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Unsichtbar, aber tödlichWie US-Geheimdienste der Ukraine helfen

Lesezeit 7 Minuten
NSA Zentrale

Die Zentrale der NSA in Fort Meade in Maryland, USA (Archivbild)

  1. Wie unterstützen die US-Geheimdienste die Ukraine im Kampf gegen Russland?
  2. Die NSA, die wegen massiver Überwachung bekannt wurde, arbeitet offenbar an Entschlüsselungen und Informationen.
  3. Eine Analyse.

Kiew/Washington – Für den Laien sieht es aus wie ein rätselhaftes Feuerwerk am Boden. Scheinbar aus dem Nichts kommen immer neue Blitze, sie zucken durch eine Ansammlung graugrüner Militärfahrzeuge, 20 Sekunden lang. Dann wird es ruhig, und der Wind treibt viel Rauch durchs Bild.In den Augen von Militärexperten ist dieses Video ein erstaunliches Dokument. Es zeigt einen ukrainischen Angriff auf russische Soldaten am 29. April nahe der ukrainischen Stadt Izyum, eine frappierend effiziente Attacke auf eine große Gruppe russischer Militärs, die sich augenscheinlich zu sicher fühlte. Doch es sind nicht irgendwelche russischen Einheiten, die da getroffen wurden. Es war das mobile Kommandozentrum der russischen Armee in der Ukraine, das da in Rauch aufging.

Die Attacke war, wie sich inzwischen herausstellt, eine militärische Demütigung der Russen, vergleichbar mit der Versenkung der Moskwa, ihres 750 Millionen Dollar teuren Flaggschiffs im Schwarzen Meer.

Bei dem Angriff nahe Izyum starben nach Angaben aus Kiew rund 100 russische Soldaten, viele von ihnen mit höheren Qualifikationen. 30 gepanzerte Fahrzeuge wurden zerstört. Die Ukrainer platzierten auch noch, um alles nur ja auch für die Nachwelt festzuhalten, eine Videodrohne am Himmel.

Der Tod des neunten russischen Generals

Vier Punkte bei der Attacke nahe Izyum geben westlichen Militärexperten bis heute zu denken.

Erstens: Normalerweise verschleiern mobile Kommandozentralen ihre Präsenz so gut es geht: durch Tarnung, Funkdisziplin und spezielle Verschlüsselungstechniken. Diese Zentrale der Russen jedoch konnte offenkundig präzise geortet werden.

Zweitens: In allen Armeen der Welt werden mobile Kommandozentralen auf besondere Weise geschützt, etwa durch Aufklärungsflüge und Raketenabwehrsysteme. Davon ist hier nichts zu sehen.

Drittens: Die ukrainische Armee tötete bei diesem Angriff erneut einen russischen General. Zuvor fanden bereits folgende Kommandeure den Tod: Vladimir Frolov, Andrei Mordvichev, Andrei Kolesnikov, Vitaly Gerasimov, Andrei Sukhovetsky, Magomed Tushaev, Oleg Mityaev und Yakov Rezantsev. Das sind neun tote russische Generäle seit dem 24. Februar. Zum Vergleich: Die USA verloren in jahrelangen Einsätzen im Irak und auch in Afghanistan keinen einzigen General.

Viertens: Der diesmal getötete General, Andrei Simonov (55), war innerhalb der russischen Armee der am höchsten geschätzte Spezialist fürs Digitale. Staatschef Wladimir Putin hatte ihn zum Kommandeur für elektronische Kriegsführung gemacht. Für Kiew lag darin ein besonderer Clou. General Simonov war dafür zuständig, eine digitale Dominanz der Ukrainer zu verhüten – der er nun selbst zum Opfer fiel.

„Wir lesen und hören ganz gut mit“

Zu besichtigen ist in diesem Fall keine waffentechnische Überlegenheit der Ukrainer im engeren Sinne. Die ukrainische Armee benutzte offenbar klassische Grad-Raketenwerfer vom Typ BM-21, ein betagtes, aber immer noch weltweit verbreitetes System aus Sowjetzeiten mit 20 Kilometern Reichweite. Der entscheidende Vorsprung der Ukrainer lag in dem von den Russen unbemerkten Aufspüren des Ziels, dann in der Echtzeitkontrolle des Angriffs.

