Impeachment-VerfahrenVerkommen die Republikaner endgülig zur radikalen Sekte?
Washington – Es musste sehr schnell gehen, als David Schoen und Bruce Castor ihren jüngsten Fall übernahmen. Kurz zuvor hatte sich ihr Klient mit seinen bisherigen fünf Anwälten überworfen, und für die Abfassung des wichtigen Schriftsatzes blieben nur zwei Tage. Hastig schusterten die beiden Juristen das 14-seitige Schreiben zusammen.
Für das Korrekturlesen reichte offenbar die Zeit nicht mehr. Nun ist in der offiziellen Klageerwiderung von Donald Trump auf seine Impeachment-Anklage, ganz oben auf der ersten Seite, das Land falsch geschrieben, dessen Präsident der Möchtegern-Autokrat einmal war. „Unites States“ steht da – mit „s“ statt mit „d“.
Impeachment-Prozess: 56 Prozent unterstützen Verurteilung von Trump
Der peinliche Tippfehler verrät einiges über die Geringschätzung des Trump-Lagers für demokratische Institutionen und Verfahren. Dass ausgerechnet das Wort „Vereinigte“ falsch geschrieben wurde, erscheint freilich konsequent: Tatsächlich hat Trump in seinen vier Amtsjahren die USA tief entzweit. Und der Prozess gegen den 45. Präsidenten, der am heutigen Dienstag im Senat beginnt, spaltet das Land weiter: Zwar unterstützt laut einer aktuellen Umfrage der Washington Post eine Mehrheit von 56 Prozent der Amerikaner eine Verurteilung. Doch acht von zehn republikanischen Wählern protestieren entschieden dagegen.
„Die Demokraten senden eine Botschaft aus, wie groß ihr Hass und ihr Zorn gegen Donald Trump ist“, kritisiert der republikanische Senator von Wyoming, John Barrasso. „Das ist kein Prozess, das ist politisches Theater“, empört sich auch sein Parteifreund James Lankford aus Oklahoma. Mit dem blutigen Sturm auf das Kapitol, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, habe ihr Idol nichts zu tun, behaupten die Rechtspopulisten. Die Demokraten sehen das ganz anders: „Trump hat Schande über das Amt und das Land gebracht. Der Senat muss ihn verurteilen“, fordert New Jerseys Senator Cory Booker. Auch sein Kollege Gary Peters aus Michigan ist überzeugt: „Wir müssen ihn für sein Handeln zur Verantwortung ziehen und ein klares Signal für die Zukunft aussenden.“
Noch nie war der Gerichtsort zugleich Ort des Verbrechens
Was sich in den nächsten Tagen im US-Senat abspielen wird, ist in jeder Hinsicht einzigartig: Noch nie ist ein Präsident zweimal angeklagt worden. Und noch nie gab es ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Präsidenten, der das Weiße Haus inzwischen verlassen hat. Vor allem aber war noch nie der Gerichtsort zugleich der Schauplatz des Verbrechens.
In seiner 77-seitigen Anklageschrift wegen „Anstiftung zum Aufruhr“ wirft das demokratisch kontrollierte Repräsentantenhaus Trump nämlich vor, den rechten Mob aufgewiegelt zu haben, der am 6. Januar das Kapitol stürmte. Auf Videos im Netz kann man sehen, wie die Randalierer im Plenarsaal des Senats Unterlagen der Politiker durchwühlen. „Wo zum Teufel sind sie?“ , grölt einer. Jacob Chansley, der selbsternannte „QAnon-Schamane“ mit den Hörnern, hinterlässt eine schriftliche Drohung für den früheren Vizepräsident Mike Pence: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Gerechtigkeit siegt.“
Sturm auf das Kapitol: Abgeordnete hatten Todesangst
Viele Senatoren und Abgeordnete fürchteten um ihr Leben. Weitere Todesopfer wurden nur vermieden, weil sich die Politiker fluchtartig in spezielle Schutzräume retten konnten. Gerade mal einen Monat ist das her. Doch trotz dieser existenziellen Erfahrung scheint eine Verurteilung von Trump, die eine lebenslange Ämtersperre nach sich ziehen dürfte, extrem unwahrscheinlich. Für die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Senat müssten nämlich 17 der 50 Republikaner mit den Demokraten stimmen. Tatsächlich wollten 45 Republikaner das Verfahren aber erst gar nicht zulassen. Mehr als fünf Abweichler – darunter die notorischen Trump-Kritiker Mitt Romney und Susan Collins – werde es am Ende kaum geben, glauben Beobachter in Washington.
Umso größer ist die symbolische Bedeutung des Prozesses. Es geht um nicht weniger als um Trumps künftigen Platz in den Geschichtsbüchern, den künftigen Kurs der Republikaner und, ganz grundsätzlich, um die Frage, ob der amerikanische Präsident über dem Gesetz steht. „Wir können nicht einfach weitermachen, bevor Recht gesprochen wurde“, hat Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, gemahnt: „Wenn das, was geschehen ist, keine Konsequenzen hat, können wir gleich alle Impeachment-Strafen aus der Verfassung streichen.“
Deutliche Unterschiede zum ersten Impeachment-Verfahren
Anders als beim ersten Impeachment-Verfahren vor gut einem Jahr, als im Ausschuss-Saal 1100 bei stundenlangen Zeugenbefragungen erst allmählich das Ausmaß von Trumps Erpressungsversuch gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj deutlich wurde, liegen im aktuellen Fall die Fakten auf dem Tisch. Bereits kurz vor Weihnachten hatte Trump mit einem Tweet seine Anhänger für den 6. Januar zum Protest gegen die angeblich gefälschte Wahl nach Washington geladen und angekündigt: „Es wird wild!“ Ein paar Tage später stachelte er seine Fans in Georgia an, dafür zu „kämpfen“, dass er das Weiße Haus nicht räumen müsse. „Kämpft wie der Teufel!“, schickte er schließlich am Tag selbst den Mob in Richtung Kapitol, wo bald darauf Fenster und Türen eingeschlagen wurden.
