Tipps gegen den Coronablues„Die Angst vor der Angst überwinden“
- Aufgrund einer 2. Corona-Welle droht Deutschland ein langer, dunkler Winter.
- Die Psychotherapeutin Eva Gjoni spricht über Strategien gegen Corona- und Herbstblues.
Frau Gjoni, wie empfinden Sie die Gemütslage der deutschen Bevölkerung im Oktober?Eva Gjoni: Deutschland befindet sich in der Phase des Grübelns und der Erschöpfung. Seit dem Frühjahr sind wir zwar über die erste Schockstarre hinweg und befinden uns nicht mehr in akuter Hilflosigkeit. Verdaut und verarbeitet werden kann die Krise aber nur teilweise. Die Pandemie ist weiterhin allgegenwärtig – und das wird auch noch lange so bleiben.
Spiegelt sich diese Stimmung auch im Gespräch mit Ihren Patienten?
Es vergeht kein einziger Tag, an dem Corona nicht Thema ist. Viele sind bei den steigenden Infektionszahlen verängstigt und spüren: Einen zweiten Lockdown schaffe ich nicht mehr. Das ist gewissermaßen eine Angst vor der Angst. Dieses Gefühl kann belastender sein als die Angst selbst.
Auf welche psychischen Herausforderungen sollten wir uns im Corona-Winter einstellen?
In der kalten Jahreszeit erleben wir einen Lichtmangel. Im Körper gerät dann das Verhältnis der Botenstoffe Serotonin und Melatonin aus dem Gleichgewicht. Das ist ein allgemeiner Risikofaktor für den berüchtigten Herbst- oder Winterblues, eine ausgeprägte Form bezeichnen wir in der Praxis als saisonale Depression. Während der Pandemie kommt eine bereits aufgestaute Erschöpfung dazu, die viele Menschen seit Monaten mit sich herumtragen.
Welche Strategien können über so einen Herbst-Pandemie-Blues hinweg helfen?
Es mag banal klingen: Aber es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass jede Krise Chancen mit sich bringt. Da kann auch eine kleine Selbstanalyse helfen, bei der ich mich an Strategien und Stärken der letzten Monate erinnere und mir bewusst mache: Bis hierher habe ich es bereits geschafft. Eine Krise lässt sich also als Herausforderung übersetzen, an der wir alle wachsen können. Die Angst davor, dass es im Herbst und Winter schlimmer wird, ist viel belastender als die eigentliche Situation.
Was heißt das konkret im Alltag?
Es gibt die kleinen Schritte: eine geregelte Tagesstruktur, Routinen entwickeln, Selbstfürsorge groß reden, kleine Entspannungsübungen in den Alltag einbauen. Das hilft, die Aufmerksamkeit in das Hier und Jetzt zu lenken. Die ganz großen Fragen im Leben können aber auch überprüft werden. Welche Beziehungen und Dinge sind mir wirklich wichtig? Wie will ich meinen Alltag gestalten? Wie kann ich dafür sorgen, dass es mir und meinen Liebsten gut geht?
Um Freunde und Familie zu schützen, müssen wir aber auch ständig abwägen, ob ein persönliches Treffen eine gute Idee ist.
Deshalb sollten wir die wenigen Beziehungen stärken, die im direkten Umfeld während der Pandemie aufrecht erhalten werden. Die Virologen achten bei der Virusausbreitung ja auf sogenannte Cluster.
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Ich finde, dieser Begriff kann auch ein Stück weit auf die Psychologie übertragen werden. Sprich: Ich fokussiere mich in der Corona-Zeit auf mein persönliches kleines Beziehungscluster, um dort das Maximum an Liebe, Unterstützung und Vertrauen herauszuholen.
Welche Warnsignale gibt es, bei denen im Corona-Winter psychologische Hilfe in Anspruch genommen werden sollte?
Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit und sozialer Rückzug sind klassische Warnsignale für eine depressive Phase. Dinge, die immer Spaß gemacht haben, fühlen sich plötzlich belastend an oder bereiten keine Freude mehr. Problematisch ist es auch, wenn die Angst Überhand gewinnt und sich jemand immer mehr aus Familienleben, Arbeitswelt und sozialen Beziehungen zurückzieht. Bleiben solche Gefühle länger als zwei, drei Wochen oder kehren innerhalb von drei Monaten wellenartig immer wieder und halten auch wochenlang, sollte auf jeden Fall professionelle Hilfe gesucht werden. Ein wichtiges Zeichen ist auch, wenn die Ressourcenbrille und Stärkenkostüm nicht mehr weiter helfen. Greifen Sie lieber früher als später auf eine psychologische Beratung zurück. Ein Gespräch kann auch schon präventiv helfen, um im Alltag besser gerüstet zu sein.
Was vermuten Sie, wie die Stimmung in Deutschland im Frühjahr 2021 tendenziell aussieht?
Wir werden sicherlich von einer gewissen Corona-Erschöpfung getroffen sein. Ich setze aber auf die positiven Gewöhnungseffekte und blicke zuversichtlich in die Zukunft. Unsere Gesellschaft hat gezeigt, dass wir zwar nicht optimal, aber sehr gut Kräfte mobilisieren können, um gemeinsam mit der Pandemie umgehen zu lernen.
Das Gespräch führte Saskia Bücker