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Post CovidDie Krankheit, die das Leben lähmt

Lesezeit 8 Minuten
Mit dem Begriff Post Covid ist eine Krankheit gemeint, die auch zwölf Wochen nach der Infektion nicht besser wird. Blick auf eine Intensivstation.

Mit dem Begriff Post Covid ist eine Krankheit gemeint, die auch zwölf Wochen nach der Infektion nicht besser wird.

Post Covid lähmt Körper, Seele, Gehirn lange. Betroffene lernen in Rehaprogrammen, mit der neuen Realität klarzukommen. Denn es gibt kein Allheilmittel.

Es ist ein früher Montagvormittag, als die Patientinnen und Patienten die Sporthalle mit blauem Linoleumboden und großer Glasfront betreten. Alle wissen, was zu tun ist: Sie nehmen sich eine Matte vom Stapel in der Ecke und legen sie auf den Boden. Dann legen sie sich auf die Matte, strecken die Beine abwechselnd in die Luft und bewegen sie, als ob sie Fahrrad fahren würden. Aufwärmübung für die halbstündige Bewegungstherapie.

Post Covid – wenn zwölf Wochen nach der Infektion nichts besser wird

Was für Gesunde ein Klacks ist, ist für Post-Covid-Erkrankte eine Herausforderung, an der sie täglich im Rehazentrum Seehof im brandenburgischen Teltow arbeiten. Hier gibt es ein spezielles Programm für Menschen, die zwölf Monate nach der Infektion noch heftige Beschwerden haben. Während der Begriff Long Covid Symptome bezeichnet, die vier Wochen nach der Infektion noch bestehen, ist mit Post Covid eine Krankheit gemeint, die auch zwölf Wochen nach der Infektion nicht besser wird.

Kurzatmigkeit, Erschöpfung, chronische Schmerzen, Wortfindungsstörungen oder Depressionen – damit müssen die Betroffenen leben. Manche haben alle diese Symptome, andere nur einen Teil davon. „Post Covid fühlt sich an, als ob jemand den Stecker zieht und einem die Glückshormone genommen werden“, beschreibt Katharina Müller* ihre Krankheit.

Und deshalb muss es immer wieder Pausen zwischen den Übungen geben. Niemand soll seine Kräfte überstrapazieren. Wer keine Energie mehr hat, trainiert nicht weiter. Darauf muss Bewegungstherapeutin Judit Kleinschmidt auch an diesem Vormittag immer wieder hinweisen.

„Viele Post-Covid-Patienten wollen sich durchbeißen und sind sehr leistungsorientiert. Wenn sie zu uns kommen, haben sie oft schon ein Jahr mit Post Covid hinter sich und sind sehr frustriert“, erzählt sie. „Sie wollen schnell wieder gesund werden und neigen dann dazu, sich zu überfordern.“ Andere wiederum seien verängstigt und verunsichert, vermieden körperliche Anstrengung und kämen in einen Teufelskreis aus Trainingsmangel und körperlichen Symptomen. Sie bräuchten dann Ermutigung und vorsichtiges Auftrainieren.

Auf allen Patienten lastet Druck

Was alle Patienten eint, ist der auf ihnen lastende Druck, sich nach der Reha wieder besser zu fühlen. Denn während die Betroffenen im Rehazentrum mit ihren persönlichen Corona-Folgen kämpfen, geht der Großteil der Gesellschaft in die Normalität über. Die Masken fallen, Konzerte und Theater gehören wieder zum Alltag. Einige Bundesländer haben bereits die Isolationspflicht für Erkrankte aufgehoben. Die Rufe nach der Aufhebung aller noch verbliebenen Maßnahmen werden lauter, seit der Berliner Virologe Christian Drosten vom Ende der Pandemie sprach.

Für Post-Covid-Patienten wird diese Normalität absehbar nicht einkehren. Sie verbleiben im Pandemiemodus – unfreiwillig und auf unbestimmte Zeit. Daran verzweifeln viele, wie an diesem Wintertag in einer Gesprächsrunde mit dem leitenden Arzt Volker Köllner deutlich wird. Einmal während des fünfwöchigen Programms gibt es eine Fragestunde mit dem Mediziner, bei der die Patienten erzählen können, was ihnen auf dem Herzen liegt.

