AboAbonnieren

Sergej LawrowWie groß ist der Einfluss von Putins Außenminister noch?

Lesezeit 5 Minuten
Lawrow 130622

Sergej Lawrow

Am Montag konnte Sergej Lawrow seinen Frust nicht verstecken. „Ungeheuerlich“ sei es, dass einige „Nato-Mitglieder“ seine Reise nach Serbien blockiert hätten. Er hatte extra eine Videokonferenz mit ausländischen Journalisten angesetzt, um gegen die EU und die Nato zu wüten.

Zuvor hatten Bulgarien, Nordmazedonien und Montenegro den Luftraum für das Flugzeug von Lawrow gesperrt, der zu einem zweitägigen Besuch nach Belgrad aufbrechen wollte. Der Außenminister steht wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf einer westlichen Sanktionsliste. Außerdem ist der europäische Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt. Doch Lawrows Frust dürfte auch andere Gründe haben.

Seit Monaten verbreitet der Außenminister die russische Propaganda in der ganzen Welt. Unermüdlich spricht er von einer „Militäroperation“ in der Ukraine – und begründet den Angriffskrieg mit einer angeblichen „Entnazifizierung“ des Nachbarlandes. Damit folgt er treu der Rhetorik seines Präsidenten – dennoch scheint es, als würde der Einfluss des Außenministers in den vergangenen Monaten immer weiter sinken.

Sergej Lawrow: Jahrzehntelang im Dienst der russischen Diplomatie

Das ist auch deshalb interessant, weil der 72-Jährige mit einer der erfahrensten Berater Wladimir Putins ist. Jahrzehntelang arbeitete der gebürtige Moskauer als Diplomat in der Sowjetunion – unter anderem mit Stationen in Sri Lanka und bei den Vereinten Nationen (UN) in New York.

Internationale Aufmerksamkeit erhielt er erstmals, als er von 1994 an Russland im UN-Sicherheitsrat vertrat. Dort ging es in den folgenden Jahren um zahlreiche Konflikte wie in Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan sowie die Folgen der Terroranschläge auf das World Trade Center. Weil Lawrow während dieser Zeit immer wieder Vetos einlegte, um russische Interessen durchzusetzen, erhielt er den Spitznamen „Mr Njet“ – der Mann, der immer Nein sagt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Seit 2004 ist Lawrow russischer Außenminister. Zum Vergleich: In Deutschland hatten in der Zeit sechs verschiedene Politiker das Amt inne. Schon die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 versuchte Lawrow international mit der Rhetorik russischer Propaganda zu rechtfertigen: Die russische Bevölkerung auf der Halbinsel sei nach einem Putsch in der Ukraine bedroht gewesen.

Sergej Lawrow abgemeldet: Kaum jemand hört noch auf seine Worte

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar dieses Jahres sieht sich Lawrow jedoch mit erheblich mehr diplomatischem Widerstand konfrontiert. Einige Tage nach Kriegsbeginn verlas Lawrow vor dem UN-Menschenrechtsrat eine lange Erklärung, in der er den Angriff auf die Ukraine mit Menschenrechtsverletzungen auf ukrainischer Seite begründete. Aus Protest verließen die Diplomaten den Saal.

Lawrow hatte übrigens zunächst persönlich an der Sitzung teilnehmen wollen. Doch schon damals musste seine Reise mit Verweis auf die Sperrung des europäischen Luftraums für russische Maschinen abgesagt werden.

Auch im direkten Kontakt mit ausländischen Diplomatinnen und Diplomaten läuft für Lawrow längst nicht alles rund, wie eine Anekdote von Annalena Baerbock zeigt: Die deutsche Außenministerin rührte laut ihrer Aussage einen von Lawrow angebotenen Wodka nicht an. Auch nicht, nachdem Lawrow ihr sagte, dass sie den Wodka schon trinken müsse. Sie habe der Aufforderung zum Trinken entgegnet, dass sie vor Jahren schon mal in Russland gewesen sei und ihr vorher Leute gesagt hätten, dass sie härter und trinkfester werden müsse, sonst werde sie nie eine Spitzenpolitikerin. Es habe nun ja auch ohne Alkohol geklappt, sagte sie dann zu Lawrow: „Wenn mittags Wodkatrinken Härtetest ist (...) Ich habe zwei Kinder geboren.“

Nicht nur international hat das Wort des russischen Außenminister an Gewicht verloren. Putin hat sich mit einem Kreis von Vertrauten umgeben, die wie er selbst aus Geheimdienst- und Militärkreisen stammen. „Silowiki“ werden die wichtigsten Stützen seiner Macht genannt, das russische Wort für „Kraft“ oder „Stärke“, was ganz nebenbei veranschaulicht, auf welche Attribute es in der russischen Führung ankommt. Lawrow zählt offenbar nicht dazu.

Putins enger Kreis

Als wichtigste Vertraute des Präsidenten gilt nun ein Trio, dem Putin seit den 19070er-Jahren aus dem damaligen Leningrad, heute St. Petersburg, vertraut. Dazu gehört Nikolai Patruschew (70), Sekretär des Sicherheitsrates, ein ehemaliger KGB-Offizier. Nur wenigen Figuren im Dunstkreis Putins wird ein ähnlicher großer Einfluss auf den Präsidenten nachgesagt.

Alexander Bortnikow (70), Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, ist der Zweite aus dem Leningrader Trio. Kremlbeobachter sagen, seinen Informationen vertraue Putin mehr als jeder anderen Quelle. Das Trio vervollständigt der Chef des Auslandsgeheimdienstes Sergej Naryschkin (67).

Lawrow hingegen soll noch nicht mal in die militärischen Pläne Putins vor dem Einmarsch in die Ukraine eingeweiht gewesen sein. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf die Kremlkennerin Tatjana Stanowaja. Das Verhältnis zwischen Präsident und Außenminister erlebte zudem Anfang Mai einen Tiefpunkt. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Putin musste sich für Lawrow entschuldigen

Im italienischen Fernsehen wiederholte Lawrow die russische Kriegsbegründung, wonach es sich um eine angebliche „Entnazifizierung“ der Ukraine handele. Er sagte aber außerdem: „Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“

Nach dieser Äußerung sah sich Putin gezwungen, persönlich beim israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett um Entschuldigung zu bitten. Für Lawrow kam das mindestens einer Ohrfeige gleich.

Und trotzdem hält Putin weiter an seinem Außenminister fest. Vielleicht auch deshalb, weil dieser immer noch unermüdlich die Rhetorik der russischen Propaganda verbreitet – wie schon während seiner Jahre im UN-Sicherheitsrat oder nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion.

Zwei Tage nach der gescheiterten Serbien-Reise sprach Lawrow mit türkischen Vertretern in Ankara. Er sagte, aus Moskauer Sicht laufe in der Ukraine militärisch alles „nach Plan“. Die Ziele der „militärischen Spezialoperation“ würden erreicht. (RND/jw/stu mit Material von dpa)