Wichtige Rohstoffe gehen zur Neige„Ein Desaster für die kommenden Generationen“
- Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende – fast alle großen Modernisierungsvorhaben hängen an seltenen Bodenschätzen. Doch die gehen zur Neige.
- Thomas Seifert, Professor an der TU Bergakademie Freiberg, sagt: „Wenn wir nicht umgehend ernsthaft recyceln, ist das Ganze für die kommenden Generationen ein Desaster.“
- Doch steht das irgendwo auf der politischen Agenda? Lesen Sie hier die ganze Geschichte.
Im Grunde scheint alles einfach. „Wir bauen die Kernkompetenzen für Batteriezelltechnik auf“, sagt Herbert Diess in die Kamera. „Bei der Chemie, den Rohmaterialien, beim Laden ...“ Der VW-Chef hastet im Stakkato weiter durch die Konzernstrategie und ist über die Klippe, bevor jemand daran hängen bleibt: Rohmaterialien. Sie sind knapp, teuer, oft von fragwürdiger Herkunft.
Es wird überhaupt nicht einfach
Viele Rohstoffpreise sind in der Pandemie extrem gestiegen, weil die Förderung nicht so schnell wieder in Gang kam wie die Nachfrage. Größtenteils dürfte sich das in den nächsten Monaten wieder einpendeln, aber einige werden nach Überzeugung von Experten oben bleiben. „Die aktuelle Situation wirkt wie ein Brennglas auf die langfristigen Herausforderungen“, sagt Sarah Hillmann, Rohstoffexpertin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Durch Digitalisierung, Energiewende, E-Mobilität und weitere Zukunftstechnologien ändert sich der Rohstoffbedarf langfristig.“
Viele Branchen stecken im gleichen Dilemma wie die Autobauer. Sie entwickeln Technologien für Klimaschutz oder Digitalisierung, entwerfen Visionen von himmelblauer Reinheit – und brauchen Stoffe wie Grafit, Kobalt oder Lithium. Ar cha isch, schmutzig, begrenzt verfügbar. „Bodenschatz – das sagt doch eigentlich alles“, sagt Thomas Seifert, Professor an der TU Bergakademie Freiberg: „Den gibt es einmal. Wenn er weg ist, ist er weg.“
Nach einer aktuellen Studie der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) könnten Materialien der entscheidende Engpass für viele Zukunftstechnologien werden. Die Wissenschaftler haben mehrere Szenarien durchgerechnet und warnen, dass bei einem Dutzend Rohstoffen Mangelwirtschaft drohe. Im Lauf der nächsten zwei Jahrzehnte könnte der Bedarf „deutlich über dem heutigen Produktionsstand liegen“.
Auf der Dera-Liste finden sich zum Beispiel Neodym und Disprosium, Metalle, die für Magnete gebraucht werden. Ohne dieses Allerweltsteil funktioniert kein Elektromotor und kein Generator, der hinter dem Windrotor Strom erzeugt. Neodym steckt auch in Sensoren für autonom fahrende Autos, der Bedarf dürfte sich verdoppeln.
Für die Festplatten in Rechenzentren kommen Ruthenium und Platin zum Einsatz. Die Verfahren zur Wasserstoffelektrolyse, das ein Kernstück sauberer Energieversorgung werden soll, verwenden zum Beispiel Iridium und Scandium. Überall wird sich der Bedarf an den kostbaren Metallen der Dera-Prognose zufolge in den nächsten 20 Jahren vervielfachen – je nach Stoff und Szenario auf das Doppelte oder auch das 19-Fache. „Die Liste der kritischen Rohstoffe wird immer länger“, sagt BDI-Expertin Hillmann.
Sogar Kupfer ist ein Thema
Dera-Chef Peter Buchholz rät den Unternehmen zur Wachsamkeit. Sie sollten ihre Lieferbeziehungen „durchleuchten, Schwachstellen identifizieren und mit den Zulieferern Strategien erarbeiten, wie sie sich vor Ausfällen und starken Preisvolatilitäten schützen können“.Das gilt nicht nur für exotische Materialien. In Zukunft wird sehr viel mehr Strom transportiert – und der beste Stromleiter ist Kupfer. „Kupfer ist in der Tat ein Thema“, sagt Cornelia Müller vom Hamelner Maschinenbauer Lenze. Angesichts der Knappheit sei oberstes Ziel, die Produktion langfristig zu sichern. Also werde schon der Bedarf bis 2022 bestellt, „trotz der höheren Kosten“.
