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Nach CoronaDarum ist Homeoffice ein Modell für die Zukunft

Lesezeit 7 Minuten
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Laut einer Umfrage sagen fast 90 Prozent der Unternehmen, dass bei ihnen mehr Homeoffice möglich sei – ohne dass dadurch Nachteile entstünden.

Manche arbeiten am Küchentisch, andere vom Sofa aus. Mitunter tut der Rücken weh, aber immerhin ist der Weg in den Feierabend kurz – denn der Schreibtisch steht schließlich im Wohn- oder Schlafzimmer. Was für viele lange ein Wunsch war, ist durch die Corona-Pandemie plötzlich in Hau-Ruck-Manier Realität geworden: Homeoffice. Doch was macht es mit uns, wenn die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt? Erkenntnisse aus der Corona-Zeit könnten helfen, künftig die Arbeitswelt besser zu gestalten.

Statistik: Immer mehr Beschäftigte im Homeoffice

Grundsätzlich kann Homeoffice Beschäftigte entlasten – unter normalen Umständen. Doch was wir seit März erlebt haben, sind keine normalen Umstände. Den Shutdown während der Covid-19-Pandemie haben viele Unternehmen genutzt, um mobiles Arbeiten zu ermöglichen.

Vor der Corona-Krise hatte etwa jeder sechste Beschäftigte in Deutschland (etwa 16 Prozent) eine sogenannte Telearbeitsvereinbarung, weitere Beschäftigte arbeiteten auch ohne solche Regelung teilweise zu Hause. Im April habe man dann einen überdeutlichen Anstieg der Leute gesehen, die im Homeoffice arbeiten, sagt Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Die Zahlen schwanken laut Backhaus: Internationale Daten gehen von 39 Prozent aus, das deutsche Sozio-ökonomische Panel (SOEP) nennt etwa 35 Prozent. Mit fortschreitender Dauer der Krise nehme das aber wieder ab, sagt Backhaus. “Wir sehen, dass immer mehr auch wieder zurück ins Büro wollen, ins Büro müssen oder dürfen.”

Vor allem eins habe sich geändert: “Vorher hat der Hauptteil so ein bis zwei Tage pro Woche von zu Hause gearbeitet, es gab ein paar wenige, die haben auch fünf Tage die Woche von zu Hause gearbeitet”, sagt Backhaus. Durch Corona waren es plötzlich für alle Vollzeitbeschäftigten, die zu Hause arbeiten mussten, fünf Tage. Außerdem hätten nicht mehr nur bestimmte Gruppen zu Hause gearbeitet, etwa Eltern oder jüngere Beschäftigte, sondern alle Generationen, ergänzt Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen.

Startschwierigkeiten: Homeoffice für Eltern

Zunächst waren die Reaktionen auf diese Entwicklung geteilt. “Ich glaube, da ging so ein Riss durch die Nation: Es gab die einen, die sich gefreut haben, dass sie keine Arbeitswege haben und auf ihrem Balkon in der Sonne mit ihrem Laptop sitzen konnten – und aus meiner Sicht gab es dann die anderen: Die haben Kinder”, sagt Tabea Scheel, Arbeits- und Organisationspsychologin von der Europa-Universität Flensburg. Vor allem die ersten Wochen waren für Eltern eine enorme Belastung.

Als dann der Schulbetrieb schrittweise wieder hochgefahren wurde und die Notbetreuung ausgeweitet wurde, stieg laut einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin die Zufriedenheit im Homeoffice. Das könne, müsse aber nichts miteinander zu tun haben, erklärt Wolfgang Prinz, stellvertretender Leiter des Instituts.

Schlechtere Kommunikation durch Homeoffice?

Angesichts der Kosten für Büroflächen rechnet wohl so manche Geschäftsführung schon durch, ob das Büro auf lange Sicht nicht ganz abgeschafft werden könnte. Experten halten das für keine gute Idee. Die Ludwigshafener Personalmanagement-Expertin Rump nennt ein 25 Jahre altes Beispiel einer Versicherung in Münster: Dort wurde aus Kostengründen die Hälfte der Beschäftigten in die Telearbeit geschickt. Nach rund zweieinhalb Jahren habe man festgestellt, dass Kommunikationsketten abgerissen waren und der Zusammenhalt unter den Mitarbeitern gelitten hatte: “Die Loyalität und die Verbindung zu dem Unternehmen und zu den Kolleginnen und Kollegen ist gerissen.”

Allerdings waren die Kommunikationswege vor 25 Jahren noch nicht so vielfältig. Dennoch zeigt auch die FIT-Umfrage, dass die Kontaktpersonen in der Corona-Krise weniger geworden sind. Hatten die mehr als 2000 Teilnehmer vorher noch Kontakte zu durchschnittlich rund zehn bis 15 Kollegen, waren es im Homeoffice nur noch fünf bis neun, erläutert Prinz.

Im Homeoffice leiden Austausch und Struktur

Vermutlich ist das für viele der größte Einschnitt bei der Arbeit zu Hause: ein Kaffee zwischendurch, ein Plausch auf dem Flur oder die gemeinsame Mittagspause. Laut Umfrage vermissen jeweils rund 65 Prozent der Befragten die gemeinsame Kaffeepause und die Mittagspause. Dieser Austausch am Arbeitsplatz ist essenziell, wie die FIT-Zahlen belegen: 85 Prozent der Befragten vermissen demnach den persönlichen und 66 Prozent den fachlichen Austausch.

