Mutter verzweifeltDeutscher Impfgegner versteckt 10-jährige Tochter in Paraguay
Es ist der Schritt, den sie in all den Monaten zuvor vermeiden wollte. Weil sie gehofft hatte, ihr Kind auf andere Weise wiederzufinden. Im Stillen – und vor allem: schneller.
Aber weil alles bislang vergeblich war, sitzt sie am Montagabend nun an diesem langen Tisch in der Generalstaatsanwaltschaft der paraguayanischen Hauptstadt Ascunsion. Neben sich, so erzählen es die Bilder von dieser Pressekonferenz, ein Kommissar, die Staatsanwältin, Polizisten der Spezialeinheit Antisecuestro. Vor sich Pillow, ein Stofftier, ein Schaf in Form eines Kissens, auf das sich Clara, ihre Tochter, so gerne legte. „Helfen Sie uns bei unserer Suche“, sagt Anne Maja Reiniger-Egler in die Kameras vor sich, unter Tränen.
Vater brachte Clara nach langem Wochenende nicht zurück
Sich jetzt an die breite Öffentlichkeit zu wenden, falle ihr schwer, so hatte sie es am Tag zuvor am Telefon aus Ascunsion gesagt. „Aber wenn ich zu Hause bleibe und nichts tue: Wird mein Kind dann wiederkommen?“
Die Geschichte, die sie nun öffentlich macht, beginnt am 25. November vergangenen Jahres. An jenem Tag holt Andreas Egler, ihr Ex-Mann, die gemeinsame Tochter Clara Magdalena Egler, zehn Jahre alt, aus ihrem Haus im Essener Süden ab. Sie wollten für ein verlängertes Wochenende nach London, so hatte es ihr Ex-Mann angekündigt.
Doch der Vater bringt Clara nicht zurück. Stattdessen kommt ein Brief, geschrieben von Egler und seiner neuen Lebensgefährtin, gerichtet an ihre früheren Ehepartner. Zweieinhalb eng bedruckte Seiten, Ausdruck von Verblendung, gespickt mit Versatzstücken aus „Querdenker“-Pamphleten, Verschwörungstheorien und Untergangsphantasien.
Ex-Mann und Lebensgefährtin fürchten „unvorstellbare Katastrophenszenarien“ in Deutschland
Es sei „die politische Situation in und um Deutschland herum, die uns zu dieser Flucht zwingt“, schreiben sie da. „Wir sind uns mittlerweile sicher, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt, wie auch zu Nahrungsmittelknappheit, Blackouts, einem kompletten Wirtschaftskollaps, weiteren Pandemien und bisher unvorstellbaren Katastrophenszenarien.“
In Deutschland sei nur ein „Leben in einem Überwachungsstaat“ möglich, in „Angst, Krieg und Krankheit“. Das Kindeswohl sei hier permanent gefährdet, wegen „experimenteller Genspritzen“, einer „gesundheitsschädlichen Maskenpflicht im Unterricht“, der „Angst, aufgrund eines positiven Testergebnisses von der Klasse „abgesondert„ zu werden“.
Am Ende wähnen sie sich dann in Parallelen zur Nazi-Zeit – und stilisieren sich selbst zu prophetischen Mahnern: „Die Deutschen haben aus der Geschichte nichts gelernt und müssen folglich einen weiteren Leidensweg antreten“, heißt es in ihrem Abschiedsbrief. Sie aber hätten nun „die Reißleine gezogen“. Das war das Letzte, was Anne Maja Reiniger-Egler von ihrem Ex-Mann hörte. Und von ihrem Kind.
Streit um Coronatests an Schulen endete vor Gericht
Zwei Monate später, im Januar, sitzt die 45-jährige im Wohnzimmer ihres Hauses in Essen und erzählt vom Verschwinden, von den Anfängen der Suche und der Vorgeschichte. Von dem Streit, den es zwischen ihr und ihrem Ex-Mann gegeben hatte, weil er der Schule und dem Kinderarzt verbieten wollte, dass die Tochter auf Corona getestet wird und Masken tragen muss. Und von dem Beschluss des Familiengerichts, das ihr das Recht zusprach, in allen Gesundheitsfragen allein über die Tochter zu bestimmen.