Der jahrelang relativ stabile Kupferpreis ist heute ungefähr doppelt so hoch wie vor der Corona-Krise. Der Preis von Lithium, das nicht an der Börse gehandelt wird, hat sich nach Angaben des Analysehauses CMC Markets seit dem Frühjahr 2020 verdreifacht und weit über dem früheren Niveau etabliert.
Die Kapitalanleger sind längst aufgesprungen, mit dem Stichwort „Lithium“ kann man großen und kleinen Spekulanten derzeit viel verkaufen. Manche sehen schon den nächsten „Superzyklus“ kommen – Jahre, in denen mehr oder weniger alle Rohstoffpreise nachhaltig steigen.
Schwankungen auf dem Rohstoffmarkt
Der Rohstoffmarkt ist für seine Schwankungen bekannt. Doch der Bedarf der neuen Technologien gibt dem Thema eine strategische Dimension. Die Bundesregierung hat 2020 ihre zweite Rohstoffstrategie vorgelegt, auf die erste von 2010 geht die Dera-Gründung zurück. Die EU-Kommission hat im Herbst eine Rohstoffallianz geschmiedet. Doch die Möglichkeiten der Regierungen sind begrenzt. „Die Rohstoffversorgung ist primär eine Aufgabe der Wirtschaft“, sagt Hillmann. „Die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.“
Geklärt ist nun zumindest der Lithiumbedarf. Die EU hat ihre Klimapläne so forciert, dass sie nur mit Batterieautos zu erfüllen sind, China ist auf dem gleichen Weg, die USA folgen gerade. Also übertreffen sich die Hersteller mit Ankündigungen zur Elektromobilität. Schon 2022 werden Millionen Batteriefahrzeuge von den Bändern rollen, ab 2030 wird der Verbrennungsmotor zum Nischenprodukt.Und in jedem Elektroauto steckt ein Lithium-Ionen-Akku.Ein Jahrhundert lang wurde Lithium im Auto nur an einer Stelle gebraucht: für die Herstellung der Glasscheiben. Nun wird es auch im Fahrzeugboden lagern, wo meist die Batterie untergebracht ist. Nach Rechnung der Dera wird der Bedarf 2040 rund das Sechsfache der bisherigen Jahresproduktion ausmachen. Was die Wissenschaftler vor wenigen Monaten noch als Maximum eingeschätzt haben, dürfte schon bald überholt sein. Allein in Europa hat das Center Automotive Research (CAR) im vergangenen November 20 geplante Batteriefabriken gezählt – ebenfalls eine überholte Zahl. CAR-Chef Ferdinand Dudenhöffer sagt der Branche ernste Versorgungsprobleme voraus.
Längst sind die Einkäufer im Auftrag der Weltkonzerne auf dem Globus unterwegs. Lithium ist nicht knapp, aber ungleich verteilt: Es lagert vor allem in australischem und südamerikanischem Boden. Größere Vorkommen und vor allem die Industrie für die Weiterverarbeitung gibt es zudem in China. Nach einer Dera-Studie von 2017 hat China zwar nur 6 Prozent Anteil an der Rohstoffförderung, aber 40 Prozent an der Weiterverarbeitung.
Das schafft politische Abhängigkeiten. Eine neue „Rohstoffaußenpolitik“ wünscht sich Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, da. Doch auf die können die Hersteller ebenso wenig warten wie auf die Erschließung alternativer Quellen.
