„Direkte Panzerlieferung an Kiew“Göring-Eckardt fordert mehr Waffen für die Ukraine
- Katrin Göring-Eckardt fordert nach ihrem Besuch in Odessa mehr Waffen für die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland – auch als Reaktion auf den neuerlichen Beschuss des Hafens der Stadt.
- Putin müsse von seinem „wahnsinnigen Feldzug“ abgebracht werden, sagt die Bundestagsvizepräsidentin im ausführlichen Interview.
Berlin – Frau Göring-Eckardt, Sie waren gerade in Odessa und haben sich die Lage vor Ort angesehen. Es gibt nun ein Abkommen mit Russland zu ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer. Ist das ein Grund zur Hoffnung auf baldige Friedensverhandlungen?Göring-Eckardt: Offensichtlich nicht. Am Freitag die Unterschrift unter dem Getreideabkommen und am Samstag wird der Hafen von Odessa angegriffen. Putin ist nicht zu trauen. Das ist der nächste Bruch mit den Vereinten Nationen. Das kann nicht unbeantwortet bleiben. Putin täuscht die Ukraine und die Weltgemeinschaft. Das erleben wir, besonders natürlich die Ukraine, seit 2014. Dieser unsinnige, völkerrechtswidrige russische Krieg ist in einer entscheidenden Phase. Es kommt jetzt darauf an, völlig klar zu sein und die Ukraine vollumfänglich zu unterstützen und damit unsere gemeinsame Freiheit zu verteidigen.
Welche Antwort auf den Raketenangriff schwebt Ihnen vor?
Die Ukraine braucht mehr Luftabwehr. Sie muss noch schneller ausreichend Waffen bekommen. Und die internationale Gemeinschaft sollte prüfen, ob Sanktionen gegen Russland gezielt verschärft werden können, um Putin von seinem wahnsinnigen Feldzug abzubringen.
UN-Generalsekretär Guterres und der türkische Präsident Erdogan haben bei den Verhandlungen über das Getreideabkommen vermittelt. Könnte Erdogan, der sowohl zu Russland als auch zur Ukraine Verbindungen hat, ein Vermittler für einen Friedensprozess sein?
Gestern habe ich gesagt: Jeder, der helfen kann, soll helfen. Mit dem Bruch der Vereinbarung keine 24 Stunden später sehe ich aktuell keine Grundlage für Friedensverhandlungen. Putin muss akzeptieren, dass die Ukraine ihre territoriale Integrität behält. Dann machen Verhandlungen Sinn.
Kann Deutschland eine Vermittlerrolle einnehmen?
Unsere Rolle sehe ich jetzt vor allem darin, eine ausreichende Unterstützung der Ukraine mit Waffen zu organisieren – die müssen auch tatsächlich ankommen.
Gutes Stichwort: Polen hat der Bundesregierung ein „Täuschungsmanöver“ beim geplanten Panzerringtausch für die Ukraine vorgeworfen. Deutschland liefere nicht wie erwartet.
Die Wortmeldung aus Polen mag undiplomatisch gewesen sein, sie ist aber ein Weckruf. Deutschland muss handeln. Die Bundesregierung sieht ja bereits Nachjustierungsbedarf. Der Ringtausch funktioniert nicht wie geplant. Die Außenministerin sagt zu Recht, dass wir schauen müssen, wie wir anderweitig aktiv werden können, wenn der bisherige Weg nicht richtig war. Alternativen gehören auf den Tisch. Etwa, direkt Waffen zu liefern, wenn wir das können. Das zu klären ist die Aufgabe der Bundesregierung in den nächsten Tagen.
Sie wären für eine direkte Lieferung von Panzern in die Ukraine? Das wollte die Bundesregierung doch bisher genau nicht.
Wenn das schneller geht und wir oder andere Partner es können.
Wer schläft denn in Deutschland? Verteidigungsministerin Christine Lambrecht? Die Bundeswehr? Die deutsche Industrie?
Die Industrie will verkaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie schläft. Und natürlich wird auch das Verteidigungsministerium unmittelbar klären, woran es mangelt. Ich will, dass das schnell geklärt wird. Es macht einen Unterschied, ob Waffen geliefert werden oder nicht. Russland hat seine unmittelbaren strategischen Ziele nicht erreicht, weil die Ukraine mit den notwendigen und richtigen Waffen ausgestattet war. Davon braucht es mehr. Waffenlieferungen entscheiden mit über die Dauer des Krieges, über Menschenleben. Und natürlich ist ein schnelles Kriegsende zu wünschen.
Welche Sicherheitsgarantien müsste Europa der Ukraine nach einem Ende des Krieges geben?
Es braucht Garantien bereits jetzt. Eine der Sicherheitsgarantien ist der Weg in die EU. Schon der Kandidatenstatus bedeutet, dass wir die Ukraine unterstützen, auch militärisch – jenseits einer Nato-Mitgliedschaft, die die Ukraine nicht mehr anstrebt. Eine Sicherheitsgarantie ist aber auch, dass wir schon jetzt jede Wiederaufbauhilfe leisten und den Blick von der Ukraine nicht mehr abwenden und uns nicht täuschen lassen, dass sie fortwährend von Russland bedroht ist. Dieser Fehler wurde fatalerweise nach 2014 gemacht. Es wird fragil bleiben an dieser europäischen Außengrenze.
Eine der Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die Debatte über eine längere Laufzeit der letzten drei Atomkraftwerke als bis zum Jahresende. Sollten die Meiler am Netz bleiben? Wirtschaftsminister Habeck prüft die Lage gerade wieder.
Es ist eine per se absurde Debatte derjenigen, die uns in die schwierige Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und von Russland gebracht haben. Sie fordern uns Grüne jetzt auf, über unseren Schatten zu springen. Das ist ein starkes Stück. Dass wir angemessen auf die Wirklichkeit reagieren können, haben wir bei den Waffenlieferungen gezeigt. Und der Ökologin blutet das Herz, wenn Gaslieferungen gebraucht werden und die Kohlekraftwerke länger genutzt werden müssen als geplant. Eine solche Bereitschaft für eine realistische Politik wünsche ich mir auch von anderen. Die wenigen Monate mehr elektrische Energie durch eine etwas längere Laufzeit der drei AKW helfen doch nicht weiter. Wir sollten uns besser fragen, wie wir nachhaltig Energie einsparen. Schon das allein ließe uns auf den Atomstrom verzichten.
Und kommt es so?
Wir müssen doch auch auf den Sicherheitsaspekt achten. Atomkraftwerke sind nicht sicher. Sie können angegriffen werden, dafür reicht ein Kleinflugzeug. Dann haben wir einen Super-GAU in Deutschland. Die Hälfte der Atomkraftwerke in Frankreich ist gerade nicht in Betrieb, weil es draußen zu heiß ist und die Meiler nicht gekühlt werden können. Bei einer Hochrisikotechnologie können wir keinen Sicherheitsrabatt geben.