AboAbonnieren

Plötzlich KrisenmanagerSo macht sich Spahn als Kämpfer gegen Corona

Lesezeit 5 Minuten
Jens Spahn 120320

Jens Spahn

Berlin – Jens Spahn schaut leicht genervt. “Achtsamkeit ja, Alarmismus nein”, hat eben Forschungsministerin Anja Karliczek betont, die neben ihm auf dem Podium einer Pressekonferenz sitzt. Spahn würde so etwas längst nicht mehr in die Kameras sagen.

Derart plakative Ansagen, so glaubt der Gesundheitsminister, passen einfach nicht mehr in die Zeit. Der Bevölkerung die Lage der Dinge möglichst nüchtern erklären und der Panikmache mit Fakten entgegentreten – das ist die Strategie des CDU-Manns, der seit dem Ausbruch der Corona-Krise in den Medien omnipräsent ist.

Jens Spahn ist Cheferklärer der Regierung

Spahn ist der oberste Krisenmanager, der Cheferklärer der Regierung. Das ist eine große Chance für den CDU-Mann, der sich zu Höherem berufen fühlt. Aber auch ein großes Risiko. Am Dienstag gab es Anerkennung von der Regierungschefin. “Jens Spahn macht das ganz toll”, lobte Angela Merkel hinter verschlossenen Türen in der Unionsfraktion.

Das könnte Sie auch interessieren:

Vor gut sechs Wochen sah die Lage noch anders aus. Corona? Ebenso wie den meisten Deutschen war dem Gesundheitsminister offenbar nicht wirklich klar, was auf Deutschland zurollen würde. Am Abend des 30. Januar sitzt Spahn im Fernsehstudio bei Maybrit Illner. Zwei Tage zuvor hatte sich bestätigt, dass der neuartige, wie es immer heißt, Corona-Erreger inzwischen auch in Deutschland ist. In Bayern, im Landkreis Starnberg vor den Toren Münchens, bei den Mitarbeitern des Automobilzulieferers Webasto. Es ist der Moment, der alles verändert. Und natürlich die Frage aufwirft, wie gut das Land vorbereitet ist.

Spahn zuerst in der Defensive

Im TV ist an diesem Abend ein Gesundheitsminister zu beobachten, der erst noch den richtigen Sound finden muss für diese Krise. Bei Maybrit Illner bringt Spahn seine Botschaft, dass Deutschland gut vorbereitet sei, gleich mehrfach unter. Es ist der Abend, an dem die Weltgesundheitsorganisation den weltweiten Notstand ausruft.

Und plötzlich bekommt Spahn Gegenwind. Johannes Wimmer sitzt da neben dem Minister, ein Medizinblogger. „Momentan haben wir das Glück auf unserer Seite“, sagt der 36-Jährige.

Dass es in Deutschland nicht noch mehr Infektionen gebe, sei auf “Dusel” zurückzuführen. Wenn nicht nur ein Patient, sondern mehrere isoliert werden müssten, könne das eine Notaufnahme “in die Knie zwingen”. Man dürfe die Infektionszahlen nicht einfach abtun.

Spahn schüttelt den Kopf. Gleich mehrfach. “Wir gehen sehr angemessen mit der Situation um”, kontert er. Doch der Experte lässt nicht locker, Spahn wird zunehmend gereizt. “Hier wird nichts abgetan”, kontert er und wirkt dabei nicht wirklich souverän. Er steht als Zauderer da, als Minister, der die Gefahr nicht ernst nimmt.

Spätestens da dürfte Spahn gemerkt haben, dass er die Sache anders anpacken muss. Nicht Getriebener sein, sondern die Zügel fest in die Hand nehmen – obwohl seine Entscheidungsmacht sehr begrenzt ist, weil Länder und Kommunen beim Infektionsschutz das Sagen haben.

Spahn spricht Klartext

Doch Spahn weiß auch, dass er als Bundesgesundheitsminister so oder so dafür verantwortlich gemacht wird, sollte das Gesundheitswesen versagen – Zuständigkeiten hin oder her. Dann doch lieber der Versuch, die Dinge so weit wie möglich selbst zu lenken.

Und so ist plötzlich ein Spahn zu erleben, der den Deutschen reinen Wein einschenkt und sie auf einen Massenausbruch vorbereitet. Er spricht früh von einem sehr “dynamischen Geschehen” und davon, dass eine Epidemie vor der Tür steht. Und er räumt ein, dass man schon bald den Überblick über die Infektionsketten verlieren werde.

Diese entwaffnende Art verfehlt ihre Wirkung nicht: Die Menschen fühlen sich abgeholt, in Umfragen steigt Spahns Ansehen. Und er bringt mit dieser Transparenz noch eine Botschaft unter: Wenn das Ganze aus dem Ruder läuft, ist allein das gefährliche Virus schuld, nicht etwa Spahn.

Frage des CDU-Vorsitzes

Mitten in der Krise geschieht zudem etwas, was sich für ihn als Glücksfall erweisen kann: Es steht die Entscheidung an, ob er erneut für den CDU-Vorsitz kandidieren soll. Doch Spahn entscheidet sich dagegen, obwohl es ihm schwerfällt. Hätte er jedoch seinen Hut in den Ring geworfen, wäre er jetzt dauerhaft mit der Frage konfrontiert worden, was ihm denn nun wichtiger sei: Die Macht in der CDU oder das Wohl des Land in Zeiten von Corona? Er verbündet sich stattdessen mit Armin Laschet gegen Friedrich Merz und will sich mit einem Stellvertreterposten begnügen. Eine Entscheidung, die ihm viele in der Partei hoch anrechnen.

Der Mann, der sich zuletzt vor allem um schnellere Ärztetermine für Kassenpatienten kümmerte oder um die Digitalisierung des Gesundheitssystems, fehlt fortan in keiner Nachrichtensendung mehr. Er erklärt, er beruhigt. Er trägt oft Anzüge in der Farbe Blau, die bekanntlich beruhigend wirkt. Spahn erweckt in diesen Tagen den Eindruck, er habe einen Plan. Jedenfalls einen, der hilft, durch diese Krise zu kommen.

Spahn proklamiert neues Wirgefühl

Die politische Rauflust und das Provozierende, das ihn vor seinem Umzug ins Gesundheitsministerium im Frühjahr 2018 auszeichnete – all das hat er hinter sich gelassen. Stattdessen beschwört er die Gemeinsamkeit, arbeitet an einer Erzählung, in der es nicht um Verunsicherung und Panik geht. Spahn deutet die Corona-Krise von der Bedrohung zur Herausforderung um, die im besten Falle sogar zu einem neuen Wirgefühl in der Gesellschaft führen kann.

“Unser Umgang miteinander war in jüngster Zeit zu oft von Wut und Misstrauen geprägt”, schreibt der Gesundheitsminister in der “Bild”-Zeitung. “Nun merken wir wieder: Wir brauchen einander.”