AboAbonnieren

Nachfolge am Obersten US-GerichtshofTrump liebäugelt mit konservativen Kandidatinnen

Lesezeit 5 Minuten
Oberster_Gerichtshof

Viele Trauernde haben Blumen und Abschiedsgrüße vor die Treppe des Obersten Gerichtshofs der USA in Washington gelegt. 

  1. Praktisch unmittelbar nach dem Tod der liberalen US-Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg ist der Kampf um ihre Nachfolge entbrannt.
  2. Bader Ginsburgs Wunsch, mit einer Neubesetzung ihrer Stelle am Obersten Gerichtshof bis nach den Wahlen im November zu warten, interessiert US-Präsident Donald Trump und die Republikaner nicht.
  3. Trump hofft mit der Benennung einer konservativen Nachfolgerin für Bader Ginsburg seine Wählerbasis aktivieren zu können.

Washington – Die Stimmung rund um den weißen Säulenbau auf dem Washingtoner Kapitolshügel war betroffen und ruhig. Rund tausend überwiegend junge Menschen hatten sich am Samstagabend vor dem Supreme Court versammelt, um mit Blumen und Kerzen der gestorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg zu gedenken. Ein A-cappella-Frauenchor stimmte John Lennons „Imagine“ an.

Den ganzen Tag über hatten schon unzählige Bürger der legendären Vorkämpferin der Frauen- und Minderheitenrechte, die am Freitagabend nach einer langen Krebserkrankung im Alter von 87 Jahren gestorben war, die letzte Ehre erwiesen. Vor dem Verfassungsgericht legten sie Gebinde mit Rosen, Lilien oder Tulpen ab.

„Erfüllt ihren letzten Wunsch”

Die beiliegenden Zettel machen deutlich, welche Rolle die äußerlich zierliche, innerlich aber enorm willensstarke und prinzipientreue Top-Juristin für das linksliberale Amerika gespielt hat. „You made me proud to be an American“ („Du hast mich stolz gemacht, ein Amerikaner zu sein“) stand auf einem, „Dissent is a duty“ („Widerspruch ist Pflicht“) auf einem anderen. „Erfüllt ihren letzten Wunsch!“, forderten mehrere Schilder.

Bader_Ginsburg

Die am Freitag im Alter von 87 Jahren gestorbene Richterin am Obersten Gerichtshof der USA, Ruth Bader Ginsburg

Dazu wird es nicht kommen. Kurz vor ihrem Tod hatte Ginsburg darum gebeten, mit der Berufung ihres Nachfolgers bis nach der Präsidentschaftswahl in sechs Wochen zu warten. Doch 500 Kilometer südlich von Washington, bei einer lauten Wahlkundgebung in Fayetteville, machte Donald Trump am Samstagabend unmissverständlich klar, was er von diesem Ansinnen hält – nichts. Er habe eine „moralische Pflicht“, den vakanten Posten schnell neu zu besetzen, behauptete der Präsident. „Fill that seat!“ („Besetz diesen Stuhl“) skandierte die Menge.

Den USA droht der nächste spaltende Konflikt

Auch ansonsten stand Trumps dröhnender Auftritt in scharfem Kontrast zur leisen Trauer in Washington. Gerade einmal neunzig Sekunden lang würdigte der Präsident die Verstorbene, die es als zweite Frau in der Geschichte an den Supreme Court schaffte und in den 27 Jahren ihrer Tätigkeit zu einer liberalen Ikone und Kultfigur wurde.

Ausführlich widmete sich Trump hingegen der Nachfolge, die er offenbar erneut wie eine Reality-TV-Show inszenieren möchte. Scherzhaft ließ er sein Auditorium darüber abstimmen, ob er eine Frau oder einen Mann auswählen soll. Dann sagte er: „Ich mag Frauen tatsächlich mehr als Männer. Das muss ich sagen.“

Als Favoriten gelten derzeit die 48-jährige Amy Coney Barrett, eine streng katholische Mutter von sieben Kindern, und die 52-jährige Barbara Lagoa, die als erste Latina an den Supreme Court kommen würde. In den nächsten Tagen will Trump das Geheimnis mutmaßlich bei einem großen Fernsehauftritt lüften. Noch vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit am 20. Januar soll die neue Richterin vereidigt werden.

