FleischindustrieWerkverträge: Das System moderner Sklaverei brechen
- Lange Zeit haben Politik und Gesellschaft den Zustand der deutschen Fleischindustrie entweder übersehen oder ignoriert.
- Hauptsache, die Fleischwurst im Supermarkt kostet keinen Euro zu viel.
- Daran will die Bundesregierung etwas ändern. Aber ein Verbot der Werkvertragform recht nicht, findet unser Autor.
Die Redewendung „ein Brett vorm Kopf haben“ drückt aus, dass jemand etwas Offensichtliches nicht kapiert. Ihr Ursprung liegt darin, dass Bauern früher ihren Ochsen für die Feldarbeit ein Kopfgeschirr mit einem Brett vor den Augen verpasst haben. Der Ochse hielt gerade deshalb die Spur, weil er um sich herum nichts mitbekam.
Manchmal möchte man einfach ein Brett vorm Kopf haben. So ging es weiten Teilen von Politik und Gesellschaft lange mit den Zuständen in der deutschen Fleischindustrie. Es ist nicht so, als sei die Ausbeutung von osteuropäischen Mitarbeitern ein Geheimnis gewesen. Doch bis zu den massenweisen Corona-Ausbrüchen unter anderem im Unternehmen von Clemens Tönnies haben viele Politiker und auch Konsumenten lieber weggesehen. Hauptsache, der Fleisch- und Wurstpreis im Supermarkt blieb billig.
Corona-Krise öffnete ein Fenster zur Lösung
Jetzt endlich hat die Bundesregierung sich aufgerafft, etwas zu ändern. Die Pläne sind weitreichend – und das ist auch richtig so: Es wird verboten, Fremdpersonal im Kerngeschäft der Fleischindustrie einzusetzen. Im kommenden Jahr ist dort Schluss mit Werkverträgen, stattdessen ist der Schlachthofbetreiber für die Arbeitnehmer selbst zuständig. Das ist dringend notwendig, um klare Verantwortlichkeiten sichtbar zu machen.
Das Gesetz, das vom Bundeskabinett jetzt auf den Weg gebracht worden ist, bricht mit einem System moderner Sklaverei in der Fleischindustrie, das 16-Stunden-Tage unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen mitten in unserem Land möglich gemacht hat. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Änderungen, auch gegen anfängliche Widerstände in Teilen der Union, durchgesetzt. Die Corona-Krise hat ein Fenster zu einer Lösung geöffnet, die vorher in der Koalition politisch nicht durchsetzbar war. Er hat diese Chance erkannt und genutzt.
Fleisch wird teurer, aber nicht unbezahlbar
Das, was folgt, wenn die neuen Regeln tatsächlich beschlossen und in Kraft sind, wird mühsames, aber ebenso wichtiges Alltagsgeschäft sein. Die Länder müssen eine einheitliche, verbindliche und vor allem auch an hinreichender Häufigkeit orientierte Kontrollquote Wirklichkeit werden lassen.
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Es ist ein schlüssiges Szenario, dass Fleisch in der Folge etwas teurer wird. Zu einem unbezahlbaren Luxusgut wird es dadurch aber noch lange nicht. Es geht um grundlegende Mindeststandards. Derjenige, der das Wurstbrot isst, soll sich nicht dafür schämen müssen, wie an der Herstellung beteiligte Menschen leben und arbeiten. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen sind ohnehin nur eines der Probleme, wenn wir über Fleisch und seinen Preis sprechen. Die Deutschen müssen auch darüber reden, welche Folgen die Massenproduktion für die Tiere hat. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat darauf hingewiesen, es gebe „kein Recht auf superbilliges Fleisch, sondern auf eine gesunde Ernährung“. Er hat Recht.