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Logistische HerausforderungDer lange Weg zur Impfdosis gegen Corona

Lesezeit 7 Minuten
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Die globale Logistikbranche bereitet sich schon jetzt auf die globale Verteilung von Covid-19-Impfstoffen vor (Symbolbild).

Berlin – Albrecht Brömme jedenfalls wäre dann schon mal so weit. Das Zentrum, in dem die Menschen den Impfstoff gegen Covid-19 bekommen, in dem also diese Pandemie jeden Tag ein Stück weiter zurückgedrängt wird: Steht bei ihm längst. Seit mehr als zwei Wochen schon. Alles fertig. Wartezone, Impfzone, Platz für Anmeldung, Aufklärung, Gespräch, alles da. „Und hier“, sagt Brömme, „geht man in die Kabine.“ Weitere Fragen, Arm frei, Spritze. Das Problem ist nur: Bislang besteht dieses Zentrum aus Lego. Brömme hat es zu Hause gebaut, auf einer grünen Platte in seinem Haus in Berlin-Steglitz, die Steine hat er sich geliehen. Er wollte sich schon mal vorstellen können, wie es aussieht, er wollte vorankommen. Die Messehalle 11 hingegen, einem von sechs Orten in Berlin, an denen es das Impfzentrum bald wirklich geben soll, ist bislang noch leer. Jetzt gibt es aus Brömmes Sicht zwei Möglichkeiten.

Entweder sind diese Impfzentren bis Mitte Dezember fertig, und es werden 20.000 Menschen täglich geimpft, so Brömmes Rechnung. Oder es tritt ein, was Brömme das Worst-Case-Szenario nennt: „Der Impfstoff ist da, aber das Land Berlin hat die Impfzentren nicht hinbekommen. Dann wäre die Kacke aber am Dampfen. Und das zu Recht. Deshalb der enge Zeitplan.”

Albrecht Brömme soll Corona-Impfzentren aufbauen

Und so werden jetzt überall im Land Impfzentren geplant, werden Standorte gesucht und Personal, alles unter massivem Zeitdruck. Zwar gibt es bislang nach wie vor noch keine Zulassung für einen Impfstoff gegen Covid-19. Aber es gibt äußerst vielversprechende Daten der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna, beide überboten sich mit Wirksamkeiten jenseits der 90 Prozent. Dazu kommen weitere Projekte in der letzten Phase der Tests. Es könnte nun alles sehr schnell gehen.

Berlin ist nun schon besonders weit, es hat seine sechs Standorte schon konkret benannt; neben der Messehalle 11 sind es die stillgelegten Flughäfen Tegel und Tempelhof, eine Radrennbahn, ein Eisstadion und die Arena in Treptow – Orte also, die in dieser Zeit zumeist ohnehin leer stehen. In einem Papier empfiehlt das Bundesgesundheitsministerium den Ländern und Kommunen sogar Kirchen als mögliche Orte.

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In Berlin ist Albrecht Brömme der Mann, der die Impfzentren zum Laufen bringen und ausgediente Airport-Terminals zu Stützpunkten der Virenbekämpfung machen soll. Der 67-Jährige war Leiter der Berliner Feuerwehr, dann Präsident des Technischen Hilfswerks, Ende 2019 ging er in den Ruhestand. Cello spielen und Gartenarbeit, das waren seine Pläne. Doch stattdessen kam Corona, im Frühjahr baute er ein Behelfskrankenhaus auf – und jetzt also die Impfzentren.

Der Berliner Brömme ist kein Freund des Hadern, er strahlt Zuversicht aus. Er arbeitet mit der gleichen Mannschaft wie im Frühjahr. Der Architekt, die Brandschutzexperten, alles wie beim Krankenhaus, „never change a running team“, sagt Brömme. Ein Impfzentrum aufzubauen sei im Grunde leichter als eine Klinik: Sie brauchen ein schnelles Internet, aber immerhin keine Druckluft- oder Sauerstoffanschlüsse. „Technisch sind die Impfzentren nicht so anspruchsvoll“, sagt Brömme.

„Größte globale Logistikoperation“

Allerdings müssen die Impfstoffe, muss das ersehnte Gut ja auch erst mal zu Brömme, zu den Hunderten weiteren Impfzentren im ganzen Land und in die ganze Welt gelangen. Und spätestens dabei wird es dann doch kompliziert.

„Die größte und komplexeste globale Logistikoperation, die jemals unternommen wurde”: So nennt der internationale Airline-Verband IATA die Verteilung der Corona-Impfstoffe. Das liegt nicht am Gewicht oder an der Größe der Impfdosen, sondern zunächst an der schieren Menge: Brömme erwartet allein für Berlin für die erste Phase, der Impfung von Risikogruppen, 900 000 Dosen, weltweit müssen Milliarden an ihr Ziel gebracht werden, bis in entlegene Winkel.

Vor allem aber ist ein Teil der möglichen Impfstoffe sehr wärmeempfindlich. Die Vakzine von Pfizer und Biontech etwa brauchen beim Transport Temperaturen von minus 70 Grad, bei Kühlschranktemperatur halten sie sich nur einige Tage. Die Firmen Moderna und Curevac versichern, ihnen genügten auch normale Kühlschranktemperaturen. Doch haben gerade die RNA-Bestandteile in modernen Impfstoffen eine ausgeprägte Vorliebe für niedrige Temperaturen, weil sie sonst zu degenerieren drohen.

