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Zwischen Genie und WahnsinnWie Tesla-Chef Elon Musk Deutschland aufmischt

Lesezeit 7 Minuten
Elon Musk Genie und Wahnsinn

Der Technik-Guru Elon Musk hat für Twitter ein Angebot abgegeben.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstbewusstsein und Größenwahn. Und niemand tanzt auf diesem Grat so virtuos wie Elon Musk, Tech-Milliardär, Autobauer, Raumfahrtpionier und Ein-Mann-Dampfkapelle der digitalen Revolution. „Hiermit fordere ich Wladimir Putin zum Kampf - Mann gegen Mann“, protzte er jüngst auf Twitter. Der Einsatz: „die Ukraine“.

Musk und Putin liefern sich Schlagabtausch via Telegram

Natürlich kam es nie zum Duell des russischen Autokraten (1,69 Meter) gegen den südafrikanisch-kanadisch-amerikanischen Tesla-Gründer (1,84 Meter). Dafür biss „Putins Bluthund“ an, der tschetschenische Diktator Ramsan Kadyrow: Er lästerte via Telegram über die „zarte Elona“. Musks Antwort: Wenn Putin den Kampf scheue, werde er nur seine „linke Hand benutzen“. Grüße von „Elona Musk“.

Es dürfte eine Woche nach Musks Geschmack gewesen sein: Erst ein keckes Digitalscharmützel mit Europas Diktatoren, dann ein Besuch seiner Space-X-Raketenbasis in Texas und am Dienstag schließlich die Eröffnung seiner übermütig „Giga-Factory“ getauften Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin, die größte Industrieansiedlung im Osten Deutschlands seit der Wende. Gewiss war es geschmacklos, den blutigen Krieg in der Ukraine für einen seiner kryptischen PR-Stunts zu missbrauchen. Stilfragen aber scheren diesen Mann, der die Welt in glühende Anhänger und leidenschaftliche Zweifler spaltet, kaum.

„Tesla-Zauber“ in Brandenburg

Zwei Jahre nur dauerte der Bau der ersten Tesla-Fabrik in Europa. Ein Siebtel der Bauzeit des Berliner Flughafens. 500.000 Elektroautos sollen hier eines Tages pro Jahr vom Band rollen, zusammengeschraubt und -geschweißt von 12.000 Mitarbeitern. Steffen Kammradt, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Brandenburg, sprach von einem regelrechten „Tesla-Zauber“, der 30 Jahre nach der Einheit in dem strukturschwachen Bundesland nun endlich sein segensreiches Wirken entfalte. Ministerpräsident Dietmar Woidke feierte den Anlass gar als „Sonnenstrahl in dunklen Zeiten“.

Tesla-Zauber. Sonnenstrahl. Es ist das vertraute Erweckungsvokabular, das den 50-jährigen „Clown, Genie, Provokateur, Visionär, Industriellen und Showman“ (“Time Magazine“) auf Schritt und Tritt begleitet. Musk, der Marketingfuchs mit dem Heiligenschein und der Gelassenheit des Siegers, ist an rote Teppiche und unterwürfige Standortpolitiker gewöhnt. Er kam, sah - und überlistete den deutschen Regulierungsstaat.

Musk lachte hämisch über Laschet

Man darf bezweifeln, dass es einem Unternehmer ohne Musks sorgsam gepflegte Macher-Aura, ohne den Ruf eines milliardenschweren Silicon-Valley-Magiers gelungen wäre, unter Zuhilfenahme vieler Millionen Steuereuros in Rekordzeit mitten in einem Wasserschutzgebiet eine gigantische Fabrik in den märkischen Sand zu setzen.

Tesla Model Y 220322

Ein Tesla Model Y verlässt das Werk in Grünheide.

Musk jedoch spielt nach seinen eigenen Regeln und hat die geldwerte Gabe, sich jene untertan zu machen, die seinen Interessen nützen. Unvergessen sein durchaus hämisches Lachen, als der unglückliche CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet bei einem gemeinsamen Baustellenbesuch in Grünheide etwas von „Wasserstoff“ als Zukunft des Automobilantriebs stotterte. Wasserstoff? „Zeitverschwendung!“, blaffte Musk. Und lachte sein diabolisches Musk-Lachen, das immer ein bisschen klingt wie eine rachitische Eule. Laschet nützte ihm nichts. Und er zeigte es.