Betroffene möchten nicht stigmatisiert werden

Sechs Männer und Frauen sind anwesend. Sie sitzen um einen hellen Holztisch herum, manche blicken auf ihr Notizbuch. Viele sind zurückhaltend und wollen nicht über ihre Krankheit sprechen, vor allem, wenn Fremde mit am Tisch sitzen. Sie möchten nicht stigmatisiert werden, und sie möchten nicht, dass ihre persönlichen Geschichten an die Öffentlichkeit gelangen.

Als einer anfängt zu reden, trauen sich auch die anderen. Zu sehr plagen sie die offenen Fragen. So fragt ein Patient den Mediziner nach Corona-Auswirkungen auf das Gehirn. Ein weiteres Thema sind Blutgruppen und ihr Einfluss auf eine Infektion, eine andere Frage dreht sich um Überlastungsattacken.

Bloß nicht zu viel googeln

Dann spricht Köllner darüber, dass es einige Patienten gibt, die plötzlich völlig überfordert sind und nur noch im Bett liegen können. Es geht auch darum, nicht zu viel über die Krankheit zu googeln. Nicht alles, was seriös aussieht, bietet auch seriöse Informationen. Nicht immer kann Köllner abschließende Antworten geben, weil vieles an Post Covid noch nicht erforscht ist. Die Enttäuschung ist manchen ins Gesicht geschrieben.

Das ist die Krux der Krankheit: Bisher ist nicht klar, wie genau das Syndrom entsteht. Möglich ist, dass Virusvermehrung im Darm oder auch durch Corona verursachte Schäden im Körper eine Rolle spielen. Diskutiert wird darüber hinaus eine anhaltende entzündlich-immunologische Reaktion.

Köllner hat gelernt, dass es bei der Ausprägung auch um die individuelle Verarbeitung geht: „Menschen, die auf Symptome besonders ängstlich reagieren, gehen mit der Belastung immer weiter runter und lösen damit eine Runterregulation des Kreislaufsystems aus.“ Es gebe umgekehrt auch Menschen, die eine Schonzeit nach der Infektion nicht einhalten könnten und sich immer weiter überlasteten. „Beides kann dafür sorgen, dass die Post-Covid-Symptome nicht zurückgehen oder sogar stärker werden.“

So geht es in der Beratung denn auch immer wieder um eine Frage: Wann werde ich endlich Fortschritte machen? Auch das lässt sich nach Ansicht von Köllner nicht pauschal sagen, er sieht aber erste Erfolge: „Wir haben die Zahlen noch nicht ausgewertet. Aber wir sehen in unserer Klinik erste positive Tendenzen: Das gilt sowohl für Patienten mit kognitiven Einschränkungen als auch bei der körperlichen Fitness und bei psychischen Symptomen.“

Hilfe zur Selbsthilfe

In dem Programm geht es aber in erster Linie nicht um das Gesundwerden, das wird bei vielen mitunter Jahre dauern. „Die Patienten lernen in der Reha, wie sie in Zukunft mit der Krankheit umgehen und welche Übungen sie zu Hause weiterführen sollten. Reha ist Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Köllner.

In der medizinischen Community gibt es jedoch keinen Konsens darüber, ob Sport bei Betroffenen mit ex tre mer Erschöpfung die richtige Therapieform ist. Kürzlich hatte sich der Ärzte- und Ärztinnenverband Long Covid dagegen ausgesprochen, weil er eine Verschlimmerung der Symptome befürchtet. Köllner hat das im Rehazentrum Seehof noch nicht erlebt: „Post Covid zeigt sich körperlich und psychisch. Man muss bei jedem einzelnen Patienten gucken, was die größere Rolle spielt.“ Deshalb gebe es nicht das eine Programm, das für alle passt.

Man kann keinen Schalter umlegen, und dann ist alles wieder gut

Patientin Müller meint: „Man lernt hier auch, dass man keinen Schalter umlegen kann und dann wird alles wieder gut. Das muss man erst mal akzeptieren.“ In der Reha lerne man seine Grenzen kennen – und wie man sie verschieben könne.

