Umweltforscherin über den Klimawandel„Ich werde auf gar keinen Fall aufgeben“
Umweltzerstörung, Krieg, Klimawandel – wie kann man angesichts dieser Krisen noch daran glauben, dass alles besser wird? Im Interview spricht Jane Goodall darüber, was ihr Hoffnung macht. Und warum sie mit 88 Jahren eher mehr als weniger arbeiten will.
Frau Goodall, mit dem Alter werden manche Menschen, die schon viele Krisen miterlebt haben, gleichgültig oder sogar zynisch. Wieso sind Sie nicht so geworden?
Jane Goodall: Weil mir die Zukunft wichtig ist. Weil ich mich leidenschaftlich um die Natur kümmere, um den Schutz von Schimpansen und Wäldern. Außerdem habe ich Enkelkinder, von denen wahrscheinlich einige ihre eigenen Kinder haben werden. Ihre Zukunft ist mir wichtig. Ich werde auf gar keinen Fall aufgeben.
Sie waren in Ihrem Leben Zeugin großer Umweltzerstörung – etwa der Entwaldung von Gombe, dem Nationalpark, in dem Sie als junge Frau das Verhalten von Schimpansen erforscht haben. Inwiefern hat Sie das motiviert?
Als ich in den späten 80er-Jahren über den Gombe Nationalpark flog, war da nur noch eine kleine Waldinsel, umgeben von nackten Hügeln. Früher war der Nationalpark Teil des großen Waldgürtels, der sich über Äquatorialafrika erstreckte. Nun lebten dort mehr Menschen, als das Land versorgen konnte. Sie kämpften ums Überleben. In dem Moment wurde mir klar: Wenn wir diesen Menschen nicht helfen, so zu leben, dass sie ihre Umwelt nicht zerstören, können wir weder die Schimpansenwälder noch irgendetwas anderes retten.
So begann das „TACARE“-Programm des Jane Goodall Institute. Ein ganzheitliches Programm, bei dem es nicht nur darum geht, die Fruchtbarkeit des überstrapazierten Landes ohne chemische Düngemittel und Pestizide wiederherzustellen, sondern auch um bessere Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Inzwischen gibt es das Programm in sechs anderen afrikanischen Ländern.
Sie setzen sich seit Jahrzehnten für die Umwelt ein. Gab es da keinen Moment, in dem Sie all Ihre Hoffnung verloren haben?
Ich habe nie meine ganze Hoffnung verloren. Wenn ich einen Rückschlag erlebt habe, hat mich das nur noch entschlossener gemacht, nicht aufzugeben.
Woher kommt das?
Wenn die Sache, für die Sie kämpfen, es wert ist, geben Sie nicht auf. Denken Sie an das, was gerade in der Ukraine passiert, an Präsident Selenskyj. Er muss sich manchmal deprimiert fühlen und am liebsten aufgeben. Aber tut er das? Nein. Wie auch viele der Soldaten fühlt er, dass es das wert ist, für die Freiheit zu kämpfen.
Wie kann Hoffnung eine solche Tatkraft in uns entfalten?
Wenn Sie glauben, ihre Anstrengungen können nicht erfolgreich sein, werden sie apathisch. Wozu die Mühe? Iss, trink, sei fröhlich – denn morgen werden wir sterben. Aber bei der Hoffnung geht es ums Handeln. Ich stelle mir vor, dass die Menschen am Anfang eines sehr langen, sehr dunklen Tunnels stehen. Ganz am Ende ist ein kleiner, glänzender Stern. Aber wir setzen uns nicht hin und sagen: Oh, ich hoffe, der Stern kommt hier her. Nein, wir müssen die Ärmel hochkrempeln und uns durch all die Hindernisse durcharbeiten – Klimawandel, Verlust der Biodiversität, Armut. Was wichtig ist, ist, dass die Menschen verstehen, dass alles miteinander zusammenhängt.
Dieses Wissen, dass alles miteinander verbunden ist, kann aber auch das Gefühl erzeugen: Egal, was ich tue, es wird niemals genug sein.