Digitales Knowhow als Rohstoff der Zukunft

Es sind solche Auftritte, die den Verdacht nähren, Musk könne nicht nur ein begabter Scharlatan sein, sondern entziehe sich möglicherweise gewissen Kriterien des normalen Menschseins. „Ist er verrückt?“, fragte die Tech-Expertin Kara Swisher, die ihn persönlich kennt, in der „New York Times“. „Nein, ist er nicht.“ Musk sei „lustig, unhöflich, fesselnd, unausstehlich, zugänglich, leicht zu handhaben, schwer zu handhaben, immer erreichbar, unverblümt, wütend, charmant, intensiv und auffallend selbstbewusst“ - aber eben nicht verrückt. „Gute Ideen“, sagte Musk selbst einmal, „sind zu Beginn immer verrückt, bis sie es am Ende nicht mehr sind“.

Und nun also staunt Deutschland über diesen seltsamen Selfmade-Krösus aus Amerika, der sich geriert wie ein nervöser Konfirmant in der künstlichen Pose eines Rocksuperstars. Und der dieser in Bürokratie erstarrten Nation der rauchenden Schlote und kohlegetriebenen Dampfhämmer mal eben zeigt, wie kalifornische Coolness geht.

Man ahnt hierzulande, dass digitales Knowhow der Rohstoff der Zukunft ist - den Weg dahin aber lässt man sich mangels eigener Inspiration von US-Pionieren wie Musk weisen, obwohl deren Antrieb gewiss nicht reiner Gemeinschaftssinn ist. Die Bilder der brandenburgischen Politelite, die den Heilsbringer aus Übersee bei der Fabrikeröffnung in Grünheide in geradezu devoter Verehrung umschwänzelte, ließen keinen Zweifel daran, wer in diesem Konzert die erste Geige spielt.

Steve Jobs hinterließ eine Guru-Lücke

Seit dem Tod des kultisch verehrten Apple-Vordenkers Steve Jobs rangelte ein halbes Dutzend Möchtegern-Gurus um seine spirituelle Nachfolge als visionärer Superheld der Digitalrevolution. Darunter waren Amazon-Chef Jeff Bezos, Facebook-Chef Mark Zuckerberg, Uber-Gründer Travis Kalanick, Google-Mitgründer Larry Page und Musk.

Sie alle haben eines gemeinsam: Sie wollen nach abgeschlossener Vermögensbildung mehr sein als reiche Firmenlenker. Sie wollen Visionäre sein. Propheten. Weltveränderer. Die Welt retten – darunter machen es die coolen Kids aus dem Silicon Valley nicht. Und so peppen sie ihr irdisches Treiben wie Musk gern mit einem theologisch-visionären Überbau auf. Irgendwann, wenn die Geldspeicher voll sind, entwickeln sie einen geradezu bizarren Erleuchtungsdialekt. New Age trifft New Business.

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Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung des Tesla-Werks.

Am Ende war es dann Musk, dem die Rolle des digitalen Heilands zufiel. Warum? Weil er die Hybris und fröhliche Zukunftsbesoffenheit des digitalen Erneuerers am glaubwürdigsten verkörpert und schlicht der begabteste Entertainer ist. Seither unterhält er seine knapp 80 Millionen Follower bei seinem emotionalen Überdruckventil Twitter mit gehobenem Trollmaterial. „Genies werden von der Gesellschaft oft abgelehnt“, twitterte er am Wochenende - dazu das Bild zweier intelligent zerschnittener Pizzen in einem Backofen.

