AboAbonnieren

Drei mögliche ErklärungenImmer mehr rätselhafte Brände in Russland

Lesezeit 4 Minuten
Brand Bryansk

Brand in Öllager im russischen Bryansk

  1. Mal brennen Öllager ab, mal geht ein Zentrum für Raketenforschung in Flammen auf.
  2. Während Russland in der Ukraine Krieg führt, muss es im eigenen Land immer öfter mit mysteriösen Großbränden kämpfen.
  3. Wer könnte dahinter stecken?

Gegen zwei Uhr in der Nacht zum Montag begann in Bryansk der Himmel zu leuchten. Zwei Öldepots gingen in Flammen auf. Die russische 400.000-Einwohner-Stadt, 154 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, erlebte plötzlich Szenen wie im Krieg. Gigantische Rauchwolken erhoben sich, Rettungswagen rasten durch die Straßen, beklommen blickten Anwohner auf die gespenstische Szenerie.

Im Morgengrauen gab das russische Katastrophenschutzzentrum Entwarnung: Niemand sei verletzt worden. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass erwähnte den Brand zwar in ihren Morgennachrichten, fuhr das Thema aber auf kleiner Flamme: In Bryansk hätten „Öltanks Feuer gefangen“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Unerwähnt blieb, dass es sich um zwei verschiedene Depots handelte, die unmöglich zeitgleich durch Zufall oder Fahrlässigkeit hätten in Brand geraten können.Unerwähnt blieb auch das Ausmaß des Schadens. Der Bryansker Brand Nummer eins zerstörte ein Öldepot des Konzerns Rosneft, das mit der Druschba-Pipeline verbunden ist. Durch dieses Röhrensystem, das größte der Welt, pumpt Russland Öl nach Westen. Der Bryansker Brand Nummer zwei, der einige Minuten später begann, ließ die Tanklager einer russischen Militärbasis in Flammen aufgehen.

Wer hat das Feuer von Bryansk in Gang gesetzt?

Dass es einen Zusammenhang geben könnte zur russischen Invasion in der Ukraine, liegt auf der Hand. Doch wer hat das Feuer in Gang gesetzt? Und wie?Drei Szenarien gelten als denkbar:

Militärische Attacke der Ukraine: Der Londoner Verteidigungsexperte Rob Lee hält es für möglich, dass die Öldepots von der ukrainischen Armee mit Raketen beschossen wurden. Tatsächlich hat die Ukraine noch immer Kurzstreckenraketen vom Typ Totschka in ihrem Arsenal. Allerdings bringt die Distanz zwischen Bryansk und der ukrainischen Grenze das aus sowjetischen Zeiten stammende Waffensystem bereits an seine Reichweitengrenze. Zudem gibt es keinen Hinweis auf das Auslösen russischer Luftabwehrsysteme - obwohl Bryansk in einer Zone liegt, in der nach russischer Einschätzung mit ukrainischen „Terrorangriffen“ zu rechnen ist.Anschlag ukrainischer Guerillakämpfer: Videos von Überwachungskameras lassen auch die Deutung zu, es handele sich um einen vor Ort ausgeführten

Sprengstoffanschlag, mit ferngesteuerten Ladungen. Auch in diesem Fall fiele naturgemäß ein Verdacht auf ukrainische Kämpfer - wobei aber fraglich ist, ob Aufwand, Risiko und Ertrag einer solchen Aktion tief in Feindesland in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

Anschlag durch russische Saboteure: In Betracht kommt auch eine Tat russischer Regimegegner, die der Regierung und der Armee schaden wollen. Im März hatten laut „Washington Post“ bereits in Belarus Oppositionelle in Zusammenarbeit mit Bahnarbeitern Güterzüge entgleisen lassen: Die „Railway-Rebellen“ hätten damit den russischen Einmarsch erheblich gebremst und erschwert. Anfang April kam es auch in Russland, in der Region Belgorod, zu einer rätselhaften Entgleisung eines Güterzugs.Haben sich die Bahn-Saboteure inzwischen aufs Zündeln verlegt? Anfang April war auch ein Öldepot in Belgorod in Flammen aufgegangen. Russische Beamte hatten damals an Ort und Stelle von einem ukrainischen Hubschrauberangriff gesprochen – für den es aber keinen Beweis gab. Die Hubschrauber hätten in diesem Fall unbemerkt 50 Kilometer tief nach Russland hineinfliegen müssen.

Während nach älteren Vorkommnissen wie diesem immer noch alle Fragen offen sind, erlebt Russland immer neue mysteriöse Fälle.

17 Tote im Raketenforschungszentrum im russischen Twer

Am 21. April schlugen um 11 Uhr vormittags plötzlich Flammen aus dem Raketenforschungsinstitut des russischen Verteidigungsministeriums in Twer, 180 Kilometer nordwestlich von Moskau. Das Feuer begann im zweiten Stock und breitete sich rasend schnell aus. Das Gebäude brannte vollständig aus, das Dach stürzte ein. Forscher sprangen aus dem dritten Stock, um ihr Leben zu retten, viele überlebten schwer verletzt, ein Teil der Todesopfer wurde erst Tage später unter den Trümmern gefunden.In dem Institut wurde unter anderem an der Iskander-Rakete geforscht, die derzeit auch in der Ukraine eingesetzt wird und sowohl konventionelle wie auch nukleare Sprengköpfe tragen kann. Zu den aktuellen Forschungsprojekten in Twer sollen auch Stealth-Techniken gehören, die Flugzeuge für Radarsysteme unsichtbar machen.Nach dem Brand sprachen die russischen Behörden anfangs von fünf Todesopfern, dann von sieben. Am 24. April korrigierte die staatliche Nachrichtenagentur Tass die Zahl noch einmal deutlich nach oben, auf 17.

Zur Brandursache gibt es von den russischen Behörden keine Hinweise. Als erste Erklärung war am 21. April ein nicht näher beschriebener „Defekt im Stromnetz“ genannt worden.

Großbrände in Russland: Es muss nicht immer Sabotage sein

Ebenfalls am 21. April brannte eine der größten chemischen Produktionsanlagen Russlands nieder, die Dimitrewski-Fabrik in Kineschma, etwa 400 km nordöstlich von Moskau. Das Unternehmen nennt sich selbst „der größte Hersteller von Butylacetat und industriellen Lösungsmitteln in Russland und Osteuropa“.

Als am 22. April auch noch Meldungen die Runde machten, das Dach des Korolyov Industrial Centers vor den Toren Moskaus sei in Brand geraten, mahnten Russlandkenner auf Twitter zur Mäßigung: Nicht jeder Brand dürfe mit dem Krieg in der Ukraine in Zusammenhang gebracht werden. In vielen Fällen sei der Hinweis der Behörden auf Kurzschlüsse, veraltete Kabel und fehlende Alarmanlagen durchaus berechtigt. Schlechter Brandschutz sei auch ohne Krieg in der Ukraine Teil der russischen Realität.