Viele Menschen fragen mich: „Was kann ich tun, ich bin doch nur ein einzelner Mensch?“ Natürlich kann ein einzelner Mensch die Welt nicht retten. Aber kannst du dort, wo du lebst, etwas tun? Was liegt dir am Herzen? Armut? Obdachlosigkeit? Dann denk darüber nach, wie du etwas daran ändern könntest, besonders wenn du mit anderen Menschen zusammenarbeitest.
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Wenn du einen Unterschied machst, dann inspirierst du auch andere Menschen. Und dann kann man sich auch trauen, global zu denken: Es gibt Menschen wie mich auf der ganzen Welt, die ihren Beitrag leisten und etwas bewegen.
Was können wir denn im Kleinen tun?
Dazu gehört zum Beispiel, zu überlegen, wen wir wählen, welches Essen wir kaufen. Wie wird es produziert, schadet es der Umwelt, ist es nur billig, weil es unfair produziert wurde? Wir können Briefe an Entscheidungsträger schicken oder als Verbraucher Druck auf Unternehmen ausüben. Die Menschen wollen ja Produkte kaufen, die ethisch produziert wurden. Das erzeugt Wandel.
Das ist aber ein langsamer Prozess. Sind Sie hoffnungsvoll, dass der Wandel früh genug kommt?
Das ist die große Frage. Und deshalb arbeite ich härter als je zuvor. Obwohl die Leute zu mir sagen: Mit 88 Jahren sollten Sie es langsamer angehen lassen. Aber mit 88 Jahren habe ich weniger Zeit vor mir, also muss ich mehr arbeiten, nicht weniger.
Viele junge Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten, wie etwa auch Greta Thunberg, sind wütend – nicht hoffnungsvoll.
Dazu haben sie auch allen Grund. Aber es sind noch so viele Politiker der alten Schule an der Macht, die das ärgert, die sagen: „Was wisst ihr jungen Menschen schon darüber?“ Ich sage nicht, dass diese Politiker recht haben. Aber obwohl die jungen Menschen zu Recht wütend sind, sollten sie das lieber für positive Aktionen nutzen. Ich sehe meine Aufgabe darin, den Menschen Hoffnung zu geben, daran zu arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Was macht Ihnen selbst im Gegenzug Hoffnung?
Mehrere Dinge: Erstens, was die jungen Menschen derzeit tun. Zum Beispiel bei unserem „Roots and Shoots“ Programm. (Anm. d. Red: Das Programm hat sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen von der Vorschule bis zur Universität zu vernetzen, um sich etwa für den Umwelt- und Naturschutz, aber auch in humanitären Projekten zu engagieren.) Zweitens: Wir sind bei Weitem die intellektuellste Spezies der Welt – nicht die klügste. Wir haben nicht nur Raketen, die zum Mars fliegen, gebaut, sondern leider auch Waffen wie die Atombombe. Aber nun beginnt die Wissenschaft, sich um positive Lösungen wie erneuerbare Energie zu kümmern. Und die Menschen nutzen ihr Hirn, um zu verstehen, dass wir ethischer einkaufen müssen.
Und was noch?
Dass die Natur so widerstandsfähig ist. Wenn wir ihr die Chance geben, wird die Natur zurückkehren, auch an Orte, die komplett zerstört wurden. In Gombe gibt es heute keine nackten Hügel mehr. Und zu guter Letzt macht mir der unbeugsame Kampfgeist des Menschen Hoffnung. Menschen, die wie Präsident Selenskyj Probleme angehen, die unlösbar scheinen, und nicht aufgeben.
Sie werden die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels nicht miterleben müssen. Beruhigt Sie das?
Nein, das macht mich nur noch entschlossener. Wenn ich sagen würde: „Ich bin froh, dass ich das nicht erlebe“, warum sollte ich mir dann noch die Mühe machen? Warum sollte ich drei bis vier Zoom-Meetings am Tag machen? Ich habe Millionen von Menschen erreicht, ich kann an einem Tag in vier Ländern gleichzeitig sein. Heute habe ich mit Australien angefangen, jetzt sind Sie in Deutschland dran, dann Kanada, dann die USA. Meine wichtigste Botschaft ist: Vergesst nicht, dass jeder Tag, den ihr lebt, eine Auswirkung auf den Planeten hat. Und es ist euere Entscheidung, wie dieser Einfluss aussieht. Alles ist miteinander verbunden.