Längst nicht nur für Senioren relevantBundesfinanzhof urteilt über Altersversorgung
- Der Staat muss Milliardenausfälle bei künftigen Steuereinnahmen fürchten.
Vor dem höchsten deutschen Finanzgericht geht es an diesem Montag um eine Grundsatzfrage und viel Geld: Der Bundesfinanzhof (BFH) urteilt in München darüber, ob Rentner aktuell zu hoch besteuert werden. BFH-Richterin Jutta Förster erkannte schon in der Verhandlung vor zwei Wochen einen „Fall von besonderem Interesse“ – und von besonderer Komplexität: „Sie haben uns einige Sachen zum Nachdenken gegeben“, sagte sie den beiden Klägern. Diese erhoffen sich von dem Urteil die Rückzahlung einiger Tausend Euro, der Staat muss Milliardenausfälle bei künftigen Steuereinnahmen fürchten.
Rund ein Viertel der mehr als 20 Millionen Rentner in Deutschland sind aktuell steuerpflichtig, und der Anteil steigt. Für sie geht es um die Frage, ob Renten teilweise zweimal besteuert werden – zuerst bei der Zahlung der Beiträge und Jahre später wieder bei der Auszahlung der Rente. Im Steuerbescheid 2009 habe der Fiskus 860 Euro zu viel verlangt, hat einer der Kläger ausgerechnet, ein 74-jähriger ehemaliger Zahnarzt, in Folgejahren sei die Summe gestiegen. Ein Systemwechsel könnte zu dieser Doppelbesteuerung geführt haben.
Ein Urteil des Verfassungsgerichts von 2002 krempelte das System um. Bis dahin galt die sogenannte vorgelagerte Besteuerung: Versicherte zahlten ihre Beiträge aus dem versteuerten Einkommen, dafür blieb im Gegenzug die spätere Rentenzahlung steuerfrei. Die Verfassungsrichter sahen eine Ungleichbehandlung zu Beamten und forderten eine nachgelagerte Besteuerung: Der Fiskus soll erst bei der Rentenzahlung zugreifen und nicht schon bei den Beiträgen. Für die Betroffenen ist das günstiger, denn in der Rente hat man meist einen niedrigeren Steuersatz als im aktiven Berufsleben.
Doch das System lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen, und so startete die damalige rot-grüne Bundesregierung 2005 einen Stufenplan für drei Jahrzehnte. Sein Endpunkt: 2040 wird die volle gesetzliche Rente steuerpflichtig, dafür werden die Beiträge vorher schon komplett von der Steuer befreit sein. Über die Jahre wird die Belastung schrittweise von vorn nach hinten verlagert. 2005 wurde die Hälfte der Rente steuerpflichtig. Der Anteil steigt mit jedem neuen Rentnerjahrgang. Wer dieses Jahr in den Ruhestand geht, muss bis an sein Lebensende 81 Prozent der Rente versteuern.
Gleichzeitig werden aber die Beitragszahlungen im Berufsleben weniger belastet – ebenfalls stufenweise. 2005 konnten Berufstätige 60 Prozent ihrer Rentenversicherungsbeiträge von der Steuer absetzen. Aktuell sind es 92 Prozent, und 2025 werden es 100 Prozent sein.Die Kläger behaupten nun, dass der Fiskus in diesen Übergangsjahren falsch rechne: In vielen Fällen werde Geld, das schon versteuert in Beiträge fließe, bei der Rentenauszahlung noch einmal besteuert. Wie das nachzuprüfen ist, hat der BFH in einem früheren Urteil schon angedeutet: Über die durchschnittliche Lebenszeit hinweg müsse ein Mensch mindestens so viel Rente steuerfrei bekommen, wie er vorher im Arbeitsleben an versteuerten Beiträgen bezahlt hat. Dann sei eine Doppelbesteuerung auszuschließen. Das Ergebnis dieser Rechnung ist in jeder Biographie anders.
Der Bund der Steuerzahler rechnet das Beispiel einer Frau vor, die 2020 aufgehört hat zu arbeiten und jährlich 20 000 Euro Rente bekommt. Der Stufenplan sieht vor, dass davon 20 Prozent steuerfrei bleiben, der sogenannte Rentenfreibetrag liegt also bei 4000 Euro. Statistisch lebt die Frau noch 17 Jahre und bekäme in dieser Zeit 68 000 Euro steuerfreie Rente. Hätte die Frau zu Berufszeiten mehr als 68 000 Euro an Beiträgen aus versteuertem Einkommen bezahlt, läge eine Doppelbesteuerung vor.
Was zählt zur steuerfreien Rente?
Das Frage ist nur: Was zählt zur steuerfreien Rente? Das Finanzministerium setzt dort nicht nur den Rentenfreibetrag an, sondern auch den Grundfreibetrag und andere umstrittene Bestandteile. So kämen für den Beispielfall rechnerisch deutlich mehr als 68.000 Euro heraus – und je höher dieser Betrag ist, desto unwahrscheinlicher ist eine Doppelbesteuerung. Nach Überzeugung der Kläger dürften Vergünstigungen, die allen Steuerzahlern zu Gute kommen, nicht unter der Überschrift „Rentenbesteuerung“ mitgezählt werden.
Kippt der BFH diese Methode ganz oder teilweise, müssten Rentner vermutlich steuerlich entlastet werden, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Mit Blick auf das anstehende Urteil hätten rund 142.000 Rentner Einspruch gegen noch offene Steuerbescheide eingelegt, teilte die Bundesregierung im April auf eine FDP-Anfrage mit.Den größten Effekt kann das Urteil allerdings für die heutigen Endvierziger haben, denn ihnen droht besonders leicht Doppelbesteuerung: Sie verbringen ihr gesamtes Berufsleben in der umstrittenen Übergangsphase. Wenn sie 2040 in den Ruhestand gehen, wird ihre Rente bereits voll besteuert. Vorher mussten sie aber im Beruf ihre Beiträge viele Jahre lang aus versteuertem Einkommen zahlen.