AboAbonnieren

US-WahlkampfBiden und Obama greifen Trump bei gemeinsamen Video-Auftritt an

Lesezeit 3 Minuten
Obama und Biden

Der damalige US-Präsident Barack Obama und sein Vize Joe Biden im Januar 2017 bei einer Rede im Weißen Haus. Wenig später wurde Donald Trump US-Präsident.

  1. Erstmals im US-Wahlkampf treten Ex-Präsident Barack Obama und Präsidentschaftskandidat Joe Biden gemeinsam auf – bei einem gepflegten Gespräch im Internet.
  2. Wegen der Corona-Pandemie kann Biden keine großen Kundgebungen abhalten. Doch das ist kein Nachteil.
  3. Barack Obama stellt vor allem „Herz und Charakter“ des Trump-Herausforderers heraus.

Washington – Das dreisitzige Sofa in der Mitte bleibt leer. Etwa vier Meter voneinander entfernt sitzen die beiden Gesprächspartner in wuchtigen Sesseln am linken und rechten Bildrand. Es gibt keine Zuschauer im Raum. Bei ihrem ersten direkten Zusammentreffen in diesem Wahlkampf halten der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden und Ex-Präsident Barack Obama trotz großer persönlicher Nähe wegen der Pandemie klaren physischen Abstand. Vor allem aber demonstrieren sie maximale Distanz zum Amtsinhaber.

„Kannst Du Dir vorstellen, als Präsident zu sagen: Das ist nicht meine Verantwortung?“, fragt Biden sein Gegenüber mit Bezug auf eine entsprechende Aussage von Donald Trump zur dramatischen Entwicklung der Corona-Krise. Obama verneint die rhetorische Frage seines einstigen Stellvertreters: „So etwas haben wir nicht gesagt, als wir im Amt waren.“ Es geht nicht um spektakuläre Botschaften in dem 15-minütigen Video, das am Donnerstag ins Netz gestellt wurde. Es geht um den Kontrast zur Realität im Weißen Haus.

Biden und Obama: Spannungsaufbau mit Teasern

Wie eine neue Netflix-Serie haben Obama und Biden den Film in den 24 Stunden zuvor auf Twitter angekündigt. „Es gibt nichts Besseres, als mit meinem Freund Joe zu einem Gespräch zusammenzusitzen“, hat der Ex-Präsident erklärt. Man sah die beiden Politiker, wie sie mit Masken aus ihren schwarzen Limousinen steigen und in getrennten Aufzügen zu dem eher sterilen, holzvertäfelten Besprechungsraum hochfahren, in dem sie nun sitzen. Biden hat mehrere Auszüge der Unterhaltung als Teaser veröffentlicht.

Viel mehr bietet die Langfassung des Gesprächs dann auch nicht. Es geht erkennbar nicht darum, irgendwelche „Breaking News“ zu erzeugen. Die eigentliche Botschaft lautet: Der 77-jährige Biden, der als junger Mann seine Frau und seine Tochter durch einen Verkehrsunfall verlor und später den Krebstod seines Lieblingssohns durchleiden musste, ist ein Mensch mit Anstand und Gefühlen, der das von Wut und Hass zerrissene Land wieder versöhnen will. Von Anfang an habe Trump daran gearbeitet, die Gesellschaft zu spalten, sagt Biden: „Ich möchte nicht, dass mein Kind so aufwächst.“

Obama und Biden erinnern sich an gemeinsame Zeiten

Reichlich Nostalgie weht durch den Spot, wenn sich Obama und Biden an gemeinsame Regierungszeiten erinnern. Die Frage, weshalb es nach ihrem Abgang zu einem solchen Umschwung des Landes kam, wird nicht gestellt. Mal versichert der Ex-Präsident, der sich aus dem Wahlkampf lange herausgehalten hat, den Kandidaten seiner vollen Unterstützung und lobt dessen „Herz und Charakter“. Mal kann der Jüngere beim Rassismus-Thema der Versuchung nicht widerstehen, einen klugen Vortrag zu halten, der den Älteren in die Rolle des Zuhörers drängt. Inhaltlich wird es eigentlich nur bei der von Obama eingeführten Krankenversicherung, die Biden verteidigen und ausbauen will. Ansonsten geht es vor allem um Erfahrung, Empathie und Einigungsfähigkeit des Kandidaten.

Ein Auftritt ohne Risiken

Das vom eigenen Team produzierte und gestreamte Gespräch ist eigentlich eine Notlösung, weil die Demokraten in Zeiten der Corona-Pandemie keine Kundgebungen draußen im Land abhalten können. Aber das Format kommt Biden grundsätzlich sehr zupass. Große Reden sind nicht sein Ding. Der 77-Jährige gewinnt im persönlichen Umgang durch seine Fähigkeit zum Zuhören und zur Anteilnahme.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dank der Aufzeichnung sind auch keine Versprecher zu befürchten, die Biden sonst öfter unterlaufen. Und anders als Trump muss sich der Herausforderer keinen kritischen Fragen von Journalisten stellen. Stattdessen kann er von der enormen Popularität Obamas profitieren, der sich inzwischen immer stärker in den Wahlkampf einbringt.

Bislang scheint die Strategie aufzugehen. Im Durchschnitt der Umfragen liegt Biden derzeit knapp neun Punkte vor Trump. Doch echte Begeisterung für den Kandidaten ist im Land nicht zu spüren. „Ich vertraue auf das amerikanische Volk“, sagt er am Ende seines kultivierten Gesprächs mit Obama. Das hebt sich wohltuend von den ich-fixierten Tiraden des Amtsinhabers ab. Ein bisschen mehr Dynamik in den kommenden Wochen dürfte dem Herausforderer trotzdem kaum schaden. (rnd)