Gasboykott„Wenn Putin Einnahmen wegbrechen, hat er ein viel größeres Problem als wir“
- Moritz Schularick (46) lehrt Volkswirtschaft an der Universität Bonn.
- Zu Beginn dieses Jahres gewann Schularick den mit 2,5 Millionen Euro Forschungsgeldern dotierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
- Laut seiner Studie wäre der Abschied von russischen Energielieferungen für Deutschland schmerzhaft, aber verkraftbar.
Herr Professor Schularick, wie erklären Sie ihre Lockerheit? Ganz Deutschland blickt gebannt auf Wladimir Putin, in der Angst, er könne uns bald den Gashahn zudrehen. Und jetzt kommen Sie mit ihren Professorenkollegen um die Kurve und sagen: Fürchtet euch nicht, es ist eigentlich alles halb so wild.Moritz Schularick: Ich will wirklich nichts klein reden. Aber ich sage auch: Deutschland hat keinen Grund zur Panik. Betrachten Sie einfach mal die Ausgangslage: Putins russischer Staatshaushalt hängt zu etwa 40 Prozent an den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Wenn ihm das wegbricht, hat er ein viel größeres Problem als wir. Wir sollten also diese Debatte ein bisschen selbstbewusster führen, statt jeden Tag aufs Neue zu betonen, wie unglaublich mächtig Putin doch sei, weil er uns angeblich alle in der Hand hat. Strategisch besser wäre es, wenn wir anfingen, von uns aus an der Fortsetzung dieser Lieferungen zu rütteln.
Glauben Sie, Olaf Scholz und seine Koalition hätten den Mut dazu?
Natürlich hat niemand in Berlin, der gerade frisch gewählt ist, Lust darauf, die deutsche Volkswirtschaft von sich aus in eine Rezession zu schicken. Das kann ich politisch betrachtet durchaus verstehen.
„Zu erwarten wäre eine mittlere Rezession“
Der Kanzler fürchtet offenbar, die Deutschen würden dann ihn verantwortlich machen für die Folgen und nicht Putin.
Genau. Also wartet er ab, ob vielleicht Putin den Hahn abdreht. Dann ist der schuld. Das Problem ist nur: Wenn man den Abschied von den russischen Energielieferungen weiter hinauszögert, kann es teurer werden, als wenn man die Sache jetzt von sich aus in Angriff nimmt.
Wie groß wären denn die ökonomischen Nachteile bei einem Wegfall von russischen Öl- und Gaslieferungen nach Deutschland? Drohen Massenarbeitslosigkeit und Verelendung?
Nein. Wir haben in unserer Studie versucht, die zu erwartenden Effekte so genau wie möglich zu berechnen, nach den besten verfügbaren Methoden, die auch dem internationalen Stand der Forschung entsprechen. Das Ergebnis war auch für uns ein bisschen überraschend: Der Schaden wäre zwar substanziell, aber beherrschbar. Zu erwarten wäre eine mittlere Rezession. Ja, es würden Jobs verloren gehen. Und ja, die Staatsverschuldung würde abermals steigen. Im schlimmsten Fall wäre es noch einmal eine Belastung wie bei der Corona-Rezession. Aber auch die haben wir überstanden.
Wird Gas überschätzt?
Sagen wir es so: Die Flexibilität einer modernen Volkswirtschaft wie der deutschen wird unterschätzt. Sobald ein Faktor wie das Gas deutlich knapper wird, kommen plötzlich Tausende, wenn nicht Millionen von Anpassungsprozessen in Gang, große und kleine, in großen Firmen, kleinen Firmen und in Privathaushalten. Jeder reagiert auf seine Art auf Preissignale. Dieser Mechanismus ist ebenso schlicht wie wirkmächtig, wenn man die Effekte zusammenrechnet. Die Auswirkung eines Wegfalls der russischen Lieferungen auf die gesamte Volkswirtschaft würde unterm Strich erheblich gedämpft.
„Die Sorge um Arbeitsplätze ist berechtigt“
Aber was passiert mit Betrieben, die Gas schlecht ersetzen können? Manche haben einen extrem hohen Energiebedarf, andere brauchen Gas aus chemischen Gründen. Was machen Sie mit einem Unternehmen aus der Glasindustrie, das plötzlich nicht mehr kostendeckend arbeiten kann?
In der Tat kann es sein, dass Unternehmen in genau diese Lage geraten. Die rufen dann im Kanzleramt an und schlagen Alarm, klarer Fall. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein zu sagen: Wir helfen als Staat für eine Übergangszeit. In anderen Fällen wird man auch sagen: Wir nehmen es hin, dass Unternehmen eine besonders energieintensive Produktion ins Ausland verlagern. Dann kommt das Glas künftig aus Kanada. So ehrlich muss man sein. Vielleicht werden wir in Deutschland auch Ammoniak nicht mehr herstellen können. So etwas ist schlimm für den einzelnen betroffenen Betrieb. Der deutschen Volkswirtschaft insgesamt schadet es aber weniger, als viele denken.
Als Professor kann man das leicht sagen. Wir reden hier über Arbeitsplatzverluste in Deutschland.
Die Sorge um Arbeitsplätze ist berechtigt, der Staat wird vieles abfedern müssen. Darin haben wir aber auch Erfahrung. Denken Sie an die Bankenkrise, denken Sie Corona. Entscheidend ist, dass wir nicht in einen technologischen Stillstand geraten, sondern nach vorn gehen, besonders beim Einsatz erneuerbarer Energien. Dann kämpfen wir uns, wenn es gut geht, vor in Richtung einer zukunftstauglicheren Wirtschaft in diesem Land.
Das könnte Sie auch interessieren:
Entpuppt sich am Ende, so makaber das klingt, Wladimir Putin als Verbündeter von Greta Thunberg?
Jedenfalls besteht die Möglichkeit, diese Krise als Chance zu nutzen: Vielleicht können wir den Verzicht auf fossile Energieträger vorantreiben wie in einem Zeitraffer. Das Ergebnis wäre nicht nur mehr Klimaschutz, sondern auch weniger Erpressbarkeit von außen.
Die große Koalition hat in Russland nicht nur viel Gas bestellt, sondern auch noch den größten Gasspeicher in Deutschland und Europa an Gazprom verkauft, die Anlage im niedersächsischen Rehden. Der aktuelle Füllstand liegt dort bei 0,5 Prozent.
Da kann ich wirklich nur sagen: Wie dumm kann man denn sein? Die Kurzsichtigkeit dieser Politik war wirklich atemberaubend. Da wurde einfach mal eine Wette gemacht auf billiges Gas aus Russland als Übergangsenergie, und das ist dann gründlich schiefgegangen – weil man allzu sehr auf einen einzigen Lieferanten setzte. Dass man Gazprom auch noch die Speicher gab, setzt dem Unfug die Krone auf. Ich würde empfehlen, sie Gazprom wieder wegzunehmen
Durch Enteignung?
Ja, ganz klar. Hier geht es um Versorgungssicherheit, um eine Einrichtung der kritischen Infrastruktur in Deutschland. So etwas gehört nicht in die Hand einer Firma, über die der Kriegsherr Wladimir Putin gebietet.