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Lange Auszeit für das Pergamon MuseumDie Tür bleibt bis 2037 geschlossen

Lesezeit 7 Minuten
Besucher drängen sich im Südflügel des Pergamonmuseums in Berlin am 5. Oktober 2023 vor dem Ischtar-Tor, das um 575 v. Chr. im Auftrag von König Nebukadnezar II. errichtet wurde. Das Pergamonmuseum wird am 23. Oktober 2023 wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, bis 2027 der Nordflügel wiedereröffnet wird. Das Museum als Ganzes wird voraussichtlich erst 2037 wiedereröffnet.

Das Ischtar-Tor, circa 575 vor Christus von Nebukadnezar II. erbaut, wird lange nicht mehr zu sehen sein.

Berlins berühmtestes Museumsgebäude ist so marode, dass es für die Generalsanierung bis 2037 schließt. Es gibt Kritik an den Plänen.

Muschuschu, der Drache, wird zusammen mit den Löwen und Stieren hinter staubfesten Wänden verschwinden, für 13 lange Jahre. Aber was sind schon 13 Jahre, wenn man bereits mehr als 2500 Sommer auf dem Buckel hat? Noch sind das Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße von Babylon im Südflügel des Berliner Pergamonmuseums zugänglich. Noch für drei Wochen. Dann schließt das Museum für eine Generalsanierung. Wiedereröffnung: vermutlich 2037.

Noch wuseln die Besucherinnen und Besucher durch die renovierungsbedürftigen Flure, schauen ehrfürchtig nach oben auf die Wand aus blau glasierten Ziegeln aus der Regierungszeit von Nebukadnezar I., nach dem die Franzosen eine Weinflasche benannt haben.

Das Ischtar-Tor wird für eine lange Zeit nicht zu sehen sein

Die Löwen in der Prozessionsstraße symbolisieren die Göttin Ischtar, Göttin der Liebe und auch des Krieges. Die Stiere am Ischtar-Tor verkörpern den Wettergott Adad. Doch der Schlangendrache Muschuschu ist der Gebieter von ihnen allen, denn er ist das Wappentier des obersten der Götter, des Stadtgotts von Babylon, Marduk. Das alles verschwindet jetzt erst einmal in der Dunkelheit.

Auf den Kanälen des RBB läuft zurzeit die Serie „Auf Wiedersehen, Pergamon“. Kuratorinnen und Künstler verabschieden sich von ihren Lieblingsobjekten aus dem Museum und erklären sie auch denen, die mit der Antike eher wenig zu tun haben. Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Museums, präsentiert dort etwa die „Kultvase von Uruk“, auf der die Ordnung der Welt nachgestellt ist. Unten symbolisiert ein Wellenband das Wasser, ohne das kein Leben existiert. In der Mitte der Vase bringen Feldarbeiter die Ernte ein. Ganz oben fehlt ein Stück: Die Person oder Gottheit an der Spitze ist herausgebrochen. „Schon damals haben sich Leute gegen die Herrschaft gewehrt“, interpretiert Helwing diese Zerstörung.

Pergamon-Museum schließt bis 2037

Auf der Prozessionsstraße ist viel los: Museumsführerinnen und Museumsführer versuchen, Schulklassen für das antike Babylon zu begeistern. „Das war das New York des Altertums“, sagt eine. 20 Meter weiter versucht es ihr Kollege mit einem anderen Ansatz: „,Babylon Berlin‘, kennt ihr die Serie?“

Vor dem Ischtar-Tor steht Herr Khan in seiner Museumswärter-Uniform: weißes Hemd, schwarze Hose, wacher Blick. Er steht nicht immer an dieser Stelle, die Wärter wechseln ihre Standorte. So gesehen hat er an diesem Tag den prominentesten Platz. Wird ihm das Tor nicht fehlen, so viele Jahre lang? Was sein muss, muss eben sein, sagt Herr Khan und lenkt den Blick vom Tor weg nach oben auf das schmutzige, an vielen Stellen bereits rissige Glasdach. Dann nach unten auf den ebenfalls nicht mehr makellosen Boden. An die schmutzigen Wände. Das sei ein Sicherheitsrisiko, wenn jetzt nichts gemacht werde. Und viel komfortabler werde es, auch für ihn: Schließlich kommt dann auch endlich eine Klimaanlage. Und vor allem, in drei Jahren soll der Nordflügel öffnen, das ist ja fast schon übermorgen. Kollegen seien bereits drin gewesen in dem renovierten Teil, alles hell, alles sauber, alles wunderschön. Da kann man sich drauf freuen. Also nicht immer an 2037 denken.