Die ukrainischen Kämpfer bekommen an solchen Stellen Hilfe von ihren amerikanischen Freunden. Wie die „New York Times“ berichtet, gab US-Präsident Joe Biden schon zu Beginn des Krieges grünes Licht dafür, mit den Ukrainern etwa militärische und zivile Satellitendaten sowie abgehörte Funksprüche der Russen zu teilen, und zwar in Echtzeit. Von „real time battlefield intelligence“ ist in Militärkreisen die Rede.

Paul Nakasone

US-General Paul Nakasone

Im Nato-Hauptquartier in Brüssel wurde darüber nie laut gesprochen – unter vorgehaltener Hand aber schon. „Wir lesen und hören ganz gut mit“, hieß es schon Ende Februar mit Blick auf die russische Armee – deren Codes die westlichen Geheimdienste offenbar immer wieder knacken, egal wie oft sie geändert werden.

Eine Schlüsselrolle beim Durchstoßen feindlicher digitaler Sperren spielen die Spezialisten der National Security Agency (NSA), beheimatet in Fort Meade, Maryland. Ihr Hauptquartier, „Crypto City“ genannt, arbeitet Tag und Nacht daran, jede Verschlüsselung der Welt auseinanderzunehmen, notfalls unter Zuhilfenahme von Quantencomputern und künstlicher Intelligenz.

Biden, verärgert durch aggressive russische Cyberaktivitäten in den letzten Jahren, hat das Kommando über die NSA dem US-General Paul Nakasone anvertraut – und ihn in Personalunion zum Oberbefehlshaber der Cyberabwehr sämtlicher amerikanischer Streitkräfte rund um den Globus eingesetzt. Diese Massierung und Verzahnung digitaler Kompetenz in den USA ist neu – und eine schlechte Nachricht für Moskau.

Feuer auf Lastwagen Nummer fünf

Geheimdiensterkenntnisse können für Soldaten auf dem Schlachtfeld eine sehr konkrete Hilfe bedeuten und im Extremfall sogar die Kräfteverhältnisse verschieben. So waren die zahlenmäßig wie waffentechnisch unterlegenen ukrainischen Verteidiger verblüffend gut darauf vorbereitet, dass die Russen gleich in den ersten Tagen versuchen würden, den Flughafen Hostomel bei Kiew einzunehmen. Putins Truppen wurden hier in unerwartet lange und verlustreiche Kämpfe verwickelt.

Wolfgang Richter, Militärexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, warnt aber vor einer Überbewertung der amerikanischen Geheimdienstdaten. „Entscheidend bleibt ja, was die Ukrainer daraus machen“, sagt Richter, selbst Oberst a.D., im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Zudem besorge sich die ukrainische Armee inzwischen mehr denn je Informationen über die andere Seite von eigenen Spionen. Am Ende laufe alles auf eine „von Fall zu Fall unterschiedliche Mischung von Faktoren“ hinaus.

Viele Phänomene auf dem Schlachtfeld sprechen jedenfalls für tiefe Einblicke der ukrainischen Verteidiger in Pläne und Aktivitäten der russischen Angreifer.

Fuhren russische Konvois über Land, nahmen die Ukrainer unter fünf gleich aussehenden Lastwagen ausgerechnet den unter Feuer, der Explosives an Bord hatte, Munition oder Benzin etwa – die Russen rätselten später, ob das alles Zufall sein könne. Waren ihre Funksprüche abgehört worden? Blickte jemand gar in die Verladedaten? Oder hatte da eine Spionagedrohne Aufnahmen gemacht?

Wie konnte das russische Flagschiff Moskwa versenkt werden?

Ein Mysterium bleibt auch, wie es der Ukraine gelingen konnte, mit einem einzigen, mühelos erscheinenden Raketenangriff die Moskwa zu versenken, das Flaggschiff der russischen Marine im Schwarzen Meer. Die Moskwa trug moderne Marschflugkörper und war mit allerlei Raketenabwehrsystemen ausgestattet, sie sollte auch den Schutz vieler anderer russischer Schiffe garantieren. Am 13. April jedoch fuhr die Moskwa nach Beschuss durch zwei ukrainische Neptun-Raketen zum Meeresgrund, zuvor war ihre Besatzung durch eine von den Ukrainern gesteuerte Bayraktar-Drohne türkischer Bauart abgelenkt worden.

