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Schmähgesänge und AusgrenzungWarum schwule deutsche Fußballer immer noch schweigen

Lesezeit 8 Minuten
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In Großbritannien hat sich mit Jake Daniels jüngst der erste aktive schwule Profifußballer geoutet. In Deutschland hat sich bislang noch kein Fußballer in den oberen Ligen zu seiner Homosexualität bekannt.  

  1. Schwul und Spitzensportler – das ist kein Gegensatz. Im Fußball scheint es aber ein Problem zu sein.
  2. Das Coming-out eines jungen britischen Profispielers ist jetzt weltweit gefeiert worden.
  3. Aber wie sieht es in Deutschland aus? Fehlt es an Mut – oder an Akzeptanz?

Diese Saison war für mich auf dem Spielfeld eine fantastische Zeit. Ich habe meinen ersten Profivertrag unterschrieben. Aber abseits des Spielfelds habe ich mein wahres Ich versteckt, und wer ich wirklich bin. Ich habe mein ganzes Leben lang gewusst, dass ich schwul bin, und jetzt fühle ich mich bereit, mich zu outen und ich selbst zu sein. Es ist ein Schritt ins Ungewisse, einer der ersten Fußballer in diesem Land zu sein, der sich zu seiner Sexualität bekennt, aber Josh Cavallo, Matt Morton und Sportler aus anderen Sportarten haben mich dazu inspiriert, den Mut und die Entschlossenheit zu haben, Veränderungen voranzutreiben. Ich möchte selbst ein Vorbild sein, indem ich dies tue.“Es ist ein sehr junger Mann, der diese Sätze vor einer Woche in einem Interview gesagt hat. Ja, es hat andere, berühmtere Fußballer vor ihm gegeben, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt haben. Und doch ist das Outing von Jake Daniels,17 Jahre alt, eine Besonderheit.Der Stürmer vom britischen Zweitligisten Blackpool ist der bislang einzige aktive Profifußballer in Europa, der das Versteckspiel beendet.

Warum? „Ich habe es mein ganzes Leben lang gehasst, zu lügen und das Gefühl zu haben, mich ändern zu müssen, um dazuzugehören“, sagt Daniels. Und er sagt es sehr deutlich: Das Gefühl, lügen zu müssen, hat unmittelbar mit seinem Beruf zu tun. „Lange Zeit habe ich gedacht, dass ich meine Wahrheit verbergen würde, weil ich ein Fußballprofi sein wollte, was ich jetzt bin.“

Die westliche Gesellschaft als Ganzes mag sich wandeln, Homosexualität respektieren, auch wenn es immer wieder Diskriminierung und Beleidigungen gibt. Doch der Männer-Profifußball ist weit davon entfernt, Schwulsein als Normalität wahrzunehmen. Fußball, das ist doch der Sport für harte Männer.

Joshua Cavallo, Linksverteidiger bei Adelaide United in der ersten australischen Liga, veröffentlichte am 27. Oktober 2021 ein Video auf Instagram, es trägt den Titel „Meine Wahrheit“. Er ringt um Fassung, dann sagt er: „Hallo zusammen. Hier spricht Josh Cavallo. Es gibt etwas Persönliches, das ich mit allen teilen muss. Ich bin ein Fußballspieler. Ich bin schwul.“ Joshua Cavallo, genannt Josh, war ein 21 Jahre alter Profispieler, als er sich zu seiner Homosexualität bekannte. Er war zu dem Zeitpunkt der einzige aktive Spieler weltweit, der sich geoutet hatte.

Studien aber gehen davon aus, dass 80 bis 120 Fußballspieler allein in den deutschen Profiligen schwul sind. „Einer von 11 ist schwul“ hieß eine Kampagne des Fußball-Landesverbandes Mittelrhein. Immer wieder gibt es solche Aktionen, um Profikickern Mut zu machen. 2021 ließen sich 800 Fußballerinnen und Fußballer für „11 Freunde“ unter dem Motto „Ihr könnt auf uns zählen“ ablichten.