Sanierung des Museums soll 1,5 Milliarden Euro kosten

Die Kosten für Sanierung und Erweiterung des gesamten Pergamonmuseums sollen mehr als 1,5 Milliarden Euro betragen: 489 Millionen für den Nord- und Ostflügel, 722,4 Millionen für den Südflügel. Dazu kommen 295,6 Millionen als Risikovorsorge – dass sie nicht verbraucht werden, ist nach allen Erfahrungen mit Berliner Bauprojekten, zumal einem so unberechenbaren wie diesem, unwahrscheinlich.

Das Pergamonmuseum ist eine weltweit bekannte Berliner Marke. Aber es ist in einem erbarmungswürdigen Zustand. „Zurzeit zeigen wir einzigartige Kunstschätze unter einem undichten Dach“, sagt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst. Es ist neben der Antikensammlung und dem Vorderasiatischen Museum eines der drei Museen, die im Pergamon-Gebäude untergebracht sind. „Jedes Mal, wenn es in Berlin stärker regnet, rechne ich mit einem Anruf“, sagt Weber. „Im Mschatta-Saal tropft es dann oft rein. Im Aleppo-Zimmer haben wir eine Zwischendecke einziehen müssen, da standen vorher Eimer. Das ist ein holzvertäfeltes Zimmer, das war der reine Wahnsinn.“

Die Exponate leiden unter der Hitze

Auch ohne Feuchtigkeit leiden die Exponate: „In heißen Sommern ist es in unseren Ausstellungsräumen wie in den Tropen“, berichtet Weber. „Wir freuen uns auf ein Haus, in dem es nicht mehr durchregnet. Auf eine Klimaanlage, damit die Objekte nicht kaputt gehen. Und wir freuen uns auf Barrierefreiheit, damit Besucherinnen und Besucher auch mit Kinderwagen und Rollstuhl überall hinkommen.“

Die mit Zickzack-Reliefs bedeckte Mschatta-Fassade aus dem achten Jahrhundert stammt aus einer Wüstenresidenz im heutigen Jordanien. Sie ist bereits abgebaut und wird für ihren Umzug in den Pergamon-Nordflügel vorbereitet, wo das Museum für Islamische Kunst seine neue Heimat erhält. Das Vorderasiatische Museum kann dann den gesamten Südflügel für sich nutzen und darf sich ebenfalls als „eines der größten Museen dieser Art“ bezeichnen.

Das Berliner Bauwerk liegt über einer eiszeitlichen Schlammgrube

Am alten Standort der Mschatta-Fassade schaut der Besucher jetzt auf nackte Ziegelmauern und erhält beim genaueren Hinsehen einen Eindruck von der bewegten Geschichte des Gebäudes. Die alten Mauerteile aus der Kaiserzeit sind gerade und ordentlich verfugt. Die Teile aber, an denen nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs die DDR-Mangelwirtschaft Reparaturen vornahm, fallen durch schief eingesetzte Hohlblocksteine und schlampig verschmierten Mörtel auf.

Das Pergamonmuseum wirkt hier oben wie ein leckgeschlagener Supertanker auf hoher See. Denn die wahre Gefahr für das Gebäude lauert unten im Wasser. Schon 1912 gab es Probleme: Der neue Museumsbau sollte direkt über einer bis zu 60 Meter tiefen eiszeitlichen Schlammgrube entstehen. Eine gewagte Betonbrücke überspannte dann diesen berüchtigten Kolk. Doch in der Brücke wurden Risse festgestellt. Das ganze Bauwerk ist gefährdet.