Fehlen diese Kanäle, könnten Prozesse innerhalb eines Unternehmens ins Stocken geraten, erklärt die Flensburger Arbeitspsychologin Scheel. “Dieses ganze aus Versehen geteilte Wissen wird nicht mehr aus Versehen geteilt. Und das kann die Arbeitsprozesse tatsächlich sehr erschweren. Da arbeiten Leute dann vielleicht zu Hause ins Blaue rein, weil sie irgendwas nicht mitgekriegt haben.”

Auch die Struktur der Arbeit kann im Homeoffice leiden. So falle es im Büro leichter, eine Pause zu machen, erläutert Scheel. “Zu Hause machen wir Pause, wenn es zu spät ist. Da sind keine Kolleginnen und Kollegen, die mit mir Pause machen wollen, Mittag muss ich mir vielleicht dann irgendwie selber zwischendurch noch machen, und ich bin auch nicht gezwungen, Strukturen einzuhalten.” BAuA-Experte Backhaus rät zu guter Selbstorganisation: “Dadurch, dass man für sich alleine verantwortlich ist, muss man sich einen realistischen Plan machen.”

Gesundheit: Arbeitsplatz sollte gut ausgestattet sein

Hinzu kommen gesundheitliche Risiken, wenn man dauerhaft am Küchentisch oder gar auf der Couch arbeitet: “Für ein, zwei Monate im Notfall, wie das gerade in der Corona-Krise der Fall gewesen ist, kann das funktionieren”, sagt Backhaus. Für richtige Arbeitsplätze gebe es aber Vorgaben: etwa dass der Monitor getrennt von der Tastatur sein müsse – was bei einem Laptop nicht gegeben sei. Ziel müsse sein, dass Arbeitsplätze auch ergonomisch gut gestaltet seien, so Backhaus.

Monitore, Dockingstations, aber auch ein höhenverstellbarer Stuhl mit hoher Lehne und ein Schreibtisch: “Nach Möglichkeit sollte der Arbeitsplatz zu Hause genauso aufgebaut sein wie im Betrieb”, sagt Backhaus. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) mache Vorgaben dazu, wie ein Arbeitsplatz ausgestattet sein sollte. Wenn diese Richtlinien nicht eingehalten werden, drohen etwa Verspannungen, Rückenschmerzen und Sehnenscheidenentzündungen.

Arbeit und Zuhause bewusst trennen

Mit der Heimarbeit entfällt auch der Arbeitsweg. Für Pendler, die morgens und abends im Stau stehen, mag das eine Erleichterung sein. Aber wer den Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hat, dem fehlt ein erheblicher Teil der täglichen Bewegung. Das kann ebenfalls die Gesundheit beeinträchtigen.

Hinzu kommt ein psychologischer Effekt: Fehlt der Arbeitsweg, fällt auch die Distanz zwischen Beruf und Freizeit weg. “Ich habe praktisch keine Abgrenzung, das ist unheimlich erschöpfend”, erklärt Arbeitspsychologin Scheel. Vor allem, wenn es zu Hause kein eigenes Arbeitszimmer gibt, wo die Tür nach getaner Arbeit geschlossen werden kann. Um nach dem Homeoffice mental abzuschalten, empfiehlt Scheel einen Tapetenwechsel: “Eine halbe Stunde spazieren gehen und danach auf gar keinen Fall auf das Handy gucken, wenn die Gefahr droht, dass da irgendwelche Arbeits-E-Mails aufpoppen.”

Umfrage: Kein Unternehmen will weniger Homeoffice

Dennoch: Je normaler die Situation außerhalb der eigenen vier Wände wurde, desto besser kamen laut der Umfrage des Fraunhofer-Instituts die Befragten mit der Lage klar: Bis Juli stieg die Zufriedenheit bei etwa 90 Prozent – und zwar branchenübergreifend. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Beschäftigten sich an die neuen Abläufe, technischen Werkzeuge und Kommunikationskanäle gewöhnt haben, so Prinz. Das deute aber auch darauf hin, dass “ein geregeltes und organisiertes Homeoffice zu ‘normalen’ Zeiten eine noch bessere Akzeptanz finden wird”.

Dass das Homeoffice keine Übergangsphase ist, bestätigt eine gerade veröffentlichte Umfrage des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung: Demnach hat fast die Hälfte (42 Prozent) der rund 500 befragten Unternehmen schon beschlossen, die Möglichkeiten, von zu Hause aus zu arbeiten, nach der Corona-Krise auszuweiten. Ein ebenso großer Anteil war noch unentschlossen, zurück zu weniger Homeoffice will aber kaum ein Unternehmen. Fast 90 Prozent gaben an, dass bei ihnen mehr Homeoffice möglich sei – ohne dass dadurch Nachteile entstünden.

Personalmanagement-Expertin Rump glaubt, auch wenn sich das Modell aus 100 Prozent Homeoffice vielleicht nicht durchsetzen werde, Mischformen würden es bestimmt. Sie betont: “Wir werden nicht mehr in die alte Welt zurückgehen.” (RND, dpa)