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Kommentar zu StuttgartJeder Vorgang wie dieser macht den Rechtspopulismus stärker

Lesezeit 4 Minuten
Stuttgart Plünderungen

In Stuttgart wurden Geschäfte geplündert.

  1. Hunderte Gewalttäter haben am Wochenende die Stuttgarter Innenstadt verwüstet.
  2. Die atemberaubende Eskalation der Gewalt muss Folgen haben, nicht nur für das künftige Vorgehen der Polizei, kommentiert unser Autor.

„Unglaublich” nannte Stuttgarts Polizeipräsident Franz Lutz die gewaltsame Aufwallung in seiner Stadt: „Es waren Szenen, die es in Stuttgart noch nie gegeben hat.” Tatsächlich ließen die Nachrichten aus Stuttgart gleich zwei Wellen der Verunsicherung durch ganz Deutschland laufen. Erst schauderten viele angesichts der menschenverachtenden Gewalt einer tobenden Masse. Dann folgte auch noch ein ausdrückliches Bekenntnis der Polizei dazu, überfordert gewesen zu sein.

„Wir haben es nicht geschafft, trotz erheblichen Kräfteaufgebots, die Situation gleich in den Griff zu bekommen” - mit dieser Äußerung war Thomas Berger, der Vizepräsident der Stuttgarter Polizei, am Sonntagabend in der „Tagesschau” zu sehen. Was er sagte, war zwar absolut redlich und absolut richtig. Und dennoch hinterlässt eine solche Äußerung bei den Bürgern ein schlechtes Gefühl: Was, wenn sich morgen hier oder übermorgen dort Hunderte nächtens drohend erheben und die Kontrolle übernehmen über öffentliche Straßen und Plätze?

Es droht der Ruf nach dem starken Mann

Es geht hier nicht um Kleinigkeiten, sondern um den Kernbestand des Rechtsstaats. Wenn die Bürger nicht mehr darauf vertrauen können, dass die Polizei die Geltung der Gesetze durchsetzen kann, an allen Orten und rund um die Uhr, geht etwas kaputt im Land. Dann entsteht ein Klima der Einschüchterung und der Angst, in dem die Schwachen und die Armen am meisten zu leiden haben.

Am Ende steht dann der Ruf nach dem starken Mann. Genau deshalb darf man ein Ereignis wie das in Stuttgart nicht beiseite schieben: Jeder Vorgang wie dieser macht den Rechtspopulismus stärker.

Der französische Präsident Emmanuel Macron kann ein Lied davon singen. Zuletzt mühte er sich mit immer neuen staatlichen Rettungspaketen, alles mit dem Ziel, in der Corona-Krise nur ja eine allzu tiefe Verunsicherung der französischen Arbeitnehmer zu verhindern. Doch dann begannen Gewaltausbrüche in Dijon, noch viel schlimmer als in Stuttgart: Eine dreistellige Zahl von Bandenmitgliedern machte, teils mit Sturmgewehren, eine ganz Nacht lang Jagd auf eine andere Bande. Normalbürger gingen in Deckung, die Polizei war machtlos. Nun fordert Marine Le Pen einen Untersuchungsausschuss in Paris.

Schubladendenken hilft nicht weiter

Deutschland darf es nicht so weit kommen lassen. Die Polizei muss sich einstellen auf eine neuartige Bedrohung - und entsprechend nachrüsten. Das beginnt bei der Zahl der Polizeibeamten, die in vermeintlich ruhigen Großstädten am Wochenende zur Verfügung stehen. Es geht weiter beim Stil des Auftritts; mitunter kann die eine oder andere gezielte Machtdemonstration, eine show of force, beruhigende Wirkungen haben.

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Gefordert ist, drittens, auch eine bessere sozio-kulturelle Früherkennung des neuen Phänomens. Viele Polizeibeamte haben zwar Erfahrung mit Straftätern, die Gewalt als Mittel zum Zweck einsetzen, etwa bei einem Raub. Sie haben aber Mühe sich hineinzudenken in Gruppen, die Gewalt allen Ernstes als Selbstzweck sehen - und Gewalt deswegen inszenieren und über soziale Netzwerke zelebrieren, als ultimativen Ausdruck ihrer Verachtung für alle anderen und für das „System”.

Viele fangen jetzt wieder an, mit ihrem ideologischen Schubladendenken: AfD-Anhänger sehen Ausländer am Werk, Konservative vermuten Linke als Drahtzieher, Linke tippen auf Bandenkriminalität - keine dieser Etikettierungen hilft praktisch weiter.

Es geht nicht um Pass oder Hautfarbe

Es geht nicht um den Pass, um den Migrationshintergrund oder um die Hautfarbe. Es geht allein darum, wer Recht und Gesetz befolgt hat und wer nicht. Jene, die soeben zum Beispiel mit Anlauf und gestreckten Beinen einem Beamten in den Rücken gesprungen sind, haben unmissverständliche Strafurteile verdient, und zwar zügig.

Doch nicht nur Polizei und Justiz sind gefordert. Auch die Gesellschaft als Ganzes kann etwas beitragen - indem sie besonnen bleibt und die Trennlinie zwischen Rechtstreuen und Rechtsbrechern als die allein maßgebliche anerkennt, ganz unabhängig von Gesinnung oder Herkunft. Dann und und nur dann wird es der liberalen Gesellschaft gelingen, die Gewalttäter zu isolieren.

Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version lautete die Überschrift „Täter, die höhnisch den Zivilisationsbruch zelebrieren“. Diese haben wir geändert.