Neuer Streit entfachtWenn Hitlers Geburtsort die Geschichte löscht
- Adolf Hitler kam in dem österreichischen Städtchen am Inn zur Welt.
- Jetzt flammt neuer Streit darüber auf, was mit seinem Geburtshaus geschieht.
- Wien verlangt eine „Neutralisierung“ des Gebäudes. Die Braunauer wollen sich ihrer Bürde lieber stellen.
Berlin – Wird Manfred Hackl im Ausland nach seinem Heimatort gefragt, dann sagt er einfach, dass er “aus der Nähe von Salzburg” kommt. Nach Salzburg sind es zwar 60 Kilometer, doch die genaue geografische Angabe vermeidet der Grünen-Lokalpolitiker. Weil sie Überraschung, Befremden, vielleicht Argwohn hervorrufen würde.
Hackl, 56 Jahre alt, lebt in Braunau am Inn. In Oberösterreich, an der Grenze zu Deutschland. Über allem steht: Braunau ist die Geburtsstadt Adolf Hitlers. Und deswegen weltbekannt.
Im Eiscafé Baccili mit der Adresse Salzburger Vorstadt 13 erzählt Manfred Hackl davon, wie das ist, immer wieder mit Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus konfrontiert zu werden. “Das nervt schon sehr”, sagt Hackl. Und meint süffisant: “Als Lokalpolitiker ist man nicht stolz darauf.” Lieber kümmert er sich um andere Dinge, setzt sich für Braunau als “Schulstadt, Radlstadt, Kulturstadt” ein.
Adolf Hitler lebte nur ein Jahr in der Stadt
Im Sommer verströmt Braunau, 17 000 Einwohner, mit seiner aufgehübschten Altstadt die Aura eines etwas verschlafenen Ortes mit sehr netten Ecken. Ein paar Meter vom Café Baccili ist in einer Flachbaubaracke die Tabak-Trafik, daneben sitzen Leute am “Vorstadt-Imbiss” und trinken Bier. Gegenüber dem Haus liegt der Weltladen, es folgt der Naturladen und weiter oben der Hanfladen. Die Verbindung zum niederbayerischen Simbach auf der anderen Seite des Inns ist eng und freundlich.
Doch inmitten von all dem, direkt neben dem Eiscafé, steht eben dieses Haus Salzburger Vorstadt 15 mit seiner schmutzig-gelben Fassade. Ein Bürgerhaus aus dem 17. Jahrhundert. Drei Stockwerke hoch, wuchtig, hinter den Fenstern Leere.
Dort wurde Adolf Hitler am 20. April 1889 geboren. Sein erstes Lebensjahr verbrachte er in dem Haus und “füllte die Windeln”, wie Einheimische sagen. Die Familie zog innerhalb Braunaus um und 1892 nach Passau, da war Adolf Hitler drei Jahre alt.
Das Haus steht weiter an seinem Platz. Über zwei Kriege hinweg. Auch über den, den das Braunauer Kind 1939 entfesselt hat. Braunau muss mit dem Erbe umgehen, irgendwie. Jetzt gibt es großen Streit darüber, der bis in die österreichische Bundespolitik reicht.
Das Innenministerium in Wien – dem österreichischen Staat gehört das Anwesen seit 2017 – hat nach der Einrichtung von zwei Expertenkommissionen beschlossen, dass nichts mehr an Hitler erinnern soll. Im November 2019 hatte der parteilose Kurzzeit-Innenminister Wolfgang Peschorn gesagt: “Wir wollen das Haus als Ganzes der Erinnerung entziehen und es so neutralisieren.”
„Eine typisch österreichische Verdrängungsgroteske“
Neutralisieren – das ist das (Un-)Wort, das die Debatte befeuert. Nach der Renovierung sollen 2023 das Bezirkspolizeikommando und die Polizeiinspektion Braunau einziehen, vielleicht auch eine Polizeischule. Ein Voralberger Büro hat nun den Architektenwettbewerb gewonnen, nach dessen Entwurf wird die Fassade in einen Zustand vor der Hitler-Zeit zurückgebaut, auf dem hinteren Grundstück soll ein Konferenzzentrum entstehen, daneben ein kleiner Park. Die Polizei sei “ein Garant für Demokratie”, sagt der amtierende Innenminister Karl Nehammer von der konservativen ÖVP.
