Kommentar zum Fall SchlesingerMittelfinger an Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen
Für die Chefin eines Nachrichtenbetriebs hatte die inzwischen als ARD-Vorsitzende und RBB-Intendantin zurückgetretene Patricia Schlesinger erstaunlich wenig Nachrichten gelesen. Oder warum war ihr entgangen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, den sie sechs Jahre lang an zentraler Stelle vertreten und mitgesteuert hat, immer stärker unter Druck gerät?
Dass nicht nur ganze politische Lager, sondern auch etliche private Konkurrenten dem öffentlich finanzierten System an den Kragen wollen. Dass sogar die Rufe nach Abschaffung lauter werden und es eine regelrechte Bewegung gibt, die sich als „Zwangsgebühren“-Gegner versteht. Dass, schlimmer noch, ein wachsender Teil der Bevölkerung, also der Finanziers und Adressaten, das Vertrauen in die journalistische Arbeit von ARD, ZDF und Co. verliert. Nicht zuletzt: Dass selbst in Westeuropa, etwa in Frankreich und Großbritannien, die Politik vergleichbare Institutionen gerade abwickeln will?
Das eigentliche Problem des öffentlich-rechtlichen Systems
War Schlesinger all das egal? Mit ihren luxuriösen Dienstwagen, anrüchigen Firmenrabatten, mutmaßlicher Vetternwirtschaft, Luxus-Büroausstattung und der privaten Verwendung von Gebührengeldern bestätigt sie finsterste Vorurteile gegen die Öffentlich-Rechtlichen - und zeigte zugleich den Mitarbeitern des RBB, denen all das unmöglich ist und deren Programme gerade sparen müssen, den Mittelfinger. Kaum vorstellbar, dass sie diesen Zusammenhang nicht sah - eher schon, dass sie dachte, damit durchzukommen.
Das ist das eigentliche Problem des öffentlich-rechtlichen Systems. Sicher, der Fall Schlesinger muss erst aufgeklärt werden. Inzwischen ermittelt der Staatsanwalt. Doch worauf der große Skandal beim kleinen RBB den Scheinwerfer lenkt, ist ein Mangel an Problembewusstsein in der gesamten ARD.
Allerdings nicht in den Redaktionen, deren Ansehen Schlesinger immensen geschadet hat. Im Gegenteil, wie die RBB- und anderen ARD-Kollegen über die Vorwürfe und die schleppende Aufklärung berichten, ist vorbildlich, war und wäre in vielen Privatmedien bei vergleichbaren Fällen undenkbar - und zeigt, dass der öffentlich-rechtliche Journalismus funktioniert.
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Am Problembewusstsein mangelt es ein paar Etagen höher. Wenn Schlesinger auch wegen üppiger Gehaltssteigerung gehen musste, darf man auch fragen: Muss WDR-Intendant Tom Buhrow wirklich mehr verdienen als der Bundeskanzler? Welche Unterhaltungsshows und Sportlizenzen gehören zwingend zur Grundversorgung, die das Grundgesetzt vorschreibt? Und warum leistet sich die ARD noch immer einen Saarländischen Rundfunk und ein Radio Bremen?
Und wenn man Schlesinger ihre Luxuslimousine und ihr italienisches 17.000-Euro-Parkett vorwirft, wieso hat das keine Kontrollinstanz verhindert? Gibt es sie anderswo in der ARD? Vorwürfe unsauberer Geschäfte gibt es ja immer wieder, gerade soll in Sachsen-Anhalt ein Untersuchungsausschuss im Landtag zweifelhafte Gutachterverträge des MDR prüfen. Denken öffentlich-rechtliche Chefs immer noch, Geld spielt keine Rolle - noch sind die Gebühren immer gestiegen?
Gegenseitige Kontrolle von privaten und öffentlichen Medien
Das kann nach hinten losgehen: Wenn sinnvolle Reformen weiter aufgeschoben werben, droht eine politische Welle, die das Kind mit dem Bade auskippt. Wer aber die Öffentlich-Rechtlichen abschaffen oder radikal schwächen will, riskiert - gezielt oder unabsichtlich - polarisierte und manipulative Verhältnisse wie in den USA.
Zum vielfältigen, pluralistischen deutschen Mediensystem gehört die gegenseitige Kontrolle von privaten und öffentlichen Medien - wie sie im Fall Schlesinger, der vom Hause Axel Springer enthüllt wurde - funktioniert hat. Zu ihm gehören aber auch Informationsquellen, die frei sind von kommerziellen Interessen und dem Druck, das Publikum aufzupeitschen und ihm nach dem Mund zu reden.