KommentarDer Wahlkampf 2021 hat längst begonnen – und ist schmutziger
Bis zur Bundestagswahl sind es noch mehr als drei Monate. Die Union hat noch kein Wahlprogramm. Die Plakate hängen noch nicht, und Luftballons werden auch noch nicht verschenkt. Das Publikum reibt sich aber verwundert die Augen, mit welcher Wucht und welcher Unerbittlichkeit der Wahlkampf bereits ausgebrochen ist.
Die Empörung über und die Rücktrittsforderungen der SPD gegen Spahn wegen Vorwürfen, die in der vorgetragenen Härte nicht haltbar sind, werfen ein Schlaglicht auf die neue Art des Wahlkampfs. Er zielt darauf, die politische Konkurrenz schlecht zu machen. Auch die Debatte um höhere Spritpreise, die gegen die Grünen lief, enthielt auch gespielte Empörung. Union und SPD haben eine höhere CO2-Bepreisung selbst beschlossen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die in der Demokratie wie ein Bumerang zurückschlagen kann.
Härter, polemischer, hasserfüllt
Die politische Debatte ist in den vergangenen Jahren härter und polemischer, mitunter hasserfüllt geworden. Die Kommunikation auf den sozialen Netzwerken befördert diesen Trend. Immer mehr Politikerinnen und Politiker lassen sich dazu hinreißen, die Konkurrenz mit Häme zu überziehen, um freilich bei nächster Gelegenheit einen fairen Umgang miteinander anzumahnen. Frei nach dem Motto: Wenn schon Moral, dann doppelt.
Die politische Mitte grenzt sich aus gutem Grund und mit guten Argumenten von Inhalten und Gebaren der AfD ab. Doch das Gift der Rechtspopulisten träufelt auch in die Gesellschaft ein, wenn man ihren Politik-Stil von Halbwahrheiten, verdrehten Fakten, gespielter Empörung und negativer Kampagne übernimmt. Das sollten sich alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer bewusst machen.
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Dass der Wahlkampf 2021 ein besonderer werden würde, war klar. Das liegt nicht allein am rauer gewordenen gesellschaftlichen Umgangston und gesunkenen Hemmschwellen im menschlichen Miteinander. Es geht um viel - um mehr als bei den vergangenen Bundestagswahlen.
Erstmals steht die Amtsinhaberin nicht mehr zur Verfügung, was ein machtpolitisches Vakuum erzeugt. Erstmals konkurrieren drei Parteien um das Kanzleramt. Wobei die Grünen der Beweis dafür sind, dass aus einer zerstrittenen politischen Bewegung eine Partei werden kann, die einen realistischen Anspruch auf das Kanzleramt erhebt.
Viele Baustellen auch nach Merkels Kanzlerschaft
Man sollte auch nicht unterschätzen, dass Kanzlerin Merkel von Digitalisierung über Bildung bis hin zum Klimaschutz große Reformbaustellen hinterlässt. In der neuen Wahlperiode werden viele Weichen mit langfristiger Wirkung gestellt werden müssen.
Mit dem Abgang Merkels muss sich die Bundespolitik komplett neu verorten. In den gut drei Monaten bis zur Bundestagswahl wird nun ausgekämpft, wer dafür das Kommando übernimmt. Es liegt also in der Natur der Sache, dass dieser Wahlkampf härter, klarer und turbulenter wird als frühere, ohnehin im Vergleich zu jenen, die Merkel als Kanzlerin führte.
Der Wahlkampf darf auch hart sein: Es ist dringend notwendig, die Auswirkungen zum Beispiel steigender CO2-Preise, einer stärker zentralisierten Bildungspolitik, das Ende des Verbrennungsmotors oder einer Abschaffung von Hartz-IV zu debattieren. Es ist auch völlig okay, die Kanzlerkandidatin und die beiden Kandidaten auf die Waage zu legen, um ihr politisches Gewicht zu prüfen.
Vergessene Nebeneinkünfte, verlorene Klausuren und Versäumnisse bei Wirecard dürfen und müssen da eine Rolle spielen. Schließlich haben Wählerinnen und Wähler einen Anspruch darauf, zu erfahren, mit wem sie es in einer neuen Regierung zu tun bekommen könnten, persönlich und fachlich. Die Zusammenhänge verstehen die allermeisten allerdings auch, ohne dass mit Schlamm geworfen oder der Holzhammer geschwungen wird.