Kommentar zum FriedensnobelpreisEine Ohrfeige für die Autokraten dieser Welt
Ein Friedensnobelpreis in Kriegszeiten, das gab es – schon sehr oft. Schon der Preis selbst beweist ja, dass Krieg eine dauerhafte Plage und Frieden ein dauerhafter Traum der Menschheit ist. Dass aber das Nobelkomitee einen Preisträger finden muss, während in Europa Europäer Europäer töten – das gab es lange nicht. Die Entscheidung für Menschenrechtler aus Belarus, der Ukraine und auch aus Russland ist deshalb ein starkes Signal zur rechten Zeit.
Denn während früher oft Staatenlenker und Spitzenpolitiker für Verdienste um Waffenruhen und Aussöhnung geehrt wurden, ist dieses Feld in diesem Krieg noch nicht bereitet. Im Gegenteil, auf Putins Drohungen mit der Atombombe reagieren auch seine Gegner martialisch – vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj bis zum US-Kollegen Biden. Das müssen sie auch, um das Gleichgewicht des Schreckens aufrechtzuerhalten.
Und doch schoss Selenskyj nun übers Ziel hinaus, als er forderte, einen russischen Atomwaffeneinsatz durch „Präventivschläge“ zu verhindern. Zwar darf man seiner Klarstellung glauben, dass er keinen nuklearen Erstschlag forderte, sondern ein vorbeugendes Vorgehen gegen russische Anlagen. Doch bei diesem Thema verbietet sich sprachliche Ungenauigkeit.
Irritierend ist auch Joe Bidens Warnung, dass die Welt so nahe am „Armageddon“ stehe wie seit den 1960ern nicht, weil Putin durchaus ernstlich über taktische Atomwaffen nachdenken könnte. Wer das ernsthaft fürchtet, muss innerhalb von Nato, G7 und G20 und gemeinsam mit der Ukraine schnellstens Auswege aus den Gefechten finden und alles Weitere danach regeln. Aber darf die Nato Russland noch Brücken bauen? Nun, einige Friedensnobelpreisträger wurden nicht zuletzt dafür ausgezeichnet, ihren Kurs korrigiert zu haben.
Dass das Nobelkomitee nun Menschenrechtler ehrt, ist trotzdem keine Verlegenheitslösung. Falsch wäre auch die Lesart, ukrainische wie russische Organisationen auszuzeichnen, sei ein salomonischer Aufruf, aufeinander zuzugehen. Vielmehr ist der Preis für die russische Organisation „Memorial“ eine Ohrfeige für Putin – setzt sie sich doch gegen Militarismus ein und wurde vom Kreml gerade verboten.
Besonders stark am Signal des Preises ist aber, dass er zu den Wurzeln dieses Krieges weist – und nach vorn: Wie konnte es so weit kommen? Wie findet ein Russland ohne Putin zurück in die Weltgemeinschaft?
Die Antwort ist die Zivilgesellschaft: Putins Russland krankt daran, dass Menschenrechtler und Kriegsgegner eine kleine Minderheit sind, während die Mehrheitsgesellschaft gelähmt ist durch Obrigkeitshörigkeit, Unterdrückung von Opposition und Meinungsfreiheit und einem Fokus aufs Privatleben oder aufs eigene Fortkommen. Die Friedensnobelpreisträger sind ruhmreiche Ausnahmen – und ein Vorbild für alle Russen, die aus dem imperialen Wahn aufwachen wollen.