Damit steuern die in diesem Wahlkampf extrem polarisierten USA auf einen weiteren Konflikt zu, der das Land zu zerreißen droht. Als höchste Instanz bei den häufigen Machtkämpfen zwischen dem Kongress und dem Präsidenten kommt dem neunköpfigen Verfassungsgericht nämlich eine enorme politische Bedeutung zu.

Derzeit zählen fünf Richter formal zum konservativen und vier zum linksliberalen Lager. Doch der von Ex-Präsident George W. Bush berufene konservative Vorsitzende Richter John Roberts hat sich als unabhängig erwiesen. Wenn Trump nun nach dem Tod der linksliberalen Ginsburg eine jüngere konservative Richterin beruft, könnte er den Supreme Court für Jahrzehnte fest nach rechts verschieben.

Mehr als 200 konservative Richter hat Trump ernannt

Genau das erwarten die Anhänger des Präsidenten. „Die republikanische Basis wird wirklich aufgebracht sein, wenn er nicht ein konservatives Äquivalent zu Ginsburg nominiert“, drohte bereits Terry Schilling, der Vorsitzende des erzreaktionären American Principles Project, das gegen Schwulen- und Transgender-Rechte kämpft. Diesen Druck braucht der Präsident gar nicht. Die Neubesetzung der Gerichte war eines seiner wichtigsten Wahlversprechen.

Mehr als 200 konservative Richter hat er bereits überall im Land und zwei am Verfassungsgericht installiert. Die Berufung eines dritten Verfassungsrichters wäre für ihn das ultimative Wahlargument bei seinen evangelikalen Anhängern, die seit langem eine Verschärfung des Abtreibungsrechts fordern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Doch ganz alleine kann der Präsident die Personalie nicht entscheiden. Er braucht vielmehr den Senat, der die neue Richterin nach einer Anhörung bestätigen muss. Dort sitzen 53 Republikaner und 47 Demokraten, bei einem Patt gibt Vizepräsident Mike Pence den Ausschlag.

Maximal drei Abweichler kann Trump also ertragen. Mehrheitsführer Mitch McConnell hat bereits unmittelbar nach Bekanntwerden von Ginsburgs Tod erklärt, dass er die Personalie durchpeitschen will. Das steht in bemerkenswertem Widerspruch zu McConnells Haltung im Wahljahr 2016, als er elf Monate lang die Berufung des Obama-Kandidaten Merrick Garland ans Oberste Gericht verhinderte, weil er angeblich der Entscheidung des amerikanischen Volkes nicht vorgreifen wollte.

Entsprechend groß ist die Wut bei den Demokraten. Doch auch einige der 25 republikanischen Senatoren, die am 3. November zur Wiederwahl anstehen, müssen mit Gegenwind rechnen. Noch ist unklar, ob die Empörung von Wählern in der Mitte über den Coup größer ist als die Unterstützung der rechten Basis für die Neubesetzung. Davon dürfte das Abstimmungsverhalten der mutmaßlichen Wackelkandidaten abhängen.

Bislang haben zwei Senatorinnen erklärt, dass sie eine Neubesetzung vor der Wahl nicht unterstützen. Doch ist offen, ob sie am Ende wirklich mit Nein stimmen oder sich nur enthalten. Für eine Blockade des Trump-Vorstoßes bräuchte es außerdem zwei weitere Stimmen. Die sind bislang nicht in Sicht.

So läuft alles auf einen Showdown um den Supreme Court zu. „Der Kampf hat gerade erst begonnen“, rief die linke Senatorin Elizabeth Warren am Samstagabend den Demonstranten vor dem Supreme Court in einer ungewöhnlich kalten Septembernacht zu.