Die Corona-Langzeitfolgen sind denn auch ein Grund, warum Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiter an Schutzmaßnahmen festhalten will, auch wenn ihm zahlreiche Kollegen vorwerfen, im Pandemiemodus zu verharren. Im November kommentierte er auf Twitter eine Studie über Post Covid: „Leider zeigt sich: Mit jeder zusätzlichen Infektion steigt das Risiko von Langzeitschäden. Leider auch für Geimpfte.“ Das Aufheben aller Isolations- oder Maskenpflichten lehnt er ab.

Vor einigen Wochen kündigte Lauterbach aber an, im Zuge der angestrebten Krankenhausreform ebenfalls Verbesserungen für die Versorgung von Post-Covid-Betroffenen auf den Weg zu bringen. Durch die Reform solle etwa der Aufbau von Spezialambulanzen gefördert werden. Diese würden speziell für die Versorgung komplexer Fälle benötigt. „Dafür haben wir noch nicht ausreichend die Strukturen.“

Sieben Kliniken haben ein Konzept für Post Covid

Viele Betroffene warten darauf. Bundesweit gibt es von der Rentenversicherung aktuell sieben Kliniken, die ein spezielles Konzept für Post Covid anbieten, hieß es auf RND-Anfrage. Zudem gebe es 160 Kliniken in Deutschland mit einem Angebot für Post-Co vid-Patienten.

Es könnten jedoch Hunderttausende von Post Covid betroffen sein. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) geht davon aus, dass bis zu 15 Prozent aller Erkrankten mit Long Covid und 2 Prozent mit Post Covid zu kämpfen haben. Rechnet man die Expertenprognosen auf die bisher Infizierten in Deutschland hoch, könnten Hunderttausende an Spätfolgen leiden. Genau weiß man aber auch das nicht.

„Es ist schwer, Zahlen zu bekommen, wie viele Menschen von Corona-Folgen betroffen sind. Dafür müsste man eine sehr große Gruppe von Infizierten mehrere Jahre beobachten“, sagt Köllner und betont, dass es auch eine Frage der Definition sei. „Erfasst man alle Menschen, die Nachwirkungen jeglicher Art spüren, wären wir sicher bei 20 bis 30 Prozent der Infizierten. Es gibt aber oft Überbleibsel der Krankheit, die keinen Krankheitswert haben. Beispielsweise, wenn Menschen vor der Erkrankung Marathon gelaufen sind, nun aber nicht mehr ihre früheren Zeiten erreichen“, fügt er hinzu.

Post Covid: Wer ein höheres Risiko hat

Doch warum leiden manche an Spätfolgen und manche nicht? Eine Frage, die auch der Mediziner nicht abschließend beantworten kann. Es gibt aber erste Hinweise. So hätten Frauen ein höheres Risiko, weil sie ein etwas aktiveres Immunsystem haben. Auch Menschen, die mit einem schweren Verlauf auf den Intensivstationen lagen, hätten häufig Post Covid, sagt der Mediziner. Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Bewegungsmangel oder Depressionen hätten ebenfalls ein höheres Risiko.

Die Umwelt wird ungeduldig Wegen der psychischen Belastung nehmen die Patienten in Seehof mehrmals die Woche an Gruppentherapien teil. Dann treffen sie sich nach dem Frühstück zum Austausch. Einzelsitzungen mit Psychotherapeutin Alexa Kupferschmitt kommen hinzu. „Viele machen die Erfahrung, dass sie in ihrem Umfeld nicht ernst genommen werden“, berichtet sie. Besonders bei der Arbeit sei die Geduld oft nicht da. Dann bekämen die Betroffenen nach einer gewissen Zeit gesagt, dass sie sich zusammenreißen sollten. „Wenn die Patienten zu uns kommen, ist ihre Stimmung ziemlich gedrückt.“

Kupferschmitt entwickelt mit den Betroffen deswegen Strategien, wie sie ihre Krankheit akzeptieren und auch ihre Kraft besser einteilen können. Diese wenden sie dann auch in der Bewegungstherapie an. Dann nehmen sie sich wieder die Matte vom Stapel, legen sich hin und strecken die Beine in die Luft. Sie machen Übungen und ausreichend Pausen in der Hoffnung, dass es bald besser wird oder dass sie ihre Grenzen verstehen lernen: für ein Leben mit Post Covid.