Diskriminierung in der Krise„Menschen wurden angepöbelt und mit Gewalt angegangen“
- Während der Corona-Pandemie wurden manche Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht gestellt.
- Andere beschwerten sich wegen der Maskenpflicht bei der Anti-Diskriminierungsstelle.
- Ein Gespräch mit Bernhard Franke, dem Anti-Diskriminierungsbeauftragten der Bundesregierung, über berechtigte Fälle in diesem Jahr, die Notwendigkeit einer Racial-Profiling-Studie und „Querdenken“-Demos.
Herr Franke, hat Corona zu mehr oder zu weniger Diskriminierung geführt?Bernhard Franke: Im Corona-Jahr ist die Zahl der Beratungsanfragen bei der Anti-Diskriminierungsstelle drastisch angestiegen. Bis Ende November haben wir mehr als 6000 Fälle registriert, gegenüber 3200 Fällen im Vergleichszeitraum 2019. Corona hat also für die Diskriminierung einzelner Gruppen von Menschen wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Bei rassistischen Diskriminierungen gab es im Jahresvergleich eine Zunahme von knapp 70 Prozent.
Woran liegt das?
In Krisen gibt es die Tendenz, Sündenböcke zu suchen. Zunächst wurden vor allem Menschen mit asiatischem Aussehen diskriminiert, angepöbelt und teilweise mit Gewalt angegangen. Ihnen wurde der Zugang zu Geschäften versagt mit der Bemerkung, man wolle sich nicht Corona ins Haus holen. Auch Sinti und Roma waren betroffen, deren Wohnhäuser publikumswirksam abgeriegelt wurden. Menschen mit türkischem oder arabischem Hintergrund fühlten sich unter Generalverdacht gestellt, weil einzelne Hochzeitsfeiern zu Infektionssprüngen geführt hatten. Dabei wurde ja auch anderswo gefeiert, in bayerischen Dörfern zum Beispiel. Und das Virus unterscheidet nicht zwischen Ethnien – in Neukölln genauso wenig wie in Hildburghausen.
Gab es auch andere Diskriminierungsbeschwerden?
Es gab eine Reihe von Anfragen wegen der Maskenpflicht. Die kamen vor allem von Menschen, die wegen einer Behinderung keinen Mund-Nasen-Schutz tragen können. Aber es haben sich auch Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker wegen der Maskenpflicht als Diskriminierungsopfer stilisiert.
Wie reagieren Sie da?
Durch die Maskenpflicht können nur Menschen mit einer Behinderung diskriminiert werden. Und es muss im Einzelfall abgewogen werden zwischen dem Gesundheitsschutz anderer und dem Diskriminierungsschutz. Da reicht es nicht, wenn man eine Maske grundsätzlich ablehnt, weil man das Virus für ungefährlich hält oder für den Teil einer Verschwörung. Wenn Maskengegner sich mit Pseudo-Attesten ausstatten, die sie zum Beispiel aus dem Internet ausdrucken, geht das auf Kosten der Menschen mit Behinderungen, die tatsächlich Probleme haben. Die werden damit diskreditiert, weil die Wahrhaftigkeit von Attesten grundsätzlich in Frage steht.
Was muss auf einem Attest stehen, damit es nachvollziehbar ist?
Auf Attesten steht nichts, das über die Krankheit Auskunft gibt, das ist aus Datenschutzgründen auch richtig so. Wichtig ist, dass Betroffene darüber hinaus eine Behinderung nachweisen können, beispielsweise mit einem Schwerbehindertenausweis. Das halten wir für und übrigens auch die Behindertenverbände für zumutbar.
Protest gegen Corona-Maßnahmen wird oft mit Vergleichen mit der Nazi-Zeit verbunden.
Die antisemitischen Bezüge auf Demonstrationen und die Schamlosigkeit, mit der Menschen sich mit Widerstandskämpfern und Opfern der Nazi-Zeit vergleichen, sind besorgniserregend. Das ist nicht nur krude, geschichtsvergessen und egoistisch. Es ist auch der Versuch, den Diskurs in eine demokratiefeindliche Richtung zu verschieben. Es ist wichtig, dass das öffentlich thematisiert und scharf kritisiert wird.
Könnte sich ein Wirt, der sein Restaurant nicht mehr öffnen darf, über berufsbezogene Diskriminierung beschweren?
Wenn Gastwirte anders behandelt werden als Friseure, ist das keine Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das Gesetz verbietet Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Lebensalter, sexueller Identität und Religion oder Weltanschauung.
Manche fordern einen Schutzschirm für Risikogruppen, zum Beispiel mit speziellen Einkaufszeiten. Wie sehen Sie das?
Ich halte das nicht für sinnvoll und auch diskriminierungsrechtlich problematisch, bei bestimmten Gruppen den Zugang zu Einkaufsmöglichkeiten einzuschränken oder hier zu unterscheiden.
Gibt es positive Entwicklungen im Umgang mit Diskriminierungen?
Es ist ein Fortschritt, dass sich die Koalition auf 89 Einzelmaßnahmen gegen Rassismus geeinigt hat. Für uns ist vor allem wichtig, dass die Frist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, innerhalb derer man Rechtsansprüche wegen Diskriminierung geltend machen kann, von zwei auf sechs Monate verlängert wird. Wir hätten uns aber noch mutigere Schritte vorstellen können.
Es hat auch eine lange Debatte über Rassismus in der Polizei gegeben...
… die leider ohne nachvollziehbaren Grund vom Bundesinnenminister für beendet erklärt wurde - gegen die ausdrückliche Bitte des Europarats, eine Studie zum Racial Profiling vorzulegen. So eine Studie ist weiterhin dringend nötig. Das gilt auch für unabhängige Beschwerdewege gegen Vorgehen der Polizei.
Der Begriff Rasse soll aus Artikel 3 des Grundgesetzes gestrichen werden, der Diskriminierung verbietet. Wodurch sollte er ersetzt werden?
Der Begriff Rasse ist wissenschaftlich nicht haltbar. Nötig ist ein zeitgemäßer Begriff, der keine Schutzlücken entstehen lässt. Sinnvoll wäre es, von rassistischer Diskriminierung zu sprechen, um den Blick auf den Täter zu lenken, der diskriminiert.
Welche Folgen hätte es, wenn der Schutz von Kindern ins Grundgesetz aufgenommen wird?
Das würde den Schutz vor Diskriminierung wegen des Lebensalters stärken. Es wäre ein wichtiges Signal. Manche Hotels und Restaurants, die den Zutritt oder die Beherbergung von Kindern ausschließen, bekämen vermutlich Probleme.
Die Koalition hat auch beschlossen, die Frauenquote für Vorstände von Dax-Unternehmen zu verschärfen. Gehen Sie da von einer Beschwerdewelle aus – oder ist das ohnehin nicht so ihr Klientel?
Wir hatten auch schon Beschwerden aus der Management-Ebene. Aber ich erwarte nicht, dass dieses Gesetz zu einer Beschwerdeflut führt.