„Ich wusste, in welche Richtung sie denken“, sagt sie da über ihren Ex‑Mann und seine Partnerin. „Aber ich hätte nie geglaubt, dass sie sich so radikalisieren und bereit sind, Straftaten zu begehen.“
Paraguay: Ziel von Impfgegnern
Der 46-jährige Andreas Egler, Ex-Fußballprofi, zuletzt im Geschäft mit Tickets tätig, und seine neue Frau, Anne Egler, Sängerin, haben auch deren Tochter Lara, elf Jahre, mitgenommen. Zusammen, so ergeben die Recherchen, sind sie mit den Kindern nach Paraguay ausgereist. Das südamerikanische Land gilt als beliebtes Ziel von Staatsskeptikern und Staatsskeptikerinnen aller Art, mit einer besonderen Anziehungskraft für sogenannte „Querdenker“ und „Querdenkerinnen“.
Auch sind die Eglers mit ihrer Idee kein Einzelfall, deutsche Behörden sind oder waren nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland bislang mit fünf ähnlichen Fällen beschäftigt, in denen Väter oder Mütter vor dem Hintergrund der Pandemie ein Kind gegen den Willen des anderen Elternteils mit nach Südamerika genommen haben.
220 Verfahren wegen ins Ausland gebrachter Kinder
Die rechtliche Grundlage, das Kind zurückzuholen, bildet das Haager Kindesentführungsübereinkommen, kurz HKÜ. 220 Verfahren wegen ins Ausland gebrachter Kinder hat das Bundesamt für Justiz für das vergangene Jahr insgesamt registriert. Diese Verfahren nach dem HKÜ gelten jedoch als langwierig, zudem ist bislang unklar, wo sich der Vater von Clara überhaupt aufhält. Anne Maja Reiniger-Egler startet daher noch im Winter ihre eigene Suchaktion, als Tochter des ehemaligen Oberbürgermeisters von Essen verfügt sie über beste Kontakte.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer bahnt den Kontakt zur deutschen Botschaft an, andere Freunde und Bekannte gründen Wieder zurück, einen Verein, der die Eltern entzogener oder entführter Kinder und Jugendlicher unterstützt.
Internationaler Haftbefehl gegen Vater
Anne Maja Reiniger-Egler wiederum, bislang Projektleiterin, wurde dann zur Vollzeitsuchenden, reiste im Februar nach Paraguay, um die Suche dort selbst voranzutreiben und Kontakte zu Behörden zu knüpfen, kehrte Anfang April kurz zurück, um dann Anfang Mai erneut hinzufliegen. Mit ihrem neuen Mann fuhr sie quer durchs Land, klapperte Kolonien ab.
Einmal war die Polizei den Kindern offenbar nah, fand die abgelegene Siedlung, in der die Vier offenbar gewohnt hatten – die sie jedoch kurz zuvor verlassen hatten.
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Inzwischen sucht die Polizei mit einem internationalen Haftbefehl nach Claras Vater, die Spezialeinheit Antisecuestro ermittelt. Wie viele Hinweise es bislang gibt, welchen Wert sie haben, zu all dem macht die Polizei noch keine Angaben. Anne Maja Reiniger-Egler wiederum bleibt nur die Hoffnung, dass die landesweite öffentliche Fahndung nun erfolgreich ist.
Was sie treibt, ist die Sorge um die Mädchen, die Angst vor der Entfremdung nach Monaten der Trennung: „Es gibt keine Stunde“, sagt sie, „in der ich glauben kann, dass es den Kindern in dieser Fluchtsituation gut geht.“ Für sie ist das, was sie erlebt, ein „Kollateralschaden der Pandemie: Ein Schaden, der bleibt, auch wenn die Pandemie abebbt“.