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Rassismus in Deutschland„Sie haben mich angespuckt und beleidigt”

Lesezeit 5 Minuten
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Alisha Mendgen

  1. Alisha Mendgen, Jahrgang 1996, ist Volontärin beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
  2. Die Tochter eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter sagt: Nicht nur in den USA, auch in Deutschland ist Schwarzsein verdammt schwer.
  3. Ein Erfahrungsbericht.

Es gibt zwei Tage im Leben, die schwarze Menschen niemals vergessen werden. Den Tag, an dem wir das erste Mal merken, dass wir schwarz sind. Und den Tag, an dem andere Leute uns das erste Mal rassistisch beleidigen. Das hat schon die schwarze, britische Autorin und Bloggerin Candice Brathwaite festgestellt, die gerade ihr erstes Buch veröffentlicht hat. Mein Vater ist schwarz, meine Mutter ist weiß: Ich bin schwarz. Und auch ich kann mich an diese beiden Tage erinnern.

Den ersten davon erlebte ich Anfang der Nullerjahre: Ich bin fünf Jahre alt und mit meinen Eltern im Urlaub in Griechenland. Im Hotel sind wir die einzigen mit dunkler Haut. An einem Abend sitzen wir im Hotelrestaurant. Eine deutsche Animateurin setzt sich zu uns. Schnell dreht sie das Gespräch auf die Herkunft meiner Eltern. Sie fragt, wie es denn sei, mit einem Menschen einer anderen Hautfarbe zusammen zu sein und ein Kind zu haben.

Es sind intime Fragen, die sie einer weißen Familie nicht stellen würde. Doch meine Eltern antworten der Fremden. Es ist der erste Moment, in dem ich spüre, dass wir anders behandelt werden, Blicke auf uns lasten. Diese Aufmerksamkeit, als ob ein Scheinwerfer auf uns gerichtet war, markierte mich als schwarz. Seitdem ist diese Wahrnehmung immer mit dem Gefühl verbunden, alles richtig machen zu müssen, weil Menschen von meinem Verhalten auf andere Schwarze schließen.

Wenige Jahre später folgt der zweite dieser Tage: Ich bin fast zehn Jahre alt, lebe in Hamburg und gehe von der Schule nach Hause. Normalerweise nehme ich den Bus. Drei Jungen in meinem Alter folgen mir aus dem Nichts. Sie beschimpfen mich immer wieder mit dem Wort, das ich selber nicht mehr sage oder schreibe, sondern nur „N-Wort“ nenne. Sie spucken mich an und beleidigen mich. Keiner auf der Straße hilft mir. Irgendwann lassen sie von mir ab. Ich renne nach Hause, weinend und geschockt. Meine Mutter tröstet mich. Sie nimmt mich in den Arm. Auch wenn sie mich damals beruhigt hat, lassen mich viele Fragen bis heute nicht los. Warum habe ich nicht den Bus genommen? Hätten sie mich dann vielleicht übersehen? Wäre mir das erspart geblieben? Aber ich weiß, dass Rassismus mir nicht erspart geblieben wäre.

Verteidigung des N-Worts

Seitdem gibt es viele Momente, die mir deutlich machen, dass Diskriminierung zu meinem Alltag gehört. Da sind Bekannte, die in einem Nebensatz plötzlich das N-Wort fallen lassen. Freunde, die das N-Wort in Kinderbüchern verteidigen, als ob eine Anpassung solcher Begriffe sie selbst angreift. Leute, die mir in die Haare fassen. Familienfeiern, auf denen ich von Fremden auf mein Schwarzsein angesprochen werde. Rassistische Straßennamen, wie die Mohrenstraße in Berlin, an denen ich regelmäßig vorbeifahren musste. Dann gibt es noch die Menschen in Teilen des Landes, die mich und meinen weißen Partner regelrecht anstarren. Und natürlich die wiederkehrende Frage an mich als Deutsche: „Woher kommst du wirklich?“

Ich möchte aber auch anerkennen, dass ich im Vergleich mit anderen Schwarzen Privilegien habe. Meine Haut ist heller, ich gehe also mehr in der Masse unter. Ich bin hetero und muss mich nicht mit rassistisch-homofeindlichen Menschen auseinandersetzen. Ich bin eine Frau. Anders als so viele Männer, die allein aufgrund ihrer Hautfarbe als verdächtig angesehen werden, wurde ich noch nie für einen Drogendealer gehalten und nach Marihuana gefragt. Polizisten haben mich noch nie mit dem Knie zu Boden gedrückt, sodass ich nicht mehr atmen konnte, wie es dem US-Amerikaner George Floyd passiert ist.

Gäbe es ein Diskriminierungsbarometer, das Rassismus messen kann, schlüge die Messnadel in meinem Leben wenig aus. Doch Diskriminierungserfahrungen summieren sich. Sie sind wie ein immer größer werdender Ball in der Magengrube. Wenn ich Nachrichten über rassistische Polizeigewalt lese oder die Bilder von George Floyd sehe, springt dieser Ball auf und ab. Alle Erinnerungen kommen zurück und überwältigen mich wie ein stechender Schmerz, der manchmal auch gleich wieder vorüber ist.

„Das war Mord”

Wir leben in besonderen Zeiten: Nach George Floyds Tod hat sich eine Bewegung entwickelt, die ich so noch nicht gesehen habe. Die Polizisten, die für seinen Tod verantwortlich gemacht werden, müssen sich vor Gericht verantworten. Demonstranten in Amerika, Europa und Deutschland sind sich aber einig: „Das war Mord.“ Für mich war es auch Mord. Die Energie der Protestbewegung schwappt auch in meinen Bekanntenkreis über. Erstmals entschuldigen sich Freunde für schmerzhafte Äußerungen. Schon länger haben sie gewusst, dass ihr eigener Rassismus problematisch war – jetzt haben sie sich getraut es anzusprechen. Andere fragen mich, wie es mir mit der aktuellen Entwicklung geht. Das ist ehrliche Anteilnahme und ein guter Anfang.

Flaues Gefühl im Magen

Ob es aufgrund der aktuellen Ereignisse wirklich weniger Rassismus geben wird? Daran habe ich meine Zweifel – zu stark ist dieses flaue Gefühl im Magen, das mich an alles davor erinnert. Es ist jetzt an den weißen Menschen, ihre rassistischen Denkmuster zu bekämpfen. Dazu gehört auch, die eigenen Privilegien zu hinterfragen: „Inwieweit profitiere ich von diesem rassistischen System? Was habe ich in der Vergangenheit für Fehler gemacht?“

Weiße müssen dagegen halten, wenn sie Zeuge von Ungerechtigkeiten werden. Das können wir nicht mehr alleine stemmen – vor allem nicht, wenn die Wut und die Bestürzung über George Floyds Tod irgendwann abflauen. Weiße Menschen dürfen uns mit rassistischer Gewalt, sei sie physisch oder psychisch, nicht allein lassen. Denn Rassismus ist nicht das Problem der Schwarzen, sondern der Weißen. Er wurde nicht von uns gemacht.