Im erzgebirgischen Zinnwald etwa hat TU-Professor Seifert jahrelang ein Lithiumvorkommen untersucht, das die Deutsche Lithium GmbH bald ausbeuten will. Doch einen Starttermin gibt es noch nicht. „So ein Vorkommen gibt es wahrscheinlich in ganz Europa nicht noch einmal“, sagt Seifert. Die Förderung unter Tage wäre „umweltmäßig vorbildlich“.Das ist das größte Manko der Vorkommen im „Lithium-Dreieck“ von Chile, Argentinien und Bolivien. „In Südamerika wird das wenige Wasser in der Atacamawüste für die Lithiumgewinnung verbraucht, und uns verkauft man es dann als grüne Technologie“, sagt Seifert.
Eine Frage der Menschenrechte
Nichts fürchten die Autokonzerne mehr als solche schmutzigen Flecken auf der sauberen Technologie. Ihre Lieferanten müssen Zertifikate über die Herkunft von Rohstoffen und die Produktionsbedingungen mitliefern, Standards zum Beispiel der Initiative for Responsible Mining Assurance müssen nachgewiesen werden. Spezialisierte Prüfagenturen haben Hochkonjunktur.
Standards schwer zu kontrollieren
Denn Standards sind schnell aufgeschrieben, aber schwer zu kontrollieren. „Wir beziehen direkt keine Rohstoffe“, sagt VW-Einkaufsvorstand Murat Aksel, aber „bis hin zur Quelle“ werde die Lieferkette kontrolliert. Sie kann neun Stufen haben, und als der Konzern jüngst seine Rohstoffversorgung unter die Lupe nahm, hörte er von mehr als 1000 Unternehmen in der eigenen Lieferkette zum ersten Mal.
Im neuen Managementsystem werden 16 Rohmaterialien überwacht. Für die Batterieproduktion sind Kobalt, Lithium, Nickel und Grafit dabei. Es geht aber auch um sogenannte Konfliktmineralien aus Bürgerkriegsgebieten: Zinn, Tantalum, Tungsten, Gold. Kinderarbeit, Unterstützung von Guerillagruppen, gefährliche Arbeitsbedingungen – die Liste der überwachten „Menschenrechtsrisiken“ ist lang.
Wer gegen Konzernregeln verstößt, soll zur Verhaltensänderung gedrängt oder notfalls als Lieferant aussortiert werden. Noch laufen die Analysen, aber in einem Fall scheint die Industrie die Hoffnung aufgegeben zu haben. „Die Undurchsichtigkeit der Kobaltlieferkette stellt für sich genommen ein ernstes Risiko dar“, heißt es im VW-Rohstoffreport 2020.
Große Reserven im Kongo
Die weitaus größten Reserven liegen in der unruhigen Demokratischen Republik Kongo. Von Tesla über Daimler bis VW wollen deshalb alle Autohersteller den Kobaltgehalt in den Batterien drastisch reduzieren. „Aber Lithium als Grundbaustein kann nicht ohne Weiteres reduziert werden“, sagt VW-Einkaufschef Aksel.
Wissenschaftler Seifert hält die Erschließung neuer Lagerstätten ohnehin nicht für den Königsweg. Er wünscht sich ein „riesengroßes Recyclinginstitut in Europa“, das die Wiederverwertung von Material aus Batterien, Solarzellen, Magneten, Computern und Windkraftanlagen voranbringt. „Langfristig muss eine Kreislaufwirtschaft das Ziel der EU-Politik sein“, schreibt auch das Öko-Institut in einer Rohstoffstudie.
Auch hier suchen die Autohersteller Lösungen und versprechen für die Zukunft nahezu geschlossene Materialkreisläufe. Spezialisten wie der Recyclingkonzern Umicore beherrschen die Technik, VW hat in Salzgitter bereits mit einem Pilotprojekt für Batterierecycling begonnen.Um Minenrohstoffe im großen Stil zu ersetzen, fehlt allerdings das Nötigste: alte Batterien. Die kleinen Akkus aus Handys und Laptops landen zumeist im Müll. Und bis Autoakkus massenhaft ausrangiert werden, vergehe noch ein Jahrzehnt, sagt VW-Chef Diess.
Doch nach Seiferts Überzeugung führt kein Weg daran vorbei: „Wenn wir nicht umgehend ernsthaft recyceln, ist das Ganze für die kommenden Generationen ein Desaster.“