Es ändert sich etwas im Stadion

Doch so einfach ist das nicht, wie der Fall von Josh Cavallo zeigt. „Ich werde nicht so tun, als hätte ich die homophoben Beleidigungen beim Spiel letzte Nacht nicht gehört. Unserer Gesellschaft wurde gezeigt, dass wir diese Probleme auch 2022 noch haben. Das ist nicht akzeptabel. Hass wird nie gewinnen. Ich werde mich nie dafür entschuldigen, wer ich bin. Fußball ist ein Spiel für jeden, egal, wer du bist, welche Farbe deine Haut hat und wo du herkommst.“ Das schrieb Cavallo auf Instagram nach einem besonders hässlichen Erlebnis bei einem Finalspiel.

Anfeindungen sind Teil seiner neuen Wahrheit. Die Hasskommentare auf seinem Instagram-Account. Die privaten Nachrichten – „kein Kind und kein Erwachsener sollte die hasserfüllten und verletzenden Nachrichten bekommen, die ich bekommen habe“.

Aber: Die andere Seite ist stärker. Es seien mehr positive Nachrichten, mehr ermutigende Gesten. Es gebe Menschen, auch bei jenem Finale, die gegen homophobe Äußerungen aufstehen.

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Tim Krul, ein Fußballer der britischen Mannschaft Norwich City, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jake Daniels. Gamechanger“, um seine Solidarität mit dem Fußballer zu erklären, der sich als schwul geoutet hat.

„Es ändert sich – langsam, aber stetig“, sagt Marcus Wiebusch, Frontmann der Band Kettcar. Er berichtet von einer Situation im Stadion seines Lieblingsvereins FC St. Pauli: „Ein Freund erzählte, dass ein Mann im Fanblock einen homophoben Spruch gegen einen gegnerischen Spieler gebracht hat, daraufhin haben sich fünf, sechs, sieben Leute umgedreht und ganz ohne Aggressivität gesagt: „Äh, so reden wir hier nicht!„ Das ist das Beste, was einer Kurve passieren kann, wenn sie sich selbst reguliert.“ Auch aus anderen Stadien habe er das vernommen.

„Es fehlt einer mit Mut“

2014 veröffentlichte Wiebusch den Song „Der Tag wird kommen“, in dem es um Homosexualität im Profifußball geht. Der Tag ist andernorts gekommen, gerade eben in Großbritannien, wo Jake Daniels für seinen Mut gefeiert wurde. Folgt bald Deutschland? „Was lässt uns glauben, dass dem nicht so ist? Aber machen wir uns nichts vor, das kann noch zehn Jahre dauern.“ Er glaube nicht, dass die Situation in England so viel anders sei als in Deutschland – „also ganz stumpf würde ich sagen: Es fehlt einer mit Mut.“

Aktivist Tony Quindt hatte 2014 gehofft, dass sich in Deutschland etwas bewegt – nach dem Outing des früheren Nationalspielers Thomas Hitzlsperger. Der gab erst nach seinem Karriereende seine Homosexualität bekannt. Die meisten Reaktionen waren positiv, aber es gab eben auch Ex-Torhüter Jens Lehmann, der sagte, er hätte es „komisch“ gefunden, mit Hitzlsperger zu duschen, wenn er damals schon von seiner Homosexualität gewusst hätte. Bis heute ist Hitzlsperger der einzige ehemalige deutsche Fußballprofi, der offen schwul ist.

Festgefahrene Bilder

„Sport, insbesondere Fußball, wird in hohem Maße immer noch mit vermeintlich männlichen Eigenschaften verbunden. Homosexuelle Männer passen demzufolge nicht in den Fußball“, sagt Sportpsychologe und Spielerberater Martin Schweer. „Es geht darum, an diesen festgefahrenen Bildern zu rütteln.“

Schmähgesänge, Ausgrenzung, Karriereende – es gibt verschiedene Gründe, warum Profifußballer schweigen. Nicht jede Fanszene, nicht jeder Verein, nicht jedes Land, nicht jede Familie ist gleichermaßen tolerant, mögliche Wechsel könnten beeinträchtigt werden. „Ich glaube, Daniels weiß, dass er in den nächsten Jahren eher nicht nach Spanien oder Italien wechseln wird“, sagt Wiebusch.

