Mehr als eine Geld-FrageWarum Menschen wirklich (nicht) arbeiten wollen
- Wer Sozialhilfe bezieht, bekommt im kommenden Jahr mehr Geld. Hören Geringverdienende dann auf zu arbeiten?
- Das befürchtet der Handwerkspräsident. Dabei sind die Gründe, weswegen Menschen arbeiten oder auch nicht, viel komplizierter.
Anderer Name, mildere Bestrafungen und mehr Geld: Die Sozialhilfe Hartz IV soll zum 1. Januar umstrukturiert und in Bürgergeld umbenannt werden. Das hat das Kabinett vergangene Woche beschlossen. Angesichts dessen befürchtet nun der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), dass keine Brücke in die Arbeit gebildet, sondern ein Weg ins Sozialsystem eingerichtet werde. „Viele fragen sich, warum soll ich morgens um 7 Uhr schon arbeiten, wenn derjenige, der das Bürgergeld bezieht, fast das Gleiche bekommt“, sagte er der „Rheinischen Post“.
Es ist ein bekanntes Argument. Aber stimmt es auch? Hören Menschen auf zu arbeiten, sobald sie ihre Miete auch ohne Job bezahlen können? Das stimmt so nicht: „Unterschiedliche, länderübergreifende Untersuchungen zur Lotteriefrage zeigen, dass zwei Drittel der Menschen auch im Falle eines Lottogewinns weiter arbeiten würden“, sagt Laura Venz. Auch, wenn Bürgerinnen und Bürger also mehr als genug Geld hätten, um nie wieder arbeiten zu müssen, würden sie es demnach größtenteils tun.
„Geld ist notwendig, aber kein guter Motivator für Arbeit“
Der Grund dafür ist: Der Beruf hat neben dem Gehalt noch viele weitere Funktionen. „Arbeit ist identitäts- und sinnstiftend, man pflegt dort soziale Kontakte und sie strukturiert den Tag“, erklärt die Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Leuphana-Universität in Lüneburg. Früher, so Venz, sei man davon ausgegangen, dass der Mensch rein nutzenorientiert gegen Geld arbeitet.
„Heute wissen wir: Das funktioniert nicht. Geld ist notwendig, aber kein guter Motivator für Arbeit“, sagt die Arbeitspsychologin. Denn jeder Mensch wolle sich grundsätzlich entwickeln, wertgeschätzt werden für das, was er tut, und selbstbestimmt handeln. Bei der Arbeit können theoretisch viele dieser Bedürfnisse erfüllt werden.
Kann eine verpflichtende Zeiterfassung das Arbeitsleben vieler Menschen gesünder machen? Expertinnen und Experten sind sich uneinig.
Schützt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vor Überlastung und Ausbeutung? Beschäftigte in Deutschland sammeln jährlich Milliarden Überstunden, viele davon unbezahlt. Könnte die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Arbeitszeiterfassung in Deutschland Pflicht ist, die Arbeitskultur verbessern – und die Gesundheit schützen? Experten und Expertinnen erklären, was dafür und dagegen spricht.
Wer zu viel arbeitet, arbeitet nicht gern
Trotzdem gibt es aktuell einen hohen Personalmangel zum Beispiel in der Pflege, der Sozialarbeit, in Verwaltungen, im Nahverkehr und auch im Handwerk fehlen die Arbeiterinnen und Arbeiter. Dazu stellen jüngere Menschen die Art und Weise, wie gearbeitet wird und werden sollte, infrage. Sie legen mehr Wert auf Freizeit als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen und wollen grundsätzlich weniger und flexibler arbeiten. Woran liegt das?
Ob Menschen gern zur Arbeit gehen, ist in erster Linie eine Frage der Arbeitsbedingungen. Werden die Mitarbeiter für ihre Arbeit wertgeschätzt, können sie selbst mehr über ihre Arbeitszeit bestimmen und werden angemessen bezahlt, gehen sie auch gern arbeiten. Wenn der Arbeitsalltag aber geprägt ist von vielen Überstunden, Termindruck und ständigen Unterbrechungen, wird es immer attraktiver, zu Hause zu bleiben.
Auch das Risiko, psychisch zu erkranken, steigt unter diesen Bedingungen. Wer in der Pflege arbeitet, ist laut einer Studie der AOK beispielsweise doppelt so gefährdet, an einem Burn-out zu erkranken, wie andere Berufsgruppen. Der zentrale Grund dafür ist die durch Personalknappheit und höheren Patientenzahlen gestiegene Arbeitsbelastung. Pflegebeschäftigte müssen also deutlich mehr Arbeit schaffen, haben dafür aber nicht mehr Zeit.
Andere Generation, andere Arbeitsvorstellung
Dazu trennt das Verständnis, warum und wie gearbeitet wird und werden sollte, Generationen. Während jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Vier-Tage-Woche und Homeoffice fordern, sind ältere Generationen in einer ganz anderen Wirklichkeit groß geworden. „Der Generation Y, Z und den Millennials wird unterstellt, dass sie keine Verantwortung übernehmen wollen, weil sie nach Lust und Laune arbeiten wollen“, erklärt Theo Wehner, Professor für Arbeitspsychologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. „Das macht den Älteren Angst.