Für die Demokraten ist die Sache daher klar: „Im Zentrum des Falls stehen die eigenen Worte des Präsidenten, die ihn belasten“, sagt ihr Senator Richard Blumenthal. Die Republikaner hingegen blocken ab. Zwar hat ihr Fraktionschef Mitch McConnell anfangs Trump offen kritisiert und die Impeachment-Abstimmung zur Gewissenssache erklärt. Doch die meisten Senatoren wollen sich aus Angst vor der Trump-treuen Basis nicht von dem immer noch populären Ex-Präsidenten distanzieren. Also ziehen sie sich aufs Formale zurück und argumentieren, ein bereits aus dem Amt geschiedener Präsident könne nicht verurteilt werden.
Tatsächlich gibt es keinen Präzedenzfall. Der Juristische Dienst des Kongresses widerspricht dieser Auffassung jedoch. Nicht nur könnte ein Präsident ansonsten in den letzten Regierungswochen quasi machen, was er will. Auch die Möglichkeit, ihn für künftige Bundes-Ämter zu sperren, liefe ins Leere. Vor allem aber wurde die Impeachment-Anklage gegen Trump vom Repräsentantenhaus schon am 13. Januar beschlossen – eine Woche vor dem Ende seiner Amtszeit.
Trump-Anwälte: Männer fürs Grobe
Die Verästelungen des Verfassungsrechts gehören kaum zu den Spezialgebieten von Trumps Anwälten. Beide Juristen haben sich eher einen Ruf als Männer fürs Grobe erworben. So verteidigte Schoen in der Vergangenheit den zwielichtigen Trump-Vertrauten Roger Stone und diverse Mafia-Bosse. Sein Kollege Castor weigerte sich als damaliger Staatsanwalt, ein Verfahren gegen den Komiker Bill Cosby wegen sexueller Belästigung zu eröffnen und verfolgte statt dessen die Kläger wegen vermeintlicher übler Nachrede. Das Anwalts-Duo bestreitet, dass Trump den rechten Mob angestachelt habe und argumentiert, seine Äußerungen seien durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
Allzulange dürfte der Prozess nicht dauern. Daran hat keine Seite ein Interesse. Solange das Verfahren läuft, ist der Senat nämlich blockiert. Die Demokraten benötigen die Kammer jedoch für die Bestätigung ihrer ausstehenden Minister-Nominierungen und für die Verabschiedung des billionenschweren Corona-Hilfspakets. Die Republikaner wiederum möchten das unangenehme Kapitel so schnell wie möglich hinter sich lassen. Trump selber hat es abgelehnt, als Zeuge aufzutreten. Seine Gegner dürften vor allem mit eindrucksvollen Video-Aufnahmen der Krawalle im Kapitol arbeiten. „Die Geschichte der Taten des Präsidenten ist fesselnd und schockierend. Wir denken, dass jeder Amerikaner wissen sollte, was passiert ist“, sagt der demokratische Chefankläger Jamie Raskin.
Viel wird davon abhängen, ob es den Demokraten gelingt, die öffentliche Stimmung massiv gegen Trump zu drehen. Denn nach dem wahrscheinlichen Freispruch dürfte sich der Ex-Präsident wie schon beim ersten Prozess lautstark als Sieger feiern. Seine glühenden Anhänger haben im Richtungsstreit der Republikaner derzeit ohnehin Oberwasser. So überstand die frisch gewählte Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die antisemitische Phantasmen verbreitet, den Demokraten satanischen Kindesmissbrauch unterstellt und die Exekution von Nancy Pelosi gefordert hatte, eine Fraktionssitzung ohne Rüge. Hingegen wurde die altgediente Fraktions-Geschäftsführerin Liz Cheney scharf kritisiert, weil sie das Impeachment unterstützt. Mit überwältigender Mehrheit hat sich ihr Parteivorstand im heimischen Wyoming von ihr distanziert. Schon läuft die Suche nach einem parteiinternen Gegenkandidaten.
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Derweil lud Greene am Freitag kurzfristig zu einer Pressekonferenz vors Kapitol. Vor der Kulisse des Gebäudes, das vor einem Monat vom Mob geschändet worden war, demonstrierte die 46-Jährige ein enormes Selbstbewusstsein: „Die Republikaner gehören Trump und niemand anders“, verkündete sie. Ganz klar wirkte in diesem Augenblick die Alternative, vor der die Partei steht: Sie kann sich entweder unter größten Schmerzen aus der Umklammerung ihres Übervaters lösen – oder endgültig zur radikalen Sekte verkommen.
Verschwörungsideologin Greene hat ihre Entscheidung getroffen: „Ich werde die Partei weiter nach rechts drücken“, sagte sie.