Ex-Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm warnte in seinem Buch „Das Spiel – die Welt des Fußballs“ 2021 vor einem Outing, weil er nur geringe Chancen sehe, das „halbwegs unbeschadet“ zu überstehen. Er wurde dafür kritisiert. Doch auch die Beratungsstelle Gay Players United rät davon ab, dass Spieler allein und ungeplant von ihrer Homosexualität berichten. Solche Haltungen können zwar jene entmutigen, die überlegen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

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Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger outete sich – allerdings erst nach seinem Karriereende. 

Aber: Da sich bisher kein einziger deutscher Fußballprofi geoutet habe, seien die Konsequenzen für die ersten nicht absehbar. „Wir finden mittlerweile Erfahrungsberichte in den sozialen Medien, in denen erste Reaktionen sehr positiv beschrieben werden. Dieses ist aber kein Automatismus“, warnt Schweer. Deshalb sagt auch er: „In meiner Beratungstätigkeit würde ich niemals pauschal zu einem Coming-out animieren. Aus meiner Sicht ist stets zu berücksichtigen, wie die Situation im eigenen Umfeld und im eigenen Verein einzuschätzen ist.“

Wie schwierig es für die Sportler werden kann, zeigt der tragische Fall des Briten Justin Fashanu, der sich 1990 als weltweit erster aktiver schwuler Fußballer outete. Fanashu wurde beleidigt und geschmäht. Als ihm 1998 vorgeworfen wurde, einen Jungen in den USA vergewaltigt zu haben, nahm er sich das Leben. Der US-Amerikaner David Testo fand 2011 nach dem Outing keinen neuen Verein mehr. Der Norweger Thomas Berling beendete seine Karriere nach dem Outing 2001, weil er die homophoben Beleidigungen nicht mehr ertrug. Und Ex-Profi Rudi Assauer verkündete rüde, Schwule sollten sich einen anderen Sport suchen als Fußball.

Stärker in der Gruppe

Geht es nach Gay Players United, könnte ein Gruppenouting zielführend sein. „Dann verteilt sich der Druck auf verschiedene Schultern, es würde für alle einfacher“, sagt der schwule Amateurkicker und Aktivist Quindt. Gegnerische Fans hätten weniger Angriffsfläche, wenn auch im eigenen Team ein Spieler schwul sei. Doch oft wissen homosexuelle Profisportler gar nicht, wer am gleichen Punkt steht wie sie. Es gibt zwar Anlaufstellen, aber keine Vernetzung, schon um die Anonymität zu gewährleisten. Also bliebe vielen Spielern nur der Weg, den Cavallo und Daniels wählten: sich allein ins Rampenlicht zu stellen. Diesen medialen Druck müssen junge Profis aushalten können.

Überkompensation aus Angst

Quindt ging 2008 an die Öffentlichkeit. „Als Profifußballer hast du ohnehin eine Vorbildfunktion“, sagt Quindt. Jeder sei auch auf seine Weise Aktivist. Er selbst begann, schwule Kicker, Profis wie Amateure, zu beraten, die sich bei ihm meldeten. Er saß in DFB-Sitzungen und sprach über seine Erfahrungen. „Es macht was mit einem, wenn man eine Rolle spielt, wenn man alles verstecken muss“, sagt er. „Ich hatte Angst, eine falsche Handbewegung zu machen oder irgendwie schwul zu laufen und habe immer darauf geachtet. Das hemmt die Leistung.“

In den Recherchen zu seinem Song „Der Tag wird kommen“ hat Wiebusch Ähnliches gehört. Fußballprofis, die überkompensieren aus Angst, als zu soft gesehen zu werden. „Das größte Problem für Jake Daniels wird sein, wenn er in den ersten Spielen nicht die Topleistung abruft“, sagt er, wenn das Team leidet unter fehlenden Leistungen oder Schmähgesängen von den Rängen. Dann könnten Fans wie Mitspieler hinterfragen, ob das Outing wirklich sein musste.

Dennoch, es ist Bewegung in der Sache. Es scheint eine neue Generation zu geben, die, wie Quindt sagt, „ganz anders aufgewachsen ist und es gewohnt ist, offen ihre Meinung zu sagen“. Eine Generation, die sich weniger vor Schmähgesängen, Karriereende, Ausgrenzung und Anfeindungen fürchtet als vor einem Netz aus Lügen. Männer, die nicht mehr bereit sind, einen Teil ihrer Identität zu verbergen, um die wenigen Jahre risikofrei zu nutzen, die sie als Profifußballer haben.