Musk zeigt sich angriffslustig in den sozialen Medien

Sein Twitterprofil wirkt zeitweise wie das eines kichernden Teenagers, der statt analoge Stinkbomben in Briefkästen zu stecken digitale Teufeleien in alle Welt schießt. Er piesackt Putin, er wirbt für Bitcoin, er irritiert Aktienbesitzer mit Privatisierungsgerüchten, er lästert über die Börsenaufsicht, twittert Hundebilder und ätzt gegen die Konkurrenz („Wenn Du es bei Tesla nicht schaffst, arbeite halt bei Apple.“) Teile seiner Anhängerschaft nennen ihn „Papa Elon“ und verteidigen sein Tun in den sozialen Medien mit quasireligiöser Inbrunst. Kritik an Musks kapitalistischer Eiseskälte tut man dort gern als letztes Aufbäumen einer untergehenden analogen Welt ab.

Musk selbst genießt auch in Grünheide sichtlich die Freiheit des Narren. Rückschläge? Streift er schnell ab. Sein 2021 eröffnetes „Las Vegas Convention Center Loop“, angekündigt als eine Art magische Menschenrohrpost mit selbstsausenden Sitzzellen, ist in Wahrheit nur ein Tunnel für von Menschen gesteuerte Tesla-Model 3-Autos. Aber wen würde es ernsthaft wundern, wenn der Mann morgen nach einem Frühstücks-Power-Smoothie aus Hanfprotein, Goldstaub und Eigelb verkündete, er wolle die Energie der schwarzen Löcher in der Milchstraße nutzbar machen? Im Tesla-Hauptquartier stehen Aristoteles-Zitate an den Wänden. Musk selbst, schrieb ein Biograf, sei der „da Vinci des 21. Jahrhunderts“.

Politik gegen kalifornischen Can-do-Spirit

Politik? Das ist für jemanden wie Musk nur lästige Kleinstaaterei, ein Bremsklotz auf dem Weg in die glückverheißende Technokratie. Debatten über Datenschutz, die Ausbeutung von Angestellten, ein Mangel an Brandenburger Grundwasser oder die Torpedierung von Gewerkschaften? Alles bloß Störgeräusche auf dem Weg ins digitale Arkadien.

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Diese Hybris, die Musk verkörpert wie kaum jemand sonst, kommt nicht von ungefähr. Geprägt vom kalifornischen Can-do-Spirit mit seinem fast zwanghaft optimistischen Mix aus hippiesker Maßlosigkeit und eiserner Technikgläubigkeit sehen sich die Leitmilliardäre nicht bloß als Treibriemen der digitalen Revolution, sondern gleich als Vorboten einer besseren Welt.

Sie fühlen sich als Pioniere eines der fundamentalsten Umbrüche in der Menschheitsgeschichte, vergleichbar nur mit der industriellen Revolution. Und sie wissen genau, wie viel cooler unerschütterliche Zuversicht wirkt gegenüber dem griesgrämigen Genörgel ihrer Kritiker.

Die IG Metall begrüßte die „Gigafactory“ überschwänglich

Selbst die IG Metall, bisher ein strenger Kritiker der Muskschen Hire-and-fire-Mentalität, begrüßte am Dienstag überschwänglich seine „Gigafactory“: „Zur Werkseröffnung gratuliere ich dem Unternehmen Tesla und seinem Gründer Elon Musk“, erklärte Birgit Dietze, Bezirksleiterin für Berlin, Brandenburg und Sachsen. „In Grünheide arbeiten die Beschäftigten als Pioniere der Elektromobilität in einem weltweit führenden Werk an der Antriebstechnik des 21. Jahrhunderts“.

„Die Formel für den Erfolg ist einfach“, hat Musk einmal in einem Interview gesagt. „Beginnen Sie etwas in dem Bereich, in dem Sie wirklich gut sind, stellen Sie Ihre Gewissheiten in Frage, reparieren Sie, was nicht funktioniert, und passen Sie alles an die Realität an.“ Die Frage ist nur: wessen Realität.

Sein nächstes Projekt: die Besiedlung des Mars„. Er sei „sehr enttäuscht“, sagte der 50-Jährige, wenn dieses Ziel zu seinen Lebzeiten nicht mehr erreicht werde. Und kein Zweifel: Wer die größte E-Auto-Fabrik Europas nach Brandenburg bringen kann, der kann auch Menschen auf den Mars bringen. (rnd)