Kommentar zu AfghanistanEine Kooperation mit den Taliban darf kein Tabu sein
Es ist gerade mal zehn Tage her, als in Deutschland darüber gestritten wurde, ob man dem radikalislamischen Taliban-Regime in Afghanistan eine Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe in Aussicht stellen dürfe, wenn es bestimmte Bedingungen erfülle: zuallererst die Achtung von Menschen- und Frauenrechten sowie den Verzicht auf den Export von Terror. Die jüngste Afghanistan-Geberkonferenz der Vereinten Nationen in Genf, bei der rund eine Milliarde US-Dollar zusammenkamen, lässt die Debatte in einem anderen Licht erscheinen. Die Frage ist nicht, ob geholfen wird, sondern wie und zu welchem Zweck.
Die Macht der Taliban ist nicht in Stein gemeißelt
Gewiss kann es einen Monat nach der erneuten Machtübernahme der Taliban nicht das Ziel sein, das Regime anzuerkennen. Entsprechend hat Außenminister Heiko Maas (SPD) die Bedingungen des Westens in Genf mit Recht noch einmal umfassender formuliert. So gehörten dazu auch, dass Menschen Afghanistan verlassen könnten und die Taliban eine inklusive Regierung bildeten. Überdies scheint die Macht der Taliban keineswegs in Stein gemeißelt. Es gibt Demonstrationen gegen sie und Machtkämpfe zwischen ihnen.
Allerdings hat UN-Generalsekretär António Guterres soeben vor einem finanziellen Kollaps Afghanistans gewarnt, weil dem Land etwas sehr Elementares fehle: Geld. Entwicklungshilfeorganisationen äußern sich ähnlich. Da der internationale Bankenverkehr zusammengebrochen sei, könne man derzeit aus dem Ausland kein Geld nach Afghanistan überweisen, heißt es da. Überhaupt gilt das Nettovermögen in Afghanistan als überschaubar. Es soll bei rund zehn Milliarden Dollar liegen.
Es darf in Afghanistan nicht noch schlimmer werden
Es geht daher nicht nur darum, die akute Not der schätzungsweise noch 38 Millionen Menschen im Land zu lindern. Es geht auch darum, dafür zu sorgen, dass es dort nicht noch schlimmer wird, als es ohnehin schon ist. Darauf kann der Westen Einfluss nehmen – und sollte es tun. Die Alternativen zu einem mindestens moderaten Taliban-Regime könnten nämlich durchaus schlimmer sein: ein Bürgerkrieg, der ökonomische Zusammenbruch Afghanistans oder neue Gewalt-Exzesse der Radikalislamisten, wie sie in den 1990er-Jahren an der Tagesordnung waren. Diese Alternativen würden, so Diplomaten, bewirken, was die Nachbarstaaten in Zentralasien und Europa wohl neben Terrorangriffen am meisten fürchten: eine abermalige Flüchtlingswelle.
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UN-Generalsekretär Guterres sagte, die Taliban hätten jüngst Zusagen gemacht, die ermutigend seien – etwa was die Sicherheit für westliche Helfer betreffe. Außerdem hätten sie ein grundsätzliches Interesse daran, sich kooperativ zu verhalten. Was der Portugiese nicht sagte: Der Westen hat ebenfalls ein Interesse an Kooperation. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Wenn die Taliban verlässlich gemäßigt und rational agieren, dann sollte Zusammenarbeit kein Tabu sein.