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Kommentar zur UkraineWeltkrieg: Das Wort, das niemand hören will

Lesezeit 3 Minuten
Putin und Biden

Wladimir Putin und Joe Biden (Archivbild)

Weltkrieg? Auf dem Display eines Mobiltelefons wirkt schon dieses Wort völlig deplatziert: eine aus der Zeit gefallene Vokabel, versteinert und fern.

Erfahrungen aus der Kriegszeit haben in Deutschland nur noch wenige. Irgendwann wischt die Zeit eben doch alles weg. Wer als Junge in den letzten drei Kriegsjahren geboren wurde und sich schon deshalb an die Umstände nicht mehr erinnern kann, hat heute bereits die durchschnittliche Lebenserwartung erreicht: um die 78 Jahre.

Eine so lange Phase des Friedens gab es in Europa noch nie. Und genau darin, Historiker predigen es seit Jahrzehnten, liegt zugleich das Problem. Das „Nie wieder“ verliert irgendwann an Schwung. Leise wächst dann die Gefahr, dass eine neue Generation auf neue Art am Ende doch wieder Bekanntschaft macht mit dem alten Schnitter und seiner grausam sausenden Sense.

Aus der Moderne in den Schützengraben

„Die Schönheit einer zerbrechenden Welt“ beschrieb eine international beachtete Kunstausstellung im hannoverschen Sprengel-Museum im Jahr 2009. Gezeigt wurden Bilder von August Macke, Franz Marc und Robert Delaunay aus den Jahren 1910 bis 1914, Werke von leuchtender Modernität, die von neuem Mut kündeten, von Menschlichkeit und nie dagewesener Buntheit, kurzum: von einer fantastischen neuen Zeit.

Doch dann begann, zur Verwunderung vieler, der Erste Weltkrieg.

Mackes „Blauer Fuchs“ erschien noch kurz zuvor wie eine ein für allemal gültige Absage an Rückschritt und Dumpfheit. Waschmaschinen, Flugzeuge und Zahnpasta waren gerade erfunden worden, 1911 auch die Nivea-Creme. Viele wähnten sich in Sicherheit, als hätten sie sich unwiderruflich hinübergerettet in eine verheißungsvolle neue Welt. Und dann fanden sie sich im Schützengraben wieder, umgeben von Trommelfeuer und Giftgas.

Droht jetzt erneut der gewaltsame Bruch eines modernen, längst aufs Globale ausgerichteten Lebensgefühls? Das Wort Weltkrieg jedenfalls taucht plötzlich wieder auf. Nicht als Spekulation irgendeines Spinners, sondern als ernste Warnung vom mächtigsten Menschen auf dem Planeten.

US-Präsident Joe Biden hat Recht: Wenn eine Massenflucht in Gang käme und im Zuge humanitärer Rettungsaktionen Truppen der Supermächte direkt aneinander gerieten, könnten Kettenreaktion der unheilvollsten Art die Folge sein: „Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinander zu schießen“.

Die Tabuisierung hilft nicht weiter

Wie aber vermeidet man das? In Deutschland sagt es niemand laut, aber als Alternative zum Weltkrieg erscheint vielen mittlerweile auch eine Art Kompromiss hinnehmbar: ein regionaler Krieg, der bitte auf das Gebiet der Ukraine begrenzt sein möge. Wir haben ja immerhin ein Feldhospital gestiftet.

Geht niemandem auf, wie makaber unterm Strich ein solches Denken ist? Und wie gefährlich? Nur wenn der Westen tatsächlich „entschlossen und geschlossen“ (Olaf Scholz) auftritt, hat er eine Chance, das Schlimmste abzuwenden. Und das Schlimmste ist bereits ein Krieg in der Ukraine, nicht erst ein Weltkrieg.

Oft genug schon hat in der Geschichte die Hoffnung auf eine Begrenzung bewaffneter Konflikte getrogen. Was werden die 130.000 russischen Soldaten wohl tun, wenn sie, wie von Nato-Spezialisten vorhergesagt, die ukrainische militärische Abwehr schon binnen zwei Tagen komplett geknackt haben? Warum sollten sie nicht als nächstes Polen belagern? Oder durch Estland marschieren?

Natürlich will das Wort mit „W“ niemand hören. Doch seine Tabuisierung hilft nicht weiter. Die modernen Gesellschaften des Westens müssen in diesen Tagen alles tun, um nicht die Fehler von 1914 und 1939 zu wiederholen. Nur wer den Krieg verhindert, wird auch den Weltkrieg verhindern.