Es gibt Kritik am neuen Konzept

Die Sanierung ist also dringend notwendig. Das bestreitet niemand, Kritik gibt es trotzdem, sowohl am Vorgehen des Bauherrn, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, als auch am künftigen Ausstellungskonzept. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau schrieb in der „Zeit“: „Und das ist die eigentliche Katastrophe, mehr noch als die rasant auf 1,5 Milliarden Euro angestiegenen Kosten, die eine geradezu zwangsläufige Folge von vor zwei Jahrzehnten gefällten baulichen Entscheidungen sind: Der Öffentlichkeit werden über einen schier unglaublichen Zeitraum unvergleichliche Kulturschätze vorenthalten. Und was einen vielleicht am meisten wundern kann bei allem: Von den Verantwortlichen hat man bislang kein Wort der Entschuldigung vernommen, kein Schuldeingeständnis. Auch ein anderes Sanierungskonzept hätte finanzielle und bauliche Risiken enthalten, doch die wären überschaubarer gewesen.“

Das neue Museumskonzept nach dem Umbau nennt Bernau „ein Konzept der Siebzigerjahre“. Es soll eiligen Besucherinnen und Besuchern einen kurzen „Best-of“-Rundgang ermöglichen.

Museumsdirektor Weber verteidigt die Pläne

Museumsdirektor Weber sieht das naturgemäß anders. Er sagt über die Pläne für sein komplett neu aufgestelltes Museum für Islamische Kunst, übrigens dann das größte weltweit: „Wir möchten verschiedene Publika und Besuchertypen ansprechen: nicht alles für jeden, aber für jeden etwas. In der neuen Ausstellung machen wir immer wieder Angebote zum Sehen, Hören, Riechen.“

Das neue Museumskonzept sei auf dem Papier komplett fertig, jeder Raum, jede Vitrine ist gezeichnet. Nun heißt es warten – bei Weber überwiegt die Vorfreude vor der Ungeduld. In die „Gärten von Isfahan“, berichtet er, könne man sich „hineinfallen lassen und der Musik lauschen“ – das Erlebnis soll auch ohne Text funktionieren.

Die Mschatta-Fassade wird von 33 auf 45 Meter verbreitert, um eine bessere Wirkung zu erzielen. „Dazu rekonstruieren wir abstrahiert mit Kunststeinen und fügen noch vorhandene Steine ein“, erläutert Weber diese heikle Arbeit. „Auf den ersten Blick sieht man das große Ganze, auf den zweiten Blick werden die Unterschiede zwischen originalen und eingefügten Elementen erkennbar.“

Zusammenarbeit mit Geflüchteten aus Syrien und dem Iran

Nicht nur das Museum verändert sich, auch die Stadt draußen hat in den vergangenen Jahren viele Tausend neue Migranten aus der arabischen Welt aufgenommen. Museumsdirektor Weber will neue Bezüge herstellen und bestehende vertiefen. „Wir arbeiten schon lange mit Geflüchteten etwa aus Syrien und dem Iran zusammen, sie sind fester Teil unseres Teams“, erklärt er. Sein Ziel für die neue Ausstellung: „Wir wollen aktueller werden.“ Dafür hat sein Team Leitthemen entwickelt, „die damals genauso wichtig waren wie heute“, sagt er: Vernetzung, Mobilität und Migration, Vielfalt und Wandel. Nicht nur an der Geschichte der Kulturen auf der arabischen Halbinsel könne man sehen: „Migration ist die Mutter unserer Kultur, Aneignung ist Motor kultureller Veränderung.“

Drei Jahre noch, dann eröffnet das Museum für Islamische Kunst wieder. Das Ischtar-Tor wird dann noch zehn Jahre lang verdeckt sein, Sensoren messen die Erschütterungen durch die Bauarbeiten und schlagen Alarm, wenn es zu heftig wackelt bei der Generalüberholung des lecken Museumsschiffs. 13 lange Jahre. Die Berliner „taz“ hat ausgerechnet, dass die berühmteste Nachbarin der Museumsinsel, Altkanzlerin Angela Merkel, dann mit stolzen 83 Jahren den neuen Südflügel besichtigen kann – wenn es keine weiteren Verzögerungen im unberechenbaren Berliner Untergrund gibt. (RND)