Genügte ein so simpler Trick, um den maritimen Stolz Russlands im Schwarzen Meer zu versenken? Hatten amerikanische Satelliten oder Spionagedrohnen vielleicht noch Details jenseits der bloßen Position des Schiffes aufgespürt, etwa Hinweise auf vorübergehende elektronische Fehlfunktionen an Bord?

Risiken einer Eskalation

Wie detailreich die aus den USA an die Ukraine weitergebenen Daten waren und sind, behält Washington prinzipiell für sich. Man diskutiere an dieser Stelle nicht über Einzelheiten, sagt John F. Kirby, Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Er belässt es bei einer allgemeinen Formel: „Die Ukrainer bekommen Informationen, die sie nutzen können, um sich selbst zu verteidigen.“

Der US-Fernsehsender NBC berichtete, die USA hätten das Schiff auf Nachfrage des ukrainischen Militärs als „Moskwa“ identifiziert und bei der Lokalisierung geholfen. Kirby betont: „Wir beteiligen uns nicht an den Zielentscheidungen des ukrainischen Militärs.“

Die geheimen Hilfen der USA für die Ukraine bleiben unsichtbar, sie wirken nur indirekt, und man kann sie jederzeit leugnen. Dennoch sind sie in ihrem Effekt tödlich. Dass dies die Wut im Kreml über den Westen steigern könnte und insofern das Eskalationsrisiko steigt, ist der Regierung in Washington bewusst. Mit Blick auf die toten russischen Generäle betonte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Washington habe „niemals Daten in der Absicht weiter gegeben, dass sie zur Tötung russischer Kommandeure verwendet werden“.

Demonstratives Achselzucken als Machtbeweis

Doch auch in dieser Erklärung liegt, bei allem demonstrativen Achselzucken, ein Machtbeweis. Konkrete Tötungsabsichten hin oder her: Die USA machen deutlich, dass sie auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz auch ohne eigene physische Truppenpräsenz jedes Detail im Blick und im Griff haben.

Schon die Zuordnung bestimmter Personen zu bestimmten Geo-Daten genügt nun mal den Militärs in der Ukraine für ferngelenkte Attacken. Nach der Fülle widerwärtiger Übergriffe russischer Soldaten auf die ukrainische Zivilbevölkerung entschied sich Kiew, Pech für Putin, im Zweifel für den Beschuss.

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Im militärischen Funkverkehr der Russen kam es immer wieder zu rätselhaften Störungen. Begingen russische Offiziere daraufhin den Fehler, auf reguläre Mobiltelefone auszuweichen, konnte dies ihr schnelles Ende bedeuten: Man kann die Geräte orten und die Geodaten zu Zieldaten machen.

Im Juni dürfte sich etwas drehen

Wie nun weiter? Die Ukraine leistet ihren Widerstand bislang nach der Formel: alte Waffen plus neue Informationstechnologie. Schon diese Kombination hat dazu geführt, dass Putins Truppen an vielen Stellen nicht mehr weiter kamen.

Die derzeit laufenden westlichen Waffenlieferungen werden jedoch zu einer neuen Formel führen: neue Waffen plus neue Informationstechnologie. Die Ukraine wird von da an auf ihrem eigenem Territorium nicht mehr durch die Mittel eines konventionellen Landkriegs besiegbar sein. Im Juni wird sich etwas drehen: Angesichts von Switchblade-Drohnen und einer deutlich leistungsfähigeren und besser vernetzten Artillerie westlichen Standards dürfte die Ukraine dann ein gefährlicher Ort werden für jeden, der noch in ein russisches Militärfahrzeug steigt.

Vor diesem Hintergrund wächst derzeit bei den westlichen Diensten die Sorge, Putin könne sich endgültig in die Ecke gedrängt sehen und geneigt sein, sich durch eine demonstrative Atombombenexplosion, etwa über der Ostsee, neuen Respekt zu verschaffen.