EnergiekriseRobert Habeck verteidigt Gasumlage: „Gerechtest mögliche Form“
Berlin – Die Bekanntgabe erfolgte online mit einer so kurzen wie nüchternen Pressemitteilung unter der flapsigen Überschrift „Was gibt‘s Neues?“ – doch der Inhalt hatte es in sich.
„Die Gasbeschaffungsumlage wird 2,419 Cent pro Kilowattstunde betragen“, verkündete am Montagmittag die Trading Hub Europe, einer von den deutschen Netzbetreibern gegründeten Dienstleistungsfirma, die den Gashandel abwickelt und sicherstellt, dass der deutsche Gasmarkt technisch funktioniert.
Ministerium hatte doppelt so hohe Umlage befürchtet
Weil die Bundesregierung es vor einer Woche gesetzlich ermöglicht hatte, dass die deutschen Gashändler sich vom 1. Oktober an ihre Zusatzkosten durch den Mangel an russischen Gaslieferungen erstatten lassen können, hatten insgesamt zwölf Gasimporteure ihren Bedarf bis 2024 geschätzt und dürfen nun 90 Prozent davon auf Verbrauchende und Unternehmen umlegen: insgesamt 34 Milliarden Euro.
Das war zwar weniger, als etwa das Bundeswirtschaftsministerium vorab befürchtet hatte. Dort hatte man mit einer bis zu doppelt so hohen Umlage gerechnet. Trotzdem führte die verkündete Zahl sofort zu heftigen Reaktionen aus Politik und Wirtschaft, zu großen Ängsten und zu besorgten Versuchen der Bundesregierung, die Lage durch Hilfszusagen zu beruhigen.
Empörung kam etwa von der Linksfraktion und von der Industrie. Von einem „Schlag gegen den Osten“ sprach etwa der Ostbeauftragte der Linken, Sören Pellmann. Wegen geringerer Einkommen und Rücklagen dort sei die Umlage „für Hunderttausende Ostdeutsche eine Rutschbahn in die Existenzkrise“: „Wir brauchen neue Montagsdemos im Osten wie damals gegen Hartz IV.“
Linke ruft zu Protest auf
Doch auch der Verband der Chemischen Industrie befürchtet Zusatzkosten von mehr als 3 Milliarden Euro: „Für unsere energieintensive Branche ist das eine extrem bittere Pille.“
Und der Bundesverband Neue Energiewirtschaft kritisiert, die Bundesregierung habe „mit der Umlage einen aufwändigen und zudem nicht ausgewogenen Weg eingeschlagen, um die angeschlagenen Gasimporteure zu stützen“: unnötig bürokratisch, zusätzlich preistreibend und eine zu hohe Last für Verbraucher und Verbraucherinnen. „Der Staat sollte der Einfachheit halber die Gasimporteure direkt aus dem Bundeshaushalt unterstützen.“
Umlage statt neue Steuer
Das sei aber nicht möglich gewesen, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag: Eine Finanzierung der Zusatzkosten über eine Steuer für alle Bürger und Bürgerinnen oder über eine Steuer auf den Gasverbrauch hätten „die politischen Rahmenbedingungen, unter denen diese Koalition arbeitet“, nicht hergegeben – womit er das Nein der FDP zu neuen Steuern gemeint haben dürfte.
Deshalb sei die einzig machbare Alternative eine Umlage gewesen, die ausschließlich die Bürger und Bürgerinnen zahlen, deren Versorger russisches Gas bekommt – was sehr ungerecht gewesen wäre. Die Umlage für alle, die nun komme, sei zwar „bittere Medizin“, so Habeck. „Aber sie ist die gerechtest mögliche Form, die auflaufenden Zusatzkosten zu verteilen.“
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Der Schritt sei notwendig, um die Wärme- und Energieversorgung in den privaten Haushalten und der Wirtschaft aufrechtzuerhalten, betonte Habeck: „Sonst wäre die Versorgungssicherheit gefährdet.“
Was mit der Umlage, die zeitlich begrenzt bis zum 1. April 2024 erhoben und alle drei Monate an die tatsächlichen Beschaffungspreise angepasst werden soll, auf die Verbraucher und Verbraucherinnen zukommt, teilten am Montag die Vergleichsportale Verivox und Check 24 dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit: Bei einem Haushalt mit Einfamilienhaus und einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden (kWh) betragen die zusätzlichen Mehrkosten rund 484 Euro im Jahr.
Erst im November auf der Rechnung
Für einen Singlehaushalt, der 5000 kWh pro Jahr verbraucht, verteuert sich die Gasrechnung netto um 121 Euro im Jahr, ein Paar mit einem Jahresverbrauch von 12.000 kWh zahlt 290 Euro mehr. Wegen Ankündigungsfristen im Energiewirtschaftsgesetz werde die Umlage wahrscheinlich erstmals im November oder Dezember auf den Rechnungen auftauchen.
Würde zusätzlich die Mehrwertsteuer anfallen, stiegen die Kosten sogar um 576 Euro für den Familienhaushalt, 345 Euro für Paare und 144 Euro für Singles. Die Bundesregierung will allerdings verhindern, dass diese fällig wird.
So hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die EU um eine Ausnahme vom geltenden Europarecht gebeten, damit er auf die Gasumlage keine Mehrwertsteuer erheben muss: „Mehrwertsteuer auf staatlich erhobene Abgaben treibt die Preise in die Höhe und stößt auf zunehmenden Widerstand in der Bevölkerung, besonders in der aktuellen, außergewöhnlichen Situation“, schreibt Lindner darin.
Auch Habeck hatte zuvor betont, gegen die Mehrwertsteuer auf die Umlage zu sein – war aber zugleich skeptisch, ob sich die entsprechende EU-Richtlinie umschiffen lasse. Zwar solle nun die „volle politische Kampfkraft in diesen Prozess“ fließen, so Habeck. Falls es nicht gelinge, versprach er aber andere „Ausgleichsmechanismen“: „Für viele Menschen werden das Erhöhungen sein, die nicht armutsgefährdend sind, für manche andere aber sehr wohl“, so Habeck. Sie müssten und werden von einem weiteren Entlastungspaket begleitet werden.