Die Bundesregierung rühmt sich, der Ukraine nach den USA und Großbritannien als drittgrößter Unterstützer zur Seite zu stehen. Doch wie groß ist die Unterstützung wirklich?
IfW-AnalyseWie ernst meint es der Westen mit der Ukraine?
„Putin denkt, er könne die Ukraine an den Verhandlungstisch bomben“, sagt Estlands Geheimdienstchef Kaupo Rosin. Der 45-Jährige arbeitet seit mehr als 15 Jahren für westliche Militärgeheimdienste, davon mehrere Jahre im Nato-Hauptquartier. In der jüngsten Geheimdienstanalyse erklärt Rosin: „Putin spielt auf Zeit und glaubt, dass die Ukraine und der Westen irgendwann aufgeben werden.“
Waffenlieferungen der Nato-Staaten wesentlicher Faktor
Ohne die militärische, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung des Westens hätte die Ukraine den Krieg längst verloren, sind sich Militärexpertinnen und Militärexperten sicher. Sieg oder Niederlage – diese Frage hängt wesentlich von den Echtzeit-Aufklärungsdaten und die andauernden Waffenlieferungen der Nato-Staaten ab.
Diese beiden Faktoren waren in den vergangenen zwölf Monaten entscheidend, um russische Angriffe abzuwehren und sogar regional immer wieder großräumig zurückzudrängen, so Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
USA Spitzenreiter unter Geberstaaten
Wie ernst es der Westen mit seiner Unterstützung für die Ukraine meint, zeigt eine neue Analyse des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Mit ihrem Ukraine Support Tracker haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Hilfen für die Ukraine gesammelt und ausgewertet. Die am Montag (20. Februar) veröffentlichten Daten, die dem RND vorab vorlagen, zeigen: Im Dezember hat die Ukraine so umfangreiche Hilfen zugesagt bekommen wie nie zuvor.
„Die USA haben von Dezember bis 15. Januar ihre Unterstützung für die Ukraine um rund 36 Milliarden Euro aufgestockt, wovon rund 60 Prozent auf Militärhilfe entfallen“, sagt IfW-Experte Frank Andre im Gespräch mit dem RND. „Damit sind die USA wieder klarer Spitzenreiter unter den Geberstaaten.“ Bei der EU gab es eine Steigerung der Hilfen um 2,3 Milliarden Euro, eine halbe Milliarde Euro kommt davon aus Deutschland. Die Leopard-Panzer sind in dieser Summe aber nicht enthalten, da lange unklar war, wie viele Panzer Deutschland tatsächlich liefern wird. „Auch die Frage, wie viele Leopard-Panzer die EU-Staaten der Ukraine überlassen, ist noch offen“, sagt der Experte.
Neue Panzer machen quantitativ keinen großen Unterschied
Wenn man die bisher konkreten Zusagen für moderne Kampfpanzer hochrechnet, kommt man laut Frank auf weitere Militärhilfen von etwa 470 Millionen Euro. „Gemessen an der Gesamthilfe der einzelnen Länder machen die neuen Panzer allerdings weniger als 5 Prozent aus“, stellt er klar. Die Panzer seien ein Signal der Unterstützung, machten aber quantitativ keinen großen Unterschied.
Eine Ukraine-Müdigkeit können die IfW-Experten angesichts der großen Unterstützung des Westens noch nicht feststellen. Neben der direkten Hilfe für die Ukraine entstehen europäischen Ländern auch Kosten für die Versorgung der Geflüchteten. Mit geschätzten 6,8 Milliarden Euro sind die Kosten in Deutschland so hoch wie in fast keinem anderen Land.
Nur Polen gibt mehr Geld aus. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) landet Deutschland jedoch nur an zwölfter Stelle. Es sind vor allem Polen, Tschechien, die Slowakei und Estland, die am meisten Hilfe gemessen am BIP für Geflüchtete aufbringen müssen.
Bei der Unterstützung der Ukraine mit militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe liegt Deutschland auf Platz drei hinter den USA und Großbritannien. Berücksichtigt man aber auch die Ausgaben für Geflüchtete aus der Ukraine, rutscht Deutschland vor auf den zweiten Platz.
Erst die Hälfte der zugesagten Finanzhilfen angekommen
Von den bisher zugesagten schweren Waffen habe der Westen zwischen 65 und 75 Prozent bisher an die Ukraine geliefert, so IfW-Experte Frank. Von den versprochenen Finanzhilfen ist laut ukrainischem Finanzministerium erst die Hälfte angekommen.
