Kommentar zu „Sozialtourismus“-BehauptungFriedrich Merz ist noch nicht kanzlerfähig
Wenn Politiker Schwache in der Gesellschaft angreifen, ist oft Populismus im Spiel. Das Ganze ähnelt dem Verhalten eines Pausenhofschlägers in der Schule, der auf einen Kleineren einprügelt – in der Hoffnung, johlenden Applaus der anderen zu erhalten. Es liegt nahe, dass dies das Kalkül von CDU-Chef Friedrich Merz war, als er ukrainischen Flüchtlingen „eine Art Sozialtourismus nach Deutschland“ vorwarf.
Merz kann „Sozialtourismus“-Behauptung nicht mit Fakten belegen
Merz hat sich – nach deutlicher Kritik in den sozialen Netzwerken und in der Öffentlichkeit – für seine Wortwahl entschuldigt. Das ist ein richtiger Schritt, den man ihm auch zugutehalten sollte. Die Entschuldigung ist auch deshalb dringend notwendig gewesen, weil der CDU-Vorsitzende seine Behauptung nicht mit Zahlen und Fakten belegen konnte. Es gehe um ein Problem, das in Einzelfällen zu beobachten sei, sagt er nun.
„Sozialtourismus“ ist in jeder Hinsicht ein perfides Wort. Ein Tourist ist einer, der aus Spaß und zur Erholung reist – selbstverständlich aus freien Stücken. Partytouristen trinken auf Mallorca Sangria aus Eimern, Städtetouristen wollen sehen, was in Rom von der Antike übergeblieben ist. Die Menschen in der Ukraine fliehen vor dem Krieg, selbst wenn einige von ihnen, etwa wegen der Familie dort, regelmäßig dorthin zurückkehren sollten.
Eine absurde Unterstellung
Wie konnte Merz ausgerechnet denen, die durch Putins Krieg aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, unterstellen, sie würden sich in erster Linie am deutschen Sozialsystem bereichern wollen? Das ist absurder, als würde man einem Splitternackten am FKK-Strand, der nichts als Sand und Schweiß an seinem Körper hat, hinterherrufen: „Haltet den Dieb.“ Dieses politische Manöver war zu offensichtlich, um erfolgreich zu sein.
Es ist vollkommen in Ordnung, auch Fehlverhalten von Geflüchteten zu thematisieren – wenn es eines gibt, das belegt werden kann. Und wenn man zwischen Einzelfällen und handfeste Fehlentwicklungen differenziert. Das, was der CDU-Chef getan hat, muss jedoch wie Hohn in den Ohren der Ukrainerinnen und Ukrainer klingen, denen die Union Solidarität versprochen hat. Es lässt den Friedrich Merz, der noch vor Kanzler Olaf Scholz in die Ukraine gereist ist, nicht wie einen ernsthaften Politiker aussehen, sondern wie einen Umfrage-Touristen.
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Auch auf einer rein sachpolitischen Ebene liegt Merz übrigens falsch damit, dass es problematisiert, dass die Geflüchteten aus der Ukraine nicht mehr über das Asylbewerberleistungsgesetz versorgt werden, sondern Hartz-IV-Leistungen, also Grundsicherung, erhalten. Dass die Geflüchteten so von Anfang an über die Jobcenter betreut werden, erleichtert nicht zuletzt die Integration in den Arbeitsmarkt. Daran muss allen gelegen sein – erst recht, wenn der Krieg noch lange dauern sollte.
Merz will nicht in der rechten Ecke stehen – aber er fischt am rechten Rand
Seit seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden hat Merz viele Anstrengungen unternommen, um nicht allein als Vertreter allein des konservativen Flügels in der Partei wahrgenommen zu werden. Schon gar nicht will er in der rechten Ecke stehen, weil in Deutschland Wahlen noch immer in der Mitte gewonnen werden. Er kann aber offenbar der Versuchung nicht komplett widerstehen, mit Populismus am rechten Rand nach Wählern zu fischen. Wenn die CDU der AfD Wähler abjagen würde, wäre das ja auch gut für die Demokratie – es darf nur nicht mit deren Mitteln geschehen.
Merz will die CDU wieder zur führenden Volkspartei der Mitte machen, er hat aber seine eigene Mitte noch nicht gefunden. Das reicht nicht aus für jemanden, der sich zutraut, im Fall der Fälle das ganze Land zu führen. Wenn Merz sich als künftigen Kanzler sieht, muss er an inhaltlicher Substanz und Beständigkeit noch kräftig zulegen.