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Britisches Raketensystem„Gamechanger“ im Krieg? Warum die Storm Shadow so viel für die Ukraine bedeutet

Lesezeit 4 Minuten
Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow.

Großbritannien hat der Ukraine als erste Nation Marschflugkörper mit größerer Reichweite zur Verfügung gestellt.

Mit dem britischen Marschflugkörper hat die Ukraine einige neue Möglichkeiten. Doch was macht das Raketensystem so besonders?

Großbritannien hat der Ukraine als erste Nation Marschflugkörper mit größerer Reichweite zur Verfügung gestellt. Am 11. Mai 2023 bestätigte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace, dass London der Ukraine Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow geliefert hat. Die Zahl nannte er nicht. Der US-Sender CNN zitierte einen ranghohen US-Militär auch mit Blick auf die geplante ukrainische Großoffensive mit den Worten, die Waffe sei ein „Gamechanger“. Doch was können die Storm Shadows?

Storm Shadow ist einsatzerprobt

Die luftgestützten Storm Shadows wurden um die Jahrtausendwende von Großbritannien und Frankreich gemeinsam entwickelt. Der erste Einsatz erfolgte im Jahr 2003. Laut dem Hersteller, dem europäischen Rüstungsunternehmen MBDA, haben die Marschflugkörper eine Reichweite von mehr als 250 Kilometern. Diese Variante wurde an die Ukraine geliefert. Ausführungen der Storm Shadow für das heimische Militär haben eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Britische Truppen haben das System unter anderem im Irak und gegen die Terrormiliz IS in Syrien eingesetzt.

Nach Angaben des Herstellers erreicht das Raketensystem eine Marschgeschwindigkeit von knapp 1000 Kilometer pro Stunde. Eine Storm Shadow fliegt in einer Höhe von etwa 30 bis 40 Metern. Die Rakete erkennt ihr Ziel automatisch über einen Infrarotsensor, auch wenn es bereits beschädigt wurde. Das Ziel kann noch während des Fluges verändert werden. Aufgrund ihrer niedrigen Flughöhe ist sie für die gegnerische Luftverteidigung nicht ganz einfach zu erkennen.

Deutlich höhere Reichweite als Himars-Mehrfachraketenwerfer

Ausgestattet ist der Marschflugkörper mit einem Doppelladungssprengkopf. Die Vorladung soll ein Loch in die Panzerung des Ziels sprengen, die Hauptladung detoniert danach. Die Storm Shadow ist für den Einsatz gegen Gebäude oder Bunker bis zu neun Metern unter der Erdoberfläche vorgesehen. Sie können von der Ukraine von sowjetischen Suchoi-Su-24-Kampfflugzeugen gestartet werden. Entsprechende Tests erfolgten vor der Lieferung. Ursprünglich wurden die Storm Shadows für westliche Kampfjets wie den Tornado oder den Eurofighter konzipiert.

Mit einer Reichweite von mehr als 250 Kilometern kann die Ukraine dank der Storm Shadows nun deutlich weiter entferntere Ziele erreichen – unter anderem Ziele auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Die bereits eingesetzten Mehrfachraketenwerfer vom US-Typ Himars können Ziele in nur etwa 80 Kilometern Entfernung treffen. Schon das Himars-System bezeichnete der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov im Juni 2022 als „mächtiges Werkzeug“.

Ziele weit hinter der Frontlinie können angegriffen werden

Auch der deutsche Raketenwerfer Mars II ist mittlerweile in der Ukraine im Einsatz. Er kommt ebenfalls auf eine Maximalreichweite von rund 80 Kilometern. Die Ukraine ist mit dem neuen Raketensystem nun also in der Lage, Militärstützpunkte, Kommandozentralen und Munitionsdepots der russischen Armee mit Präzisionsschlägen anzugreifen, die sich noch weiter hinter der Frontlinie befinden. Russland muss seine Depots und Kommandozentren also entweder weiter zurückziehen oder besser sichern und damit Ressourcen verlagern. Auch Nachschubwege sind gefährdet.

Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte, dass Systeme wie Storm Shadow es den ukrainischen Streitkräften ermöglichen würden, Ziele weit hinter den Frontlinien anzugreifen, einschließlich der russisch besetzten Krim. Verteidigungsminister Wallace betonte nun, die Langstreckenwaffen würden dafür eingesetzt, russische Truppen „in ukrainischem souveränen Territorium“ zurückzudrängen. „Wir werden nicht tatenlos zusehen, während Russland Zivilisten tötet“, sagte er am 11. Mai.

Spekulationen über ersten Einsatz von Storm Shadow

Die britische Regierung werde nicht öffentlich dazu Stellung nehmen, ob Großbritannien beim Einsatz der Waffen irgendwelche Grenzen ziehe, so Wallace. Britischen Medienberichten zufolge hat Kiew aber zugesagt, damit nicht Russland selbst anzugreifen. Ein westlicher Regierungsvertreter sagte gegenüber CNN ebenfalls, dass die Ukraine Großbritannien versichert habe, Storm Shadow nur innerhalb ihres eigenen völkerrechtlich anerkannten Territoriums einzusetzen und nicht gegen Ziele in Russland.

Spekulationen über einen ersten Einsatz der Ukraine gab es zwei Tage nach Bekanntwerden der Lieferung. Am 13. Mai soll die Ukraine ein Gebäude des Chemiekonzerns Polipack sowie ein Öllager in der von Russland besetzten Stadt Luhansk mit zwei Storm-Shadow-Raketen angegriffen haben. Die Stadt lag zu dem Zeitpunkt rund 90 Kilometer von der Frontlinie entfernt.

Großbritannien lieferte weitere zahlreiche Waffensysteme an Ukraine

Bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Großbritannien am 15. Mai kündigte Sunak die Lieferung zahlreicher Flugabwehrraketen und Hunderter Kampfdrohnen mit einer Reichweite von mehr als 200 Kilometern an. Die Kampfdrohnen, deren genauer Typ zunächst nicht näher genannt wurde, hätten – ebenso wie die Storm Shadow – eine Reichweite von mehr als 200 Kilometer, betonte die britische Regierung. „Dieses Material wird die Ukraine in den kommenden Monaten bei ihrem erwarteten militärischen Vorstoß gegen die russischen Streitkräfte unterstützen“, hieß es in London. (rnd)