Marburger-Bund-Chefin„Der Winter wird noch einmal schwer werden“
Berlin – Susanne Johna ist Vorsitzende des Marburger Bunds und warnt: Wenn 2G nicht eingeführt wird, wäre das der nächste Fehler in der Pandemiebekämpfung. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) spricht sie über schärfere Maßnahmen und Fehler in der Pandemiepolitik.
Frau Johna, Sie sprechen sich für eine bundesweite 2G-Regelung aus. Wie rechtfertigen Sie dies angesichts von unterschiedlich hohen Inzidenzen in den Bundesländern?
Wir brauchen eine einheitliche Regelung in Deutschland und keinen Flickenteppich. Eine bundesweite 2G-Regelung ist deshalb jetzt der dringend notwendige Schritt. Wir müssen aber auch über Ausnahmen von der 2G-Regel für Länder mit einem niedrigeren Infektionsgeschehen sprechen. Dazu zählt zum Beispiel Schleswig-Holstein. Das bedeutet also bundesweit 2G mit Ausnahmen.
Es gibt aber auch Kritiker, die 2G für nicht ausreichend halten und eine zusätzliche Absicherung durch Tests fordern (2G-Plus).
Ja, wir wissen, dass sich auch Geimpfte infizieren können. Aber die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren ist in einem Raum mit Geimpften und Genesenen viel, viel geringer. 2G-Plus bietet zweifellos eine noch größere Sicherheit und wäre ein weiterer Schritt. Aber wichtig ist, vorher den ersten Schritt zu tun: 2G muss jetzt Standard werden. Wenn dies nicht genügt, müssen wir über 2G-Plus nachdenken. Die längste Zeit der Pandemie haben wir hinter uns, aber der Winter wird noch mal schwer werden. Sollten wir keine bundesweite 2G-Regel einführen, wäre das der nächste Fehler in der Pandemiebekämpfung.
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Rechnen Sie damit, dass die Einführung von 2G auch zu mehr Impfungen führen wird?
Andere Länder zeigen, dass sich mehr Menschen nach Einführung von 2G impfen lassen. Auch durch 3G am Arbeitsplatz rechne ich mit vielen zusätzlichen Impfungen. Dies hat auch in Italien noch mal einen ordentlichen Schwung bei den Erstimpfungen gebracht. Insofern glaube ich, dass wir in Deutschland ähnliche Effekte wie in Italien, Frankreich und Österreich sehen werden.
Sie haben sich auf der Hauptversammlung des Marburger Bundes für eine berufsbezogene Impfpflicht ausgesprochen, die auch die Pflegebranchen betreffen würden. Die Pflegeverbände fürchten aber, dass ihnen dann das Personal wegläuft.
Wir erleben leider immer noch, dass es in Pflegeheimen zu Corona-Ausbrüchen kommt, weil ein relevanter Teil des pflegerischen Personals oder auch anderes Personal nicht geimpft ist. Ich verstehe den Einwand der Pflegeverbände. Aber immer mehr Patientinnen und Patienten fragen auch in den Krankenhäusern nach, ob das Personal, das sie betreut, geimpft ist. Stellen Sie sich einen Menschen vor, der jetzt die Diagnose „Tumorerkrankung“ bekommt und weiß, dass sein Immunsystem durch eine Chemotherapie stark geschwächt wird. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn so jemand sicher sein will, dass das ihn behandelnde Personal geimpft ist.
Die Impfkampagne hatte rückblickend nicht den Erfolg, den man sich erhofft hat. Was ist falsch gelaufen?
Die frühe Festlegung der Politik, dass es keine Impfpflicht geben wird, war ein Fehler. Aus meiner Sicht war dies auch unnötig, denn zu Beginn der Impfkampagne konnte man noch nicht wissen, ob eine Impfpflicht nicht irgendwann nötig werden würde. Klar ist, eine Impfpflicht kann immer nur der allerletzte Schritt sein. Aber wann, wenn nicht in einer Pandemie, würde man diesen schwerwiegenden Schritt gehen? Der Ausschluss der Impfpflicht suggeriert die Sicherheit, dass sich die Pandemie auch ohne die Impfung der ganzen Bevölkerung gut bewältigen lässt. Dabei konnte das niemand beurteilen, auch Jens Spahn nicht.
War die Schließung der Impfzentren auch ein Fehler?
Es war richtig, die Zahl der Impfzentren zu reduzieren. Aber alle Impfzentren zu schließen, wie das die meisten Länder gemacht haben, war falsch. Insgesamt ist im Sommer viel zu wenig passiert – es war ja auch Wahlkampf und die Infektionszahlen waren noch niedrig. Auf die vielen warnenden Stimmen, dass die Inzidenzen in Herbst und Winter wieder stark steigen werden, wurde zu wenig gehört. Die Booster-Kampagne hätte schon viel früher vorbereitet werden müssen. Jetzt steigt sozusagen mit jedem Tag die Lücke zwischen denen, die schon frisch geimpft sind und denen, die ab jetzt eine Auffrischung brauchen. Wichtig ist, dass nicht die Ärzte die Menschen zur Booster-Impfung einladen, sondern die Krankenkassen oder Gesundheitsbehörden.
Wie blicken Sie derzeit auf die Lage der Intensivstationen?
Wir erleben jetzt immer häufiger auf den Intensivstationen, dass die dort arbeitenden Menschen ausgebrannt sind. Immer mehr Intensivpflegekräfte, auch einzelne Ärzte, quittieren ihren Beruf oder suchen sich zumindest einen anderen Tätigkeitsbereich. Das hat dann auch Auswirkungen über die Pandemie hinaus. Viele Intensivstationen sind wieder an ihren Grenzen. In Bayern und in Teilen von Ostdeutschland müssen Patienten verlegt werden, weil die Intensivstationen voll sind. Es darf nicht sein, das ganz normale Notfälle wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle dann nicht mehr optimal behandelt werden können. Das wäre fatal. Auch deshalb müssen wir jetzt wieder alle Hebel in Bewegung setzen und die Infektion eindämmen.