Ein Problem erledigen, indem man die Vergangenheit löscht? Der Schriftsteller Ludwig Laher aus dem 35 Kilometer entfernten St. Pantaleon bezeichnet das als “sehr österreichische Verdrängungsgroteske”: “Die Vorstellung, man könne dem Gebäude seinen Symbolwert entziehen, und dann ist alles in Butter – das ist unglaublich naiv.”
Hinzu kommt die Sache mit dem Gedenkstein. Der steht kniehoch seit 1989 auf dem Gehweg vor dem Haus und trägt die Inschrift: “Für Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus, Millionen Tote mahnen.” Er ist der einzige – indirekte – Bezug zu dem Haus und zu Hitler. Ein Spitzenbeamter des Innenministeriums hatte bei der Vorstellung der Pläne in Braunau gesagt, dass man den Stein am besten entfernen und in Wien im “Haus der Geschichte” ausstellen solle.
Sogar die Rechtspopulisten von der FPÖ sind skeptisch
Das sehen viele Bürger ganz anders. In Braunau ist niemand zu finden, der sagt, dass am besten gar nichts mehr an Hitler und die NS-Verbrechen erinnern sollte. Auch nicht Hubert Esterbauer, Zweiter Bürgermeister, von der rechtspopulistischen FPÖ. “Ich habe mich mit der Geschichte auseinandergesetzt, habe alles über das Dritte Reich gelernt.” Auch er will, dass der Stein bleibt. Dass die Polizei einziehen soll, hält er für “nicht sehr glücklich.”
Florian Kotanko muss, bevor er zum Gespräch bereit ist, noch zwei Touristen helfen. Bis zu seiner Pensionierung war er Rektor des Braunauer Gymnasiums und gilt als wandelndes Ortslexikon, er steht dem lokalen “Verein für Zeitgeschichte” vor. Die Japaner fragen ihn, ob das denn nun das Haus sei und deuten auf die 15. Sie machen Fotos, Kotanko meint: “Das kommt hier ständig vor.” Wer in die Stadt kommt, der geht auch zum Haus. Das Tourismusamt hat dafür eine Lösung gefunden: Auf den Stadtplänen fehlen zwar Hinweise auf das Gebäude. Der Gedenkstein direkt davor ist aber als Sehenswürdigkeit eingezeichnet.
Der ehemalige Geschichtslehrer holt aus. “Das Haus ist vom Mahnstein zu trennen”, sagt er. Das Haus gehört der Republik Österreich, der Stein der Gemeinde. Der Bundesstaat hatte die Vorbesitzerin 2017 enteignet und ihr 812 000 Euro Entschädigung gezahlt. Die Frau war, so wird berichtet, nach dem Auszug der Behinderteneinrichtung “Lebenshilfe” im Jahr 2011 auf keine Vorschläge zur weiteren Nutzung eingegangen.
Neonazis kamen ein Mal - vor 40 Jahren
Kotanko spricht nun von einer erforderlichen “historischen Kontextualisierung”. Man könnte etwa in einem Raum eine Ausstellung darüber machen, “was war”. Der Stein wiederum, das hat jetzt ein Arbeitskreis der Gemeinde beschlossen, bleibt mit seiner Inschrift an Ort und Stelle vor dem Haus.
Die Geschwister Elisabeth Wimmer und Martin Simböck, 64 und 66 Jahre alt, sind Braunauer Urgesteine, aktiv in der Kultur und der Lokalpolitik. “Man kann das Haus nicht neutralisieren”, sagt Elisabeth Wimmer. Die zierliche Frau mit den langen weißen Haaren ist Goldschmiedin und saß viele Jahre für die SPÖ im Gemeinderat. Sie meint: “Die Polizei war ja nicht immer ein Garant der Demokratie.” Ihr Bruder Martin Simböck hat kürzlich in einem Leserbrief geschrieben: “Wenn man sich die Augen zuhält, ist das Haus trotzdem da.” Und er sagt: “Geschichtslosigkeit rächt sich.”
Die beiden singen im “Demokratischen Chor” Braunau, immer am 8. Mai treten sie bei der Gedenkstunde zur Befreiung von der Nazi-Diktatur auf. Gesungen werden Arbeiter- und antifaschistische Lieder. Jetzt sagt Innenminister Nehammer, das Haus solle kein Anziehungspunkt mehr für Nazis sein. Simböck kontert: “Diese Angst ist unbegründet.” Ein Mal, am 20. April 1979, seien 500 rechtsradikale Studenten aufmarschiert. Das ist mehr als 40 Jahre her. “Braunau ist kein NS-Anziehungspunkt”, ist sich Elisabeth Wimmer sicher.
