aus Sicherheitsgründen ist es aber nie zum Besuch gekommen – bis jetzt. Selenskyj nennt die Visite des Amerikaners am Montag „historisch“ und „mutig“, auf Twitter schreibt er: „Wir sind entschlossen, zusammenzuarbeiten, um den Sieg der Ukraine sicherzustellen.“ Beim Treffen mit Biden spricht der Gastgeber von einem „extrem wichtigen Zeichen der Unterstützung für alle Ukrainer“.
USA sagen weitere Waffenlieferungen zu
Biden hat aber nicht nur Worte der Solidarität im Gepäck, sondern auch handfeste Zusagen über Waffenlieferungen im Wert von einer halben Milliarde Dollar (468 Millionen Euro), wie die Nachrichtenagentur AP berichtet. Darunter seien etwa Granaten, Raketen und Radarsysteme, aber keine neuen Waffensysteme. Die Ukraine hat sich gerade erst mit ihrer Forderung nach westlichen Kampfpanzern durchgesetzt, die die USA und europäische Partner wie Deutschland nach langem Hin und Her liefern werden. Die Diskussion ist damit aber nicht beendet: Selenskyjs Regierung bittet unter anderem um westliche Kampfjets. Letzteres schließen Washington und Berlin bislang aus.
Biden würdigt bei seinem Besuch die Kraft und den Durchhaltewillen der Ukrainer – kaum jemand hat ihnen vor einem Jahr ernsthafte Chancen eingeräumt, sich gegen die als übermächtig empfundenen russischen Truppen behaupten zu können. Besonders hebt der US-Präsident dabei einen Menschen hervor: Selenskyj. „Ich möchte Ihnen meinen tiefsten Respekt für Ihren Mut und Ihre Führungsstärke aussprechen“, schreibt Biden ins Gästebuch des Marienpalastes an die Adresse seines Gastgebers. Dann fügt der US-Präsident dem Eintrag vor seiner Unterschrift noch diesen Slogan hinzu: „Slava Ukraini!“ - Ruhm der Ukraine.