Mindestens 15.000 tote SoldatenWarum in Russland der Aufschrei ausbleibt
Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine kostet täglich vielen Soldaten das Leben. Wie hoch die Todeszahlen auf beiden Seiten sind, darüber kann allerdings nur spekuliert werden. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA sprach nun von 15.000 gefallenen russischen Soldaten. Eine Zahl, die der österreichische Politologe Gerhard Mangott stark anzweifelt. „Von 15.000 Todesfällen hat man schon vier Wochen nach Beginn der Invasion Ende März gesprochen. Und seitdem ist sehr viel Zeit mit weiteren Kämpfen vergangen“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Zwar könnten die Werte damals „bewusst dramatisiert“ worden seien, dennoch halte er die Schätzung für „sehr, sehr niedrig“.
Vor allem die ukrainische Seite arbeitet mit deutlich höheren Zahlen. Der ukrainische Generalstab sprach am Freitag von 39.000 getöteten russischen Streitkräften. Der Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck hält allerdings eine ganz andere Schätzung für realistischer: Das US-Verteidigungsministerium hat vor wenigen Tagen von 20.000 gefallenen und etwa 60.000 verwundeten russischen Soldaten gesprochen, so Mangott.
Trotz Tausender Opfer scheint der große Aufschrei in Russland dennoch auszubleiben. Das russische Volk steht laut Umfragen weiter zu großen Teilen hinter der „Spezialoperation“, wie der Krieg vom Kreml bezeichnet wird. Wissen die Menschen in Russland nicht, wie viele russische Soldaten in der Ukraine ihr Leben verlieren? Nein, sagt der Russland-Experte. Zwar hat der Kreml am 25. März mit 1351 Todesopfern letztmals offiziell Verluste eingeräumt. „Aber es ist natürlich der eigenen Bevölkerung gegenüber nicht zu verbergen, dass sehr viele Soldaten in der Ukraine gefallen sind.“
Dass der breite Protest dennoch ausbleibt, hat für Mangott einen anderen Grund: „Die russische Armee setzt vor allem Soldaten aus Gebieten ethnischer Minderheiten ein und nur wenige aus Großstädten, etwa aus Moskau oder Sankt Petersburg.“ Vor allem Burjaten, Dagestaner, Tschetschenen und Angehörige anderer sibirischer Völker seien an der Front. Zwar würde es in diesen Regionen stärker auffallen, „wie hoch der Blutzoll dieser militärischen Operation ist“. Allerdings seien dies nur russische „Nischengebiete“, ordnet der Experte ein.
Selbst bei einer größeren Transparenz des Kremls und einer stärkeren Wahrnehmung über die Todeszahlen in der Bevölkerung, glaubt Mangott nicht, dass dies zu einem Aufbegehren gegen die russische Führung und Präsident Wladimir Putin führen würde. Das Glück des Kremls sei es, dass die zu beklagenden Opfer derzeit an militärische Erfolgsmeldungen in Russland geknüpft seien. „Problematisch könnte es dann werden, wenn keine Erfolge zu vermelden sind, aber die gefallenen Zahlen weiterhin hoch bleiben.“
Szenario Generalmobilmachung
Auch ein anderes Szenario könnte für eine Stimmungsveränderung sorgen, so der Politologe: eine Generalmobilmachung. Putin scheue diesen Schritt bislang, weil dies verfassungsrechtlich das Ausrufen des Kriegszustandes erforderlich machen würde. „Das wäre ein Eingeständnis, dass die Kämpfe keine begrenzte militärische Spezialoperation sind, so wie es die Diktion der Russischen Föderation meint, sondern dass sie zu einem regelrechten Krieg gewachsen sind.“
Denn es sei etwas anderes, wenn große Teile der Bevölkerung ihre Söhne oder Ehemänner in den Krieg schicken müssten, die nicht der Armee angehören. „Das würde schon zu einer deutlichen Wahrnehmungsverschiebung, auch zu einer Bewertungsänderung, führen.“