Interview„Der Russe, der auf den Atomknopf drückt, ist 5 Minuten später tot“
- Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz sagt, die USA wüssten sehr genau, wo Russland seine Atomwaffen und die Schaltzentralen hat.
- Hoffnung auf Peking bei der Unterstützung der Ukraine sei eine Illusion. Russland werde vielmehr zur „Tankstelle Chinas“.
Herr Heusgen, Bundeskanzler Olaf Scholz reist in der nächsten Woche erstmals nach China. Welches Signal erwarten Sie? Gibt es eine Chance, dass der Westen Peking auf seine Seite zieht gegen Russland, das Krieg gegen die Ukraine führt?Heusgen: Ich halte es grundsätzlich für sehr wichtig, dass der Bundeskanzler einen Antrittsbesuch beim jetzt gestärkten chinesischen Präsidenten macht. Die Hoffnung aber, China aus dem russischen Feld herauszuholen, ist eine Illusion.
Warum?
Russland ist für China ein sehr wichtiger Rohstofflieferant. Durch seine Selbstisolation von Europa und Nordamerika ist Russland abhängiger von China geworden. Das passt Präsident Xi Jinping. Russland schlüpft immer mehr in die Rolle, die der verstorbene US Senator John McCain vorhergesagt hatte: nämlich der Tankstelle Chinas.
Ist es vergebene Liebesmüh, die Kontakte zu Peking noch kurz vor dem Gipfel der 20 großen Industrie- und Schwellenländern auf Bali zu intensivieren? Dort werden ja wahrscheinlich auch Vertreter Russlands sein.
Nein, es ist richtig, vor dem G20-Gipfel mit dem chinesischen Präsidenten und anderen Teilnehmern über die dortige Agenda zu reden und den Punkt zu machen, dass ein Wladimir Putin, der wahrscheinlich zu dem Gipfel kommt, dort nicht ungeschoren davonkommen darf. Putin hat nicht nur das internationale Recht gebrochen, sondern bereitet jetzt der ganzen Welt auch bei der Energieversorgung und der Nahrungsmittelversorgung große Probleme. Das muss man vorher klarmachen und beim Gipfel in Indonesien selbst auf die Tagesordnung setzen.
Sollte Putin persönlich in Bali erscheinen – wie sollten die Staats- und Regierungschefs dort mit ihm umgehen?
Zunächst: Nur weil Putin teilnimmt, sollten Deutschland und andere Länder den Gipfel nicht boykottieren, dafür sind die Themen zu wichtig. Gleichzeitig sollte Putins Isolation deutlich werden: Also kein Händeschütteln, kein harmonisches Familienfoto. Und inhaltlich sollten die Differenzen klar gemacht werden: Für den Anstieg der Energiepreise und die Lebensmittelknappheit weltweit ist ein Mann der Hauptverantwortliche: Wladimir Putin.
Russland droht auch mit einem Atomschlag. Wie ernst nehmen Sie das, müssen wir uns davor wirklich fürchten?
Putin zielt einerseits auf die Ukraine. Das sehen wir jeden Tag an den Kriegsverbrechen, die er begeht - die Zerstörungen von Infrastruktur sind Kriegsverbrechen. Aber er versucht gleichzeitig auch die Unterstützer der Ukraine zu schwächen und zu verängstigen. Indem er den Energiezufluss kappt, will er Stimmung gegen die Ukraine machen. Und seine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen ist auch klar gegen Deutschland gerichtet. Er will Ängste hervorrufen, die dazu führen sollen, die Ukraine zur Aufgabe zu drängen.
Was würde denn passieren bei einem Atomschlag? Die USA haben gesagt, das hätte katastrophale Folgen.
Wir kehren jetzt zum Kalten Krieg zurück, wo die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen wie ein Damoklesschwert Jahrzehnte über uns schwebte. Wir haben es mit dem Gleichgewicht des Schreckens geschafft, dass es nie dazu kam. Deshalb finde ich es absolut richtig, dass die Amerikaner Putin mit einer katastrophalen Konsequenz gedroht haben.
Aber was wäre das?
Ich glaube, den Militärs in Russland ist ganz klar: Die Amerikaner wissen ganz genau, wo die Schaltzentralen sind, wo die Atomwaffen sind. Und der russische General, der auf den Knopf drückt, der weiß genau, dass er fünf Minuten später tot ist, denn die Amerikaner werden massiv reagieren. Das wissen die Russen und sie wissen auch, dass sie sich mit dem Einsatz von Nuklearwaffen völlig ins internationale Abseits bewegen. Und deswegen glaube ich, dass es wie im Kalten Krieg bei der Drohung bleibt.
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Wir haben vor knapp einem Jahr mit Ihnen ein Interview geführt, in dem Sie im Gegensatz zu vielen anderen bereits klar gesagt haben, dass Putin die Ukraine angreifen will. Haben Sie heute ein Gefühl dafür, wann und wie dieser Krieg enden wird?
Wir müssen auf die Interessen der beiden Seiten und die Stimmung in ihren Bevölkerungen schauen. Was ist politisch verkraftbar? Ein Präsident Wolodymyr Selenskyj hat volle Unterstützung der Ukrainer, selbst die ethnischen Russen, die kritisch gegenüber Kiew waren, stehen heute wie eine Frau, ein Mann hinter ihm, weil sie sehen, was Putin mit seinen Kriegsverbrechen anrichtet. Selenskyj wird also trotz der ganzen Angriffe bei seiner Linie bleiben.
Und Putin bewegt sich überhaupt nicht. Ich glaube, wir müssen leider noch über einen längeren Zeitraum mit der Fortsetzung des Konfliktes rechnen. Vielleicht wird er sich räumlich etwas einschränken. Aber er wird erst dann ein Ende finden, wenn Putin entweder einsieht, dass er internationales Recht wieder respektieren muss - oder nicht mehr da ist, wenn er als Folge einer internen Revolte abgesetzt wird, wie es Nikita Chruschtschow und Michail Gorbatschow passiert ist.
Neben dem G20-Gipfel steht noch die Weltklimakonferenz in Ägypten bevor. Welche Risiken kommen zusätzlich auf uns zu, wenn wir das Ziel, die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigen zu lassen, verfehlen?
Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil wir jetzt alle vor allen Dingen auf Russland starren und darüber aus dem Blick verlieren, was die größte Gefahr für die Menschheit ist: Das ist der Klimawandel. Wir haben die verheerenden Folgen gesehen. Auch in Deutschland. Es ist ganz wichtig, dass sich die Staats- und Regierungschefs bei dem Gipfel in Ägypten wieder zurückbesinnen auf grüne Energie und CO2-Reduzierung.
Wir investieren gerade wieder in fossile Energien.
Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt. Putin zerstört nicht nur die Lebensgrundlage für viele Ukrainer. Er zerstört gleichzeitig die Lebensgrundlage vieler Menschen in Europa und in Afrika und wir sind alle absorbiert mit der Produktion von Waffen, mit der Beschaffung neuer fossiler Brennstoffe anstatt den Grünen Klimafonds aufzufüllen, damit Länder in Afrika und anderen Kontinenten die Mittel haben, um endlich mit grüner Energie und nicht mehr mit Kohlekraftwerken weiterzuleben. Wenn wir nicht umsteuern, wird die Lage noch verheerender.