„Maischberger“Lungenarzt kritisiert Intensivmediziner und plädiert für Lockerungen
Berlin – Dänemark kehrt in die Normalität zurück, doch wann ist ein Ende der Corona-Beschränkungen in Deutschland möglich? Um diese Frage ging es am Mittwochabend in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche“. Ursprünglich sollte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Sendung zu Gast sein. Allerdings sagte dieser krankheitsbedingt ab, weshalb Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen dessen Platz einnahm.
Dahmen schob dem Gedanken einen Riegel, der dänische Lockerungsweg könnte auch auf Deutschland übertragen werden. „Das ist ein stückweit ein Vergleich von Äpfel und Birnen“, so der Grünen-Gesundheitspolitiker. Deutschland habe eine ältere Gesellschaft, die zudem weniger geimpft, geboostert und getestet sei. Dahmen warnte, ein vorschnelles Ende der Corona-Beschränkungen „ist zum jetzigen Zeitpunkt ein hohes Risiko, das wir sehr wahrscheinlich mit einem sehr hohen Preis bezahlen würden“.
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Der per Video zugeschaltete Chefarzt der Lungenklinik Bethanien in Moers, Thomas Voshaar, betonte, dass die Lockerung eines Nachbarlands kein Grund für eine Diskussion hierzulande sein sollte. „Wir sollten schon auf andere Fakten und die Wissenschaft gucken“, so der Präsident des Verbands Pneumologischer Kliniken.
Dahmen: „Wir sind noch nicht mal in der Halbzeitpause“
Dahmen sieht trotz täglicher Rekord-Zahlen bei den Infektionen Anzeichen zur Hoffnung. Die derzeitigen Maßnahmen in Deutschland würden einen noch stärkeren Anstieg der Fallzahlen verhindern, weshalb auch die Belastung auf den Corona- und Intensivstationen deutlich langsamer steige als in den vorangegangenen Wellen. Durch die Beschränkungen habe man Zeit gewonnen, um auch die Impf- und Booster-Quote zu erhöhen und damit „Leben und Gesundheit geschützt“.
Der Grünen-Politiker rechnet in den kommenden Wochen dennoch mit einem deutlichen Anstieg der Hospitalisierungen. Schon jetzt sei auf den Intensivstationen ein Anstieg von Patienten über 70 Jahren zu beobachten. „Wir müssen davon ausgehen, dass dies in den nächsten 30 Tagen so weitergehen wird“, sagte er. Wenn es in dieser Situation nun vorschnell gelockert werde, „dann werden wir auch im Gesundheitssystem insgesamt wieder starke Belastungen sehen, möglicherweise sogar so stark wie in der Delta-Welle“. Die möglicherweise noch ansteckendere Omikron-Mutante BA.2 könnte die aktuelle Welle zudem noch mal verlängern. Auch deshalb sei es für Lockerungsdiskussionen viel zu früh. „Wir sind noch nicht mal in der Halbzeitpause.“
Lungenfacharzt: Omikron wurde „vom Himmel geschickt“
Voshaar relativierte und sagte, die Situation auf den Intensivstationen dürfe nicht als Maßstab aller Maßnahmen dienen. Viele Kliniken in Deutschland würden inzwischen auch Patienten mit leichten Corona-Verläufen auf den Intensivstationen versorgen. Dann wurde er deutlich: „Alles richtet sich in diesem Land danach, ob die Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger entspannt sind oder nicht.“ In diesem Zuge kritisierte er die regelmäßigen Meldungen der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Es sei „wenig inspirierend, was sie uns immer wieder sagen und dass sie uns damit in dieser Angst gefangen halten“.
Der Lungenfacharzt sieht in der harmloseren Omikron-Variante eine Chance zur Durchseuchung der Bevölkerung. „Wir müssten nun fragen, auf welchen Moment Herr Dahmen warten möchte.“ Seit Pandemiebeginn sei klar gewesen, dass Corona bleiben werde. Die Impfquote und Grundimmunisierung der Bevölkerung seien gut, weshalb Lockerungen vorbereitet werden könnten. Omikron sei deutlich infektiöser, parallel aber deutlich weniger aggressiv, weshalb der Lungenfacharzt offen fragte: „Wann wollen wir den Varianten, die uns der Himmel geschickt hat, mehr Verlauf lassen?“ Der Ausweg aus einer Pandemie sei immer nur der Übergang in die Endemie „durch wiederholte Infektionen auf der Basis einer guten Grundimmunisierung“.
Impfpflicht sorgt für Diskussionen
Omikron als Geschenk des Himmels? An dieser Aussage störte sich Dahmen: „Das sind die falschen Worte angesichts so vieler Menschen, die krank werden“. Er betonte, dass nur Geboosterte oder geimpfte Genesene auch künftig vor schweren Verläufen gut geschützt seien. Der Gedanke, dem Virus freie Fahrt zu gewähren, damit sich auch Ungeimpfte infizieren und deshalb nachhaltig immunisiert seien, „ist durch die Wissenschaft aktuell nicht gedeckt“, so Dahmen.
Voshaar widersprach Dahmen: „Die natürliche Infektion ist viel breiter.“ Dadurch werde auch eine „Schleimhautimmunität“ hergestellt, die durch Impfungen nicht erreicht werden könne. Er ruderte jedoch zurück, dass sich Ungeimpfte willkürlich einer Omikron-Infektion aussetzen sollten. Es brauche „selbstverständlich“ eine Strategie, diesen Menschen die zur Risikogruppe gehören, eine Impfung anzubieten. „Das können und müssen wir aber viel klüger machen, als mit einer Impfpflicht zu drohen.“ Dies habe viele Menschen verschreckt. Impfverweigerer müssten stattdessen direkt angesprochen und niedrigschwellige Impfangebote weiter ausgebaut werden.
Dahmen gegen Abschaffung von 2G Plus im Einzelhandel
Dahmen stimmte Voshaar in diesem Punkt zu. Er hält die Impfpflicht ab 18 Jahren dennoch für einen „Mosaikstein“, um im kommenden Herbst und Winter vor einer erneuten Corona-Welle geschützt zu sein. Es brauche eine deutlich höhere Impfquote, mahnte Dahmen. Vor allem bei den Boosterungen der über 60-Jährigen hinke Deutschland im Vergleich mit Dänemark oder Großbritannien deutlich hinterher. Das Motto der nächsten Wochen müsse deshalb lauten: „Vorausschauende Planbarkeit, aber nicht vorschnelles Lockern.“
Dabei positionierte sich Dahmen auch gegen FDP-Chef Christian Lindner und sprach sich für die Beibehaltung der 2G-Plus-Regel im Einzelhandel aus. Genauso wie die die Maskenpflicht habe diese Regel Deutschland „vor vielen steilen Entwicklungen der letzten Wochen bewahrt“.