Ein Haus der Verantwortung
Doch was tun mit dem Haus, das kein Täterort ist – im Gegensatz zu den NS-Zentralen in Berlin, in München, auf dem Obersalzberg, wo Krieg und Völkermord geplant wurden? Und im Gegensatz zu den Vernichtungslagern und den unzähligen Orten der Gräuel und Kriegsverbrechen?
Der Bürgermeister ist in einer Stadt keine unmaßgebliche Person. Doch Johannes Waidbacher von der ÖVP hält sich raus. Mit Medien möchte er nicht reden, stattdessen verschickt er eine Presseerklärung. Darin steht, dass der Architektenwettbewerb “die Rückführung des Gebäudes auf die historische Fassade” vorsehe. Dies sei von verschiedenen Institutionen angeregt worden, es “dient der Neutralisierung des Objektes und wurde als zielführend erachtet”.
Die Geschwister Wimmer und Simböck meinen, ein “Haus der Verantwortung” wäre gut. Das ist eine 20 Jahre alte Idee des Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger. Er will in dem Gebäude eine “internationale Stätte der Begegnung und Versöhnung” errichten. Junge Menschen sollen sich dort zu Workshops treffen und zu gesellschaftlichen Themen arbeiten. Die Umsetzung aber ist nicht weit gediehen. “Für bestimmte Dinge braucht man einen langen Atem”, sagt er am Telefon. Mit einem “Haus der Verantwortung” würde Braunau “sein Stigma verlieren”.
Eine Stadtpolitik ohne Souveränität
Auch Schriftsteller Laher aus St. Pantaleon kann sich neben Wohnungen und Büros gut so ein Haus vorstellen oder “eine ähnliche zukunftsorientierte Lösung ohne direkten NS-Bezug”. Ruhig und freundlich spricht Ludwig Laher, während er in seinem Garten die Katze krault. Doch seine Worte sind umso schärfer.
Er sieht “mangelnde Souveränität der Stadtpolitiker” in Braunau, spricht von einer “strukturellen Vermeidungshaltung”. Man schiebt die Verantwortung nach Wien und ist wohl ganz froh darüber. Dabei müsse Braunau als Ort versuchen, “dem Phänomen und der Bürde offensiv zu begegnen”.
Doch Wien hat entschieden. Alles sieht danach aus, dass die Polizei in das Geburtshaus von Adolf Hitler einzieht.
Hintergrund: Für Hitler selbst war Braunau bedeutungslos
Lange hatte die Stadt Braunau versucht, das Hitler-Geburtshaus zu ignorieren. Das Gebäude war im 17. Jahrhundert als großes Bürgerhaus errichtet worden. Eine Brauerei mit Gastwirtschaft sowie Mietwohnungen waren darin untergebracht. Es steht unter Denkmalschutz.
Der Zollbeamte Alois Hitler und seine Frau Klara bekamen hier am 20. April 1889 ihr drittes Kind, Adolf. Bis zu seinem 15. Lebensjahr hatte Hitler bereits in sechs verschiedenen bayerischen und österreichischen Städten gelebt. Er selbst hat sich nie sonderlich für seinen Geburtsort interessiert, das Haus war ihm zu schäbig, von den bescheidenen Verhältnissen seiner Familie hat er sich früh distanziert.
Dennoch kaufte Martin Bormann als Reichsleiter der NSDAP 1938 das Gebäude für den vierfachen Verkehrswert. Es wurde als NS-Kulturzentrum für Propagandazwecke genutzt, eine Bücherei befand sich darin, Bilder wurden ausgestellt.
Nach Kriegsende wurde das Haus 1952 den vormaligen Besitzern in einem Vergleich zurückgegeben. Die Republik Österreich mietete es an, bis zur Enteignung 2017. Bis 1965 war die Stadtbücherei einquartiert, davon zeugt noch ein Schriftzug am Eingang. Darauf folgte die Nutzung als berufsbildende Schule. Von 1977 bis 2011 war die Lebenshilfe Oberösterreich Untermieterin, die dort eine Tagesheimstätte für Menschen mit Behinderung betrieb. (RND)