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Einschätzung von ExpertinDer Sturzpunkt des Putin-Regimes ist noch nicht erreicht

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Russland Präsident Wladimir Putin

Berlin – Die Teilmobilisierung in Russland gibt den Machthabern auch die Möglichkeit, mehr Druck auf die Bevölkerung auszuüben, sagt die Osteuropa-Expertin Katharina Bluhm. Es sei durchaus möglich, dass die Proteste sich ausweiten, aber für einen Regimewechsel brauche es auch eine Revolte der Eliten, und die sei bisher noch nicht in Sicht. Die Teilmobilisierung sieht Bluhm als eine Falle, in die sich Moskau selbst begeben hat.

Die Osteuropa-Expertin Katharina Bluhm sieht mit den Protesten gegen die Teilmobilisierung in Russland noch nicht den Punkt erreicht, der zum Sturz des Regimes führen könnte. „Es ist gut möglich, dass sich die Demonstrationen ausweiten“, sagte die Soziologieprofessorin vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Aber die Teilmobilisierung gibt den Machthabern auch die Möglichkeit, den repressiven Druck zu erhöhen.“

„Teilmobilisierung greift sehr weit in das alltägliche Leben hinein“

Es sei relativ klar, dass die Unterstützung für die „Spezialoperation“ nicht mit der Bereitschaft zu verwechseln ist, aktiv in einen konventionellen Krieg zu ziehen. Dennoch würden für einen Umsturz Straßenproteste allein nicht reichen, das habe das Beispiel Belarus gezeigt, sagte Bluhm. Die Teilmobilisierung sei ohne Zweifel ein historischer Punkt, aber für einen Regimewechsel brauche es auch eine Elitenrevolte, und die sei bisher noch nicht in Sicht. Außerdem ist völlig offen, wer in den sich verschärfenden Elitekonflikten die Oberhand gewinnen wird.

In Belarus war es nach gefälschten Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 zu wochenlangen Massenprotesten gekommen, denen Diktator Alexander Lukaschenko mit massiver Gewalt begegnete. Es gab mindestens acht Tote, Tausende wurde verhaftet, gefoltert und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

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Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Mittwoch die Teilmobilisierung bekanntgegeben, in deren Folge 300 000 Reservisten zur Armee eingezogen werden sollen. Katharina Bluhm sieht darin die endgültige Aufkündigung dessen, was Soziologen den Gesellschaftsvertrag Putins mit seiner Bevölkerung nennen.

Dahinter steckt das Versprechen einer relativen Stabilität und eines gewissen Lebensstandards durch das Regime, was im Gegenzug von der Bevölkerung mit einem Stillhalten bei politischen Entscheidungen honoriert wird. „Diese Abmachung erodiert schon seit der Besetzung der Krim 2014 insofern, als das die Reallöhne stagnieren oder sogar sinken“, sagte Bluhm.„Die Teilmobilisierung greift sehr weit in das alltägliche Leben hinein“, erläutert Bluhm. Und das sei für die Menschen mit der Frage verbunden: Lassen wir es zu, dass jetzt wieder eine junge männliche Generation verheizt wird? Wie das die russische Gesellschaft erträgt, auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels zu Lasten der Jugend, das sei schwer einzuschätzen.

Bluhm: Russische Jugend hat keine Lust auf den Krieg

Die Teilmobilisierung sei eine Falle, in die sich Russland selbst begeben hat, und auf jeden Fall ein „Wendepunkt, zu etwas anderem hin“ und auch deshalb schon sehr bedeutsam, sagte Bluhm. Die bisherige Strategie, den personellen Nachschub vornehmlich mit Tschetschenen und anderen Angehörigen ethnischer Minderheiten sowie amnestierten Kriminellen zu gewährleisten, sei ein klares Indiz dafür, dass eine breite Mobilisierung unbedingt vermieden werden sollte.

Die russische Jugend habe keine Lust auf diesen Krieg und betrachte ihn bisher auch nicht als patriotischen Krieg, wie das die Kremlführung immer wieder glauben machen will. Schon als es im April in Moskau Gerüchte über eine Mobilmachung gab, seien viele junge Leute in die Flugzeuge gestiegen und hätten das Land verlassen.

Allerdings, so die Osteuropa-Expertin, dürfe man auch nicht unterschätzen, dass es nach wie vor eine weit verbreitete antiamerikanische und antiwestliche Stimmung gibt. In dieser Hinsicht wirke auch die Kreml-Propaganda noch mit der Argumentation, dass der Westen die Interessen Russlands immer ignoriert habe. Und natürlich gebe es einen, wenn auch kleinen, harten Kern quer durch alle Alterskohorten und sozialen Schichten, der sich um Putin und das Militär scharrt.