Im Vergleich zu Militärhilfen an Kriegsparteien in vergangenen Konflikten, wie dem Vietnamkrieg oder dem Spanischen Bürgerkrieg, hat die Ukraine nur einen Bruchteil an schweren Waffen erhalten, bilanziert Frank. „Die europäischen Länder haben wesentlich mehr Geld für die Bekämpfung der Kriegsfolgen ausgegeben als für die Unterstützung der Ukraine.“ Viele hätten das Zehnfache, manche sogar das Fünfzigfache ausgegeben, um die Folgen des Krieges für die eigene Bevölkerung zu lindern. „Der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket haben zusammen so viel gekostet wie die gesamte deutsche Hilfe für die Ukraine.“
Hinzu kommt unter anderem noch das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Deutschland hat die Ukraine laut IfW bisher mit 6,15 Milliarden Euro unterstützt, um die Kriegsfolgen für das eigene Land abzufedern dagegen 200 Milliarden Euro ausgegeben. „Kein Land in Europa hat so viel Geld für die Linderung der eigenen Kriegsfolgen ausgegeben wie Deutschland – in absoluten Zahlen und auch gemessen am BIP“, sagt Frank. Deutschland habe mehr als doppelt so viel Geld ausgegeben wie beispielsweise Großbritannien, Italien, Frankreich oder Spanien. „Im Vergleich zu anderen Kriegen oder Krisen wie der Corona-Pandemie ist die Hilfe für die Ukraine gering.“
Deutschland und andere Staaten haben innerhalb eines Jahres eine 180-Grad-Wende vollzogen und die Ukraine in einem so großen Ausmaß mit Waffen unterstützt, wie es zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte. Gemessen an dem, was die Ukraine für die Rückeroberung ihres Territoriums bräuchte, reicht das aber bei Weitem nicht aus, betonen Militärexperten immer wieder. „Der Westen meint es ernst mit der Ukraine“, so die Einschätzung von Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln, gegenüber dem RND. Doch der Grad, wie ernst es der Westen meint, sei unter den Staaten sehr unterschiedlich. „Die USA, Polen und die baltischen Staaten stehen am einen Ende und Österreich und Ungarn am anderen.“
Russische Armee muss Logistik neu organisieren
Unter den zuletzt versprochenen Waffen befinden sich einige, die der Ukraine aber zumindest neuen Auftrieb für eine Offensive geben könnten. Die modernen Leopard-2-Panzer sind russischen Modellen deutlich überlegen und auch die GLSDB-Präzisionsraketen machen mit ihrer Reichweite von 160 Kilometern einen entscheidenden Unterschied aus. Denn viele russische Logistikdepots, Hauptquartiere und Truppenstützpunkte liegen 90 bis 120 Kilometer hinter der Frontlinie und sind jetzt für die ukrainischen Streitkräfte wieder erreichbar.
Die russische Armee ist nun gezwungen, die Logistik neu zu organisieren und Depots mit Munition, Treibstoff und Verpflegung weiter im Hinterland einzurichten. Das erschwert die Versorgung der Truppen an der Front. Den Russen bereitet die Rakete Sorgen. Sie stellt eine „ernsthafte Bedrohung“ dar, schrieb der Leiter des Zentrums für die Entwicklung von Verkehrstechnologien, Alexei Rogosin, in seinem Telegram-Kanal. „Das ist eine gewaltige Waffe.“
Immer wieder Zweifel an westlicher Unterstützung
In den vergangenen Monaten gab es aber immer wieder Situationen, in denen Zweifel an der westlichen Unterstützung aufkamen. Die USA hatten der Ukraine 20 Himars-Raketenwerfer geliefert, die im Sommer zum Gamechanger wurden: Mit ihnen konnte die ukrainische Armee Dutzende russische Munitionsdepots zerstören und die erfolgreiche Rückeroberung ukrainischer Gebiete einleiten.
Nach diesem Erfolg forderte die Ukraine 50 bis 100 weitere Himars-Systeme, doch die USA lehnten dies ab. Im Gegenteil, sie modifizierten sogar die Raketenwerfer, damit die Ukrainer keine Raketen mit größerer Reichweite abfeuern können. Auch die Forderungen nach ATACMS-Raketen mit 300 Kilometern Reichweite, mehr als viermal so weit wie die bisherigen Raketen für Himars-Systeme, wurden von Washington vehement abgelehnt.
Gratwanderung der USA
Eine weitere Merkwürdigkeit, die unter Expertinnen und Experten Fragen aufwirft, ist der Abzug russischer Truppen aus Cherson im November. Ihnen drohte die Einkesselung, doch zur entscheidenden Schlacht kam es nicht. Stattdessen konnten sich 30.000 russische Soldaten und 2500 Kampffahrzeuge tagelang unbeschadet aus Cherson zurückziehen. Wie war das möglich? Und warum kann Russland die Ukraine immer noch mit Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Drohnen angreifen, obwohl die USA die Satellitennavigation der Russen stören und diese Angriffe verhindern könnten?
„Das offensichtliche Ziel der USA ist es, die Ukraine so viel wie möglich zu unterstützen und dabei nicht Russland massiv in die Enge zu treiben“, sagt Oberst Reisner dem RND. Durch diese Gratwanderung versuchten die USA, einen Atomwaffeneinsatz Russlands zu verhindern. Ein weiteres Beispiel dafür: 300 Kampfpanzer benötigt die Ukraine laut ihrem Generalstabschef Walerij Saluschnyj für die Rückeroberung ihrer Gebiete. Bis April werden aber wohl nur etwa 50 in der Ukraine eintreffen. Das Zurückhalten von Waffen verhindert jedoch ein schnelles Kriegsende und die Ukraine steht vor dem Problem, immer wieder neue Verbände aufstellen und Soldaten rekrutieren zu müssen.
Das Eskalationsrisiko Russlands war nach Einschätzung von Experte Jäger fast immer sehr gering. „Ich hatte immer den Eindruck, dass Scholz die Eskalationsgefahr sehr hoch einschätzt, viel höher als andere“, sagt er im Gespräch mit dem RND. Dabei würde Putin der Einsatz von Atomwaffen gar nicht helfen, im Gegenteil. „Eine nukleare Eskalation wäre Putins Ende.“ Jäger geht fest davon aus, dass der Westen die Militärhilfen für die Ukraine fortsetzt – damit Putin den Krieg nicht gewinnt. „Russland kann nur gewinnen, wenn der Westen die Ukraine nicht mehr unterstützt.“ Damit sei aber frühestens zu rechnen, wenn sich das Trump-Lager bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA durchsetzt.
Der estnische Geheimdienstchef ist sich sicher, dass der Kreml früher oder später einsehen wird, dass Russland den Krieg nicht gewinnen kann. Entscheidend dafür sei aber die anhaltende Bereitschaft der westlichen Staaten, die Ukraine weiter zu unterstützen. (RND)