Impfstoffe müssen gekühlt werden

Transporte bei minus 70 Grad, das klingt nach einer Aufgabe zum Verzweifeln. Oder nach einer großen Chance, einer guten Idee zum Durchbruch zu verhelfen. Joachim Kuhn neigt zu Letzterem. „Der aktuelle und kommende Bedarf”, sagt er gelassen, „ist nichts, was uns große Kopfschmerzen bereiten würde.“

Der promovierte Physiker Kuhn, 57, hat sein Unternehmen namens Va-Q-Tec bereits 2001 mit seinem Mitstreiter Roland Caps in Würzburg gegründet – in der Ahnung, dass Kältetransporte bei einem Boom der Biotechnologie sehr gefragt sein werden.

Jetzt, knapp 20 Jahre später, erweisen sich ihre Kühlboxen und -container als wichtiges Mittel im Kampf gegen eine globale Krise: Bis zu zehn Tage lang können sie in ihrem Inneren eine Temperatur von minus 70 Grad halten, ohne dass man dafür noch einmal Energie zuführen müsste. „Unsere Hochleistungskühlboxen basieren, vereinfacht gesagt, auf einem simplen Prinzip: dem Prinzip Thermoskanne”, sagt Kuhn. Einem Vakuum, das die Temperatur konstant hält.

Fränkische Findigkeit – die jetzt weltweit gefragt ist. Bereits im Frühjahr hat Kuhn die Produktion hochgefahren. Es war ja klar, was kommt. Gerade nun hat Va-Q-Tec mit einem „globalen Toppharmahersteller“ einen Vertrag abgeschlossen, der Impfstoff geht in Würzburger Boxen um die Welt. Der Börsenkurs hat sich in den vergangenen drei Monaten verdoppelt – und mit etwa einem Dutzend weiterer Hersteller sei man in Verhandlungen, heißt es.

Dutzende Millionen Impfstoffdosen, die allein in Deutschland an ihr Ziel kommen müssen: Das ist kein Schreckensszenario für die Logistikbranche. DHL, Kühne+Nagel, die großen Firmen bereiten sich längst auf die Verteilung vor. Allein Kühne+Nagel verfügt über 200 klimatisierte Anhänger.

Nur kommen diese Lkw auch irgendwann an – und der Impfstoff muss weiter gekühlt werden. Deshalb klingelt bei Birgit Nolden in Hannover-Hainholz das Telefon dieser Tage deutlich häufiger als sonst. Oft sind Vertreter der Bundesländer dran.

„Alle brauchen Kühlschränke“

Frau Nolden ist Mit-Geschäftsführerin der Firma Tritec, eines Unternehmens, das ein dieser Tage extrem begehrtes Gut herstellt: Kühl- und Ultratiefkühlschränke speziell für Labore, Blutbanken, Krankenhäuser. „Sichere Lagerung Ihrer Proben bei -86 Grad“ verspricht die Webseite. „Die Anfragen haben sich in den letzten zwei bis drei Wochen massiv gehäuft“, sagt Nolden. Alle brauchen jetzt Kühlschränke. Doch der Branche der Ultratiefkühler ist solche Dynamik eher fremd, Tritec zum Beispiel liefert die Geräte, deren Preis im Schnitt im niedrig fünfstelligen Bereich liegt, in der Regel erst nach Bestellung, nicht auf Vorrat. Bis es fertig ist, können gut vier bis fünf Wochen vergehen. „Im Moment“, sagt Nolden, „können wir gar nicht alle beliefern.“ Da blitzt dann auch mal ein Bundesland ab. „Alle Hersteller werden ausverkauft sein“, so prophezeite es auch der Chef eines Konkurrenten, des Unternehmens Binder aus Tuttlingen, in der FAZ.

Scheitert es also den Geräten? Wird Deutschland am Ende noch länger an dem Virus leiden müssen, weil nicht genug Platz im Kühlschrank ist?

Zumindest ist Albrecht Brömme in Berlin sicher, dass ihn dieses Problem in den Impfzentren nicht trifft. Gelagert werde der Impfstoff zentral, dort werde er auch aufgetaut, eine halbe Stunde pro Paket, dann kommt der Impfstoff zu ihm. „Kühlung ist kein Problem“, sagt Brömme. Jedenfalls nicht für ihn, muss man wohl hinzufügen.

Dafür gibt es im Moment noch ein anderes Problem. 200 Mitarbeiter, schätzt Brömme, brauchen sie pro Zentrum, Ärzte ebenso wie medizinisches Fachpersonal. Und wo sollen die herkommen? Es zu finden werde jedenfalls „eine Herausforderung“, prophezeit die Kassenärztliche Vereinigung Berlin. Es gebe zwar eine große Bereitschaft zu helfen, bei Ärzten ebenso wie bei medizinischen Angestellten. Mit der Suche habe man aber noch nicht begonnen – und will es erst tun, sobald es einen Kooperationsvertrag mit der Senatsverwaltung gibt, der alles regelt.

Es geht offenbar um Geld, um eine Anerkennung dessen, was Praxisangestellte in der Pandemie geleistet haben, um knappe Ressourcen. Bei der Impffrage kommt alles wieder zusammen. Albrecht Brömme hofft dennoch darauf, dass seine Impfzentren pünktlich fertig sein werden. An ihm jedenfalls soll es nicht scheitern.

„Für mich war klar: Ich muss das einfach machen”, sagt Brömme. „Wir schaffen das – und da zitieren ich nicht die Kanzlerin, sondern sage das ganz einfach selbst.“