Gegen Impfpflicht, für Krieg?Warum einige Corona-Leugner nun Putin-Versteher sind
Berlin/Moskau – Mit dem beginnenden Frühling und den abklingenden Corona-Schutzmaßnahmen ziehen die Proteste von Impfgegnern und Corona-Maßnahmen bundesweit deutlich weniger Menschen an als noch vor wenigen Monaten. Doch bei einigen Demonstrationen verstärkt sich seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine bereits deutlich ältere Entwicklung: Zahlreiche Corona-Maßnahmengegner stellen sich auf die Seite Russlands und geben der Nato die Schuld am Krieg.
Nirgends wurde diese Entwicklung deutlicher als in der vergangenen Woche im sächsischen Bautzen: Dort feierte der Verschwörungsideologe und frühere Radiomoderator Ken Jebsen nach einigen Monaten in der Versenkung sein Protest-Comeback. Umgeben von sächsischen und russischen Fahnen und mindestens einer schwarz-weiß-roten Fahne des deutschen Kaiserreichs machte er bei einer Corona-Demonstration den Westen für den Krieg in der Ukraine verantwortlich.
Verständnis für Russland, Schuld bei der Nato
Jebsens Auftritt kommt nicht überraschend: Schon 2014 gehörte er zu den Protagonisten der selbsternannten „Friedensmahnwachen“, die angesichts der Eskalation in der Ostukraine und der russischen Annexion der Krim nicht gegen die russische Politik, sondern gegen den Westen und die Nato auf die Straße gingen. Bundesweit organisierten Anhänger dieser durch Antiamerikanismus und den Glauben an Verschwörungsideologien geprägten Bewegung montägliche Proteste.
Nur wenige Monate später begannen die ebenfalls montags stattfindenden und von Dresden ausgehenden Pegida-Demonstrationen. „Es gibt Überschneidungen zwischen den Friedensmahnwachen von 2014, Pegida und den Corona-Protesten der letzten Jahre“, erklärt der Soziologe Johannes Kiess vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung der Universität Leipzig.
„Man kann das an einzelnen Personen wie Jürgen Elsässer gut nachvollziehen“, sagt Kiess. Elsässer ist Chef des rechtsextremen „Compact-Magazins“, das rechtsextreme und rassistische Positionen der Pegida-Proteste regelmäßig mit Verschwörungserzählungen kombiniert, die sowohl für die „Friedensmahnwachen“ im Jahr 2014 als auch die Corona-Leugner-Szene prägend waren.
Sogenannte Reichsbürger vor russischer Botschaft
Diese personellen und ideologischen Kontinuitäten hatten sich bereits zu Beginn der Corona-Proteste im Jahr 2020 gezeigt. In Berlin hatten sich im Zuge dieser Proteste mehrfach sogenannte Reichsbürger vor der russischen Botschaft versammelt, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur „Befreiung“ Deutschlands aufzufordern.
„Man muss die russische Regierung mittlerweile als faschistisches Regime betrachten“, sagt Johannes Kiess. „Die Politikvorstellungen, die Putins Regierung verkörpert, vertreten auch Neurechte und andere rechtsextreme Akteure in Deutschland“, erklärt der Soziologe die Nähe vieler Pegida- und Corona-Demonstranten zu Russland. Hinzu komme ein weit verbreiteter Antiamerikanismus, der sich durch das gesamte politische Spektrum ziehe.
Perfider Schritt: „Wir demonstrieren auch für den Frieden“
Kiess sieht auch strategische Überlegungen in der Corona-Leugner-Szene am Werk. „Die Corona-Proteste sind auf einem absteigenden Ast, weil die meisten Corona-Maßnahmen auslaufen“, sagt er. Zudem sei der Ukraine-Krieg als Thema in der Gesellschaft viel dominanter.
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„Teile der Corona-Protestbewegung haben schnell darauf reagiert und gesagt: wir demonstrieren auch für den Frieden“, sagt Kiess. Das sei ein folgerichtiger, aber perfider Schritt. „Ein Slogan der Proteste lautete schon lange: “Frieden, Freiheit, keine Diktatur„. Wo die Begriffe Freiheit und Diktatur bereits umgedeutet wurden, ist es nur logisch, dass das nun noch stärker auch mit dem Begriff Frieden geschieht“, sagt der Forscher.
Die Szene werde Probleme haben, mit diesem Thema so viele Menschen zum Protest zu bewegen, wie mit den Corona-Maßnahmen, glaubt Kiess. „Die Herausforderungen durch die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter und steigende Energiepreise und Lebenshaltungskosten könnten jedoch für ein steigendes Mobilisierungspotential sorgen“, gibt er zu bedenken.