Droht ein Blackout im nächsten Winter?Strom von fünf Atomkraftwerken fehlt bereits
Der Winter ist noch nicht vorüber und schon denken Politiker und Energiemanager an den nächsten Winter. Bei der Stromversorgung könnte es eng werden. Droht gar ein Blackout? Klar ist, dass die Reservekapazitäten zur Erzeugung der elektrischen Energie aufgestockt werden müssen. Nach den Daten der Bundesnetzagentur (BnetzA), die auch für Versorgungssicherheit zuständig ist, muss die sogenannte Netzreserve für den Winter 2022/2023 massiv, und zwar auf gut 10.600 Megawatt aufgestockt werden - wegen des Atom- und des eingeleiteten Kohleausstiegs. Das geht aus einem BnetzA-Bericht von Ende April 2021 hervor.
Auf der anderen Seite stehen die „systemrelevanten Kraftwerke“, deren maximale eine Leistung derzeit laut BnetzA bei nur 6800 Megawatt liegt. Zwischen der notwendigen und der zur Verfügung stehenden Leistung klafft eine Lücke von etwa 3800 Megawatt. Die Anlagen in der Netzreserve sind nicht am Strommarkt aktiv und dürfen nur auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber angeworfen werden, um für Versorgungsicherheit zu sorgen. Solche Eingriffe werden fast ausschließlich im Winter notwendig, wenn die Erneuerbaren extrem wenig Strom erzeugen.
Verlust von bis zu 6400 Megawatt
Die Lücke könnte sich vergrößern, wenn man beachtet, dass zur Netzreserve derzeit eine Reihe von Gaskraftwerken gehört, die es insgesamt knapp 1600 Megawatt bringen. Seit einigen Tagen wird in der Branche darüber spekuliert, dass Russland seine Gaslieferungen, die gut die Hälfte des hiesigen Gasbedarfs abdecken, eingeschränkt oder komplett eingestellt werden könnten.
Mit dem flüchtigen Brennstoff ist auch die Kapazitätsreserve bestückt. Ihre Funktion: Sie soll am Strommarkt zusätzliche Leistung bereitstellen, wenn kein ausreichendes Angebot zur Deckung der gesamten Nachfrage zur Verfügung steht. Dieser Puffer ist gut 1000 Megawatt stark. Addiert man alles auf, könnten rechnerisch im nächsten Winter bis zu 6400 Megawatt für die Versorgungsicherheit fehlen.
Kraftwerksreserven seien höchste Priorität
Ein BnetzA-Sprecher sagte auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) lediglich: „Fragen der sicheren Strom- und Gasversorgung werden in der Bundesnetzagentur aktuell mit größter Priorität bearbeitet. Das betrifft auch die Frage, dass weiterhin ausreichend Kraftwerksreserven zur Verfügung stehen.“ Nach Informationen des RND wird in der Bonner Behörde derzeit mit Hochdruck an der Aktualisierung der Zahlen gearbeitet.
Zudem sollen Experten der Netzagentur derzeit prüfen, wie sicher die Lieferung von ausreichend Brennstoff für die Gaskraftwerke noch beurteilt werden kann. Derweil plant dass die Bundesregierung, eine Gas- und eine Kohlereserve für den nächsten Winter anzulegen. Indes heißt es aus den Reihen der Betreiber von Steinkohlekraftwerken: „Wir wundern uns, dass die Netzagentur oder das Wirtschaftsministerium sich noch nicht gemeldet haben“.
Beschlossenen Kohleausstieg bremsen?
Erwartet werden Anfragen, ob stillgelegte Blöcke reaktiviert werden oder ob Meiler, die demnächst heruntergefahren werden sollen, noch weiter betrieben werden können. Das Wirtschaftsministerium reagierte auf eine Anfrage des RND zunächst nicht. Auch zahlreiche Staatskanzleien der Bundesländer fordern inzwischen, eine Art Renaissance der Kohleverstromung einzuleiten und den beschlossenen Kohleausstieg zu bremsen.
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Und die Chefin des Dachverbandes der Energiebrache, Kerstin Andreae, schreibt in einer Kolumne für der RND: Es müsse überprüft werden, „ob für die Versorgungssicherheit eventuell Kohlekraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft aktiviert werden müssen“. Bei der Sicherheitsbereitschaft handelt es sich um den dritten Pfeiler der Kraftwerksreserven. Es sind ältere Braunkohleblöcke mit noch insgesamt 1800 Megawatt Leistung, die hochgefahren werden sollen, wenn es mit allen anderen Maßnahmen es nicht gelungen ist, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Sicherheitsbereitschaft sollte eigentlich bis 2024 aufgelöst werden.
Kurzfristiges Ziel: Einsparungen beim Erdgasverbrauch
Felix Matthes vom Öko-Institut denkt derweil über den nächsten Winter hinaus: „Wir müssen jetzt ausbaden, dass frühere Bundesregierungen über ein Jahrzehnt den Ausbau der erneuerbaren Energien versäumt haben. Diese Defizite lassen sich nicht adhoc beheben.“ Wichtig sei – auch kurzfristig – Einsparungen beim Erdgasverbrauch zu erreichen.
Ferner müsse die Bundesregierung so viel verflüssigtes Erdgas, wie sie kriegen kann, einkaufen und damit die Erdgasspeicher für den nächsten Winter füllen. Matthes fügt hinzu: „Mittelfristig muss Deutschland den Anteil von russischem Gas am Gesamtbedarf auf weniger als 25 Prozent reduzieren – das kann in fünf Jahren umgesetzt werden. Mit weniger als 25 Prozent würde die Gefahr von Engpässen bei der Gasversorgung, falls Russland nicht liefert, gebannt.“ (rnd)