Kölner Expertenrat-Mitglied„Kontaktbeschränkungen nicht in dieser Woche nötig“
Der Kölner Intensivmediziner Christian Karagiannidis hält Kontaktbeschränkungen vor Weihnachten nicht für sinnvoll. Er warnt davor, dass es sonst im Frühjahr womöglich erneut Beschränkungen geben müsse. Karagiannidis ist Lungenfacharzt in Köln-Merheim, wissenschaftlicher Leiter des Intensivbettenregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung.
Herr Karagiannidis, in der Stellungnahme des Corona-Expertenrates dringen Sie auf zeitnahe Kontaktbeschränkungen, halten Sie mit einem Zeitpunkt bedeckt. War es eine politische Vorgabe, dass Weihnachten außen vor bleibt?
Christian Karagiannidis: Nein, wir haben uns nicht zum Zeitpunkt geäußert, weil die Politik Zeitpunkt und Ausmaß weiterer Maßnahmen festlegen muss. Klar ist, dass wir durch Omikron neben den Impfungen und Boostern Kontaktbeschränkungen brauchen und die Menschen darauf gut vorbereiten müssen. Die Kommunikation muss klarer sein als bisher. Die Politik muss jetzt einfache Worte und Bilder finden, um den Menschen die Dringlichkeit der Kontaktbeschränkungen zu vermitteln und gut zu erklären.
Und der richtige Zeitpunkt?
Der Zeitpunkt darf weder zu früh noch zu spät sein. Wenn die Kontaktbeschränkungen zu früh gelten, besteht die Gefahr eines Reboundeffekts im Frühjahr, wenn bis dahin nicht genügend geboostert sein sollten. Das bedeutet, dass wir zwar früh die Welle brechen, aber dafür im Frühjahr wieder hohe Fallzahlen bekommen könnten und dann erneut Kontaktbeschränkungen brauchen. Hier sollten wir in verschiedene Szenarien denken. Ich persönlich halte es nicht für notwendig, dass es noch in dieser Woche Kontaktbeschränkungen geben muss.
In den Nachbarländern sind die Corona-Regeln zum Teil deutlich strenger. Kontaktbeschränkungen gibt es zum Beispiel schon in den Niederlanden.
Das stimmt, die Niederlande hat komplett dicht gemacht, weil sie nur sehr wenige Intensivbetten haben. Dort dürfen sich nun nur noch zwei Personen oder vier Menschen über Weihnachten treffen und das bis Mitte Januar. Wenn die Niederlande aber jetzt nicht die Zeit nutzt und viele Booster-Impfungen durchführt, wird es im März wieder eine Welle geben. Die Lockdown-Maßnahmen verschaffen nur Zeit, um mehr Menschen zu Boostern.
Bisher wollte die Politik durch Impfen die Welle brechen. Warum sind jetzt überhaupt Kontaktbeschränkungen notwendig?
Mehr Erstimpfungen und Boostern sind wichtig, reichen aber nicht mehr aus. Wir brauchen mit Kontaktbeschränkungen eine zweite Säule der Pandemiebekämpfung. Die Infektionszahlen springen einfach viel zu schnell hoch und die Impflücke ist noch immer viel zu groß. Dazu kommt, dass sich die Genesenen und Zweifachgeimpften mit hoher Wahrscheinlichkeit infizieren können.
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Die Zahl der Neuinfektionen ist in den vergangenen Tagen zurückgegangen. Merken Sie eine Entlastung auf den Intensivstationen?
Von einer Entlastung auf den Intensivstationen kann gar keine Rede sein. Wir haben weiterhin sehr viele Erstaufnahmen auf den Intensivstationen. Zuletzt waren es etwa 350 neue Patientinnen und Patienten jeden Tag. Am Montag gab es 242 Neuaufnahmen. Wir sehen jetzt einen leichten Rückgang, aber die Belastung der Intensivstationen bewegt sich weiterhin auf einem hohen Niveau. Zuversicht wäre übertrieben, aber die Welle wird gebremst. Das Personal ist vollkommen fertig und es werden noch mehr den Job aufgeben.
Haben Sie denn Hoffnung, dass sich die Omikron-Variante noch eindämmen lässt?
Ja, ich glaube, Omikron kann man unter Kontrolle bekommen. Aber wir können die Variante nur mit Boostern und Kontaktbeschränkungen eindämmen. Im Moment sind unsere Kontakte noch deutlich zu viel, um etwas gegen Omikron ausrichten zu können.
Wie lässt sich das Infektionsgeschehen besser beherrschen?
Wir müssen dringend die Omikron-Inzidenz von der Delta-Inzidenz trennen. Nur so können wir die Infektionen besser nachvollziehen. Großbritannien hat gezeigt, dass die Delta-Welle sehr konstant verläuft und Omikron jetzt hinzukommt. Wir sehen dort einen steilen Anstieg der Omikron-Fälle, aber noch keinen Abfall von Delta. Die gemeinsame Inzidenz bedeutet: Wenn die Delta-Welle abfällt und sich dafür die deutlich infektiösere Omikron-Variante verbreitet, würde man das in einer gemeinsamen Inzidenz zu Beginn gar nicht sehen. Die Gefahr dabei ist, Omikron sich viel schneller verbreitet und es deshalb plötzlich sehr hohe Omikron-spezifische Inzidenzen gibt. Derzeit sind wir Großbritannien geschätzt zwei Wochen hinterher.