„Arbeit ist das halbe Leben“ war deren Motto. Muße und Sinn findet man im Urlaub, falls man es dahin schafft, oder nach der Rente. Die haben ihr Leben aufgespart. Und jetzt kommen die Jungen und wollen über ihr Tun und Sein selbst bestimmen. Das ist auch ein Stück weit eine Bedrohung.“
Massenkündigungen in den USA
Aber in der Arbeitswelt hat sich dieser Wandel noch nicht ausreichend durchgesetzt. Noch immer setzt etwa die überwiegende Mehrheit der Verbesserungsmaßnahmen am Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. „Eine bewegte Pause, ein Yogakurs oder ein Zuschuss für das Fitnessstudio ändern nichts an den Topbelastungen wie Arbeitsmenge, Termindruck oder Störungen“, kritisiert die Techniker-Krankenkasse in der TK‑Stressstudie 2021. Das könnten nur die Chefs und Chefinnen beeinflussen.
Wie drastisch die Folgen sein können, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das nicht mehr hinnehmen wollen, zeigt sich gerade in den USA. In der Corona-Pandemie hatten viele Menschen plötzlich Zeit, ihren Beruf zu hinterfragen, und kündigen nun millionenfach ihre Jobs. „Es wäre gut, wenn man einen Teil der aktuellen Energiedebatte auch da hinlenken würde zu entschleunigen. Nicht nur auf den Autobahnen, sondern in den Arbeitsprozessen“, rät Theo Wehner. Der Arbeitsalltag sei zu stark von Wachstum, Umsatz, Effektivität und Effizienz geregelt und nicht von Bedürfnissen. „Wir müssen nicht von der Arbeit befreit werden, sondern in der Arbeit von belastenden, beanspruchenden Arbeitsbedingungen“, erklärt er.
Dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Bei Arbeit, die keiner machen wolle, sogenannten dirty Jobs, ist es zum Beispiel auch wichtig, neben dem geringen Verdienst und den schlechten Bedingungen generell, auch an dem ideologischen Wert des Jobs, der gesellschaftlichen Anerkennung, zu arbeiten. „Das sind auch Stellschrauben, um diese Berufe wieder attraktiver zu machen“, sagt Laura Venz.
Ein Grundeinkommen als Chance?
Eine große Chance für eine Reform des Arbeitsmarktes könnte genau da liegen, wo Kritikerinnen und Kritiker eine Bedrohung vermuten: wenn Menschen ihre Miete und ihr Essen bezahlen können, ohne dafür arbeiten zu müssen. Gemeint ist das bedingungslose Grundeinkommen. Es ist nicht – wie das Bürgergeld – an Bedingungen geknüpft. Stattdessen bekommt es jeder Bürger und jede Bürgerin einfach so.
Das wirkt sich grundsätzlich positiv auf die Psyche aus, zeigen etwa Forschungsergebnisse aus Finnland. Dort lief bis 2018 das bislang größte europäische Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen. 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose erhielten zwei Jahre lang jeden Monat 560 Euro. Das war bei manchen nicht viel mehr als die Sozialhilfe, die sie sonst bekamen. Aber dieses Geld war nicht an Bedingungen geknüpft. Nach Abschluss des Experiments ging es den Arbeitslosen besser, sie vertrauten ihrer Umwelt wieder mehr und waren zuversichtlicher.
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Die Idee: Wenn Menschen nicht mehr arbeiten müssen, um zu überleben, investieren sie ihre Kraft sinnvoller. Manche bilden sich weiter, schulen um und gehen höhere Risiken ein, um einen besseren Job zu bekommen – oder suchen sich ein Ehrenamt. Laura Venz sieht daher auch das Potenzial, Pflege- oder Freiwilligenarbeit als Arbeit wertzuschätzen. „Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen könnten es sich möglicherweise mehr Menschen leisten, ein Ehrenamt zu machen oder Freiwilligenarbeit“, so die Psychologin. „Das hätte dann auch einen großen gesamtgesellschaftlichen Nutzen.“
Auch, wenn Bürgerinnen und Bürger sich mit dem bedingungslose Grundeinkommen ihre Tätigkeiten mehr aussuchen können, heißt das nicht, dass sie immer durchgehend hochmotiviert sein werden. „Wer jemals im Flow war, der weiß, welch immense Kraft das kostet. Der weiß, dass er froh ist, wenn er auch mal wieder seine Wäsche waschen kann, die Bude putzen und sich auch ein Stück in einfachen Tätigkeiten erholen kann“, führt Wehner aus.
Auch müsse man sich erst an die neuen Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten, gewöhnen. „Wir sind ein Stück in verdinglichten Arbeitsprozessen groß geworden und haben gelernt, zu tun, was zu tun ist. Wenn das mit einem Schlag wegfällt, dann bedeutet das Stress und Überforderung“, so Wehner. „Weiter zu arbeiten ist dann für viele einfacher als Muße oder freiwillige Tätigkeiten.“