AboAbonnieren

Zwei Monate Krieg in der UkraineZehn schlechte Nachrichten für Putin

Lesezeit 10 Minuten

Der russische Staatschef Wladimir Putin hat sich an allen Fronten festgefahren: militärisch, politisch, wirtschaftlich. Nun wird auch noch weltweit über seinen Gesundheitszustand spekuliert. Der Westen dagegen hat zu neuem Selbstbewusstsein gefunden.

Der 26. April war wieder mal kein guter Tag für Wladimir Putin. 40 Staaten, darunter Japan und Israel, waren soeben bei einer Konferenz übereingekommen, dass man noch mehr tun müsse, um der Ukraine in ihrem Widerstand gegen die illegale russische Invasion zu helfen.

Alles daran war aus Putins Sicht provokativ. Schon der Ort der Tagung: Ramstein, die größte amerikanische Militärbasis außerhalb der USA. Der Einladende: US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der in letzter Zeit immer so breitbeinig auftritt, wenn er über die Ausrüstung für die Ukraine redet. Sogar die deutsche Verteidigungsministerin, eine militärferne Sozialdemokratin, gab nun erstmals grünes Licht für Panzerlieferungen.

Für Putin ist es fast zum Verzweifeln. Hatte nicht sein Außenminister Sergej Lawrow noch am Vorabend ausdrücklich vor einem dritten Weltkrieg gewarnt? Hat denn niemand mehr Respekt vor Russland und seinen Drohungen?

Die Liste der schlechten Nachrichten für den russischen Staatschef ist lang. Es ist Zeit, sie mal wieder zu sortieren.

1. Putin steuert auf den „Worst Case” zu

Einmal mehr zeigt Putin, dass er große Probleme damit hat, sich auf die Realität einzulassen. Zu Beginn des Krieges sollte der Krieg gar kein Krieg sein, sondern nur eine Spezialoperation, schnell erledigt und nicht der Rede wert. Jetzt soll die ganze Sache geradewegs in einen Weltkrieg führen? In Wirklichkeit stimmt beides nicht.

Tatsache ist: Putin hat einen regionalen Krieg begonnen – dessen Konsequenzen sein Land jetzt tragen muss und den Russland auch dann verlieren wird, wenn die Nato sich intelligenterweise mit ihren eigenen Truppen weiter heraushält.

Waffenlieferungen sind im Fall der Ukraine nicht nur völkerrechtlich zulässig, sondern auch sicherheitspolitisch und ethisch geboten. Sie machen aus dem regionalen Krieg keinen Weltkrieg. Aber sie können, damit muss Russland leben, die Gewichte zugunsten der Ukraine verschieben.

Schon im März und April haben zum Beispiel Panzerabwehrraketen aus den USA (Javeline) und aus Schweden (NLAW) russische Panzereinheiten erheblich in Bedrängnis gebracht. Im Mai könnten Schwärme von bewaffneten amerikanischen Drohnen (Switchblade, Phoenix Ghost) sogar ein generelles Fragezeichen hinter die übliche russische Landkriegsstrategie setzen.

Keine direkte Beteiligung der Nato, aber Hilfe bei der Ausrüstung der Ukraine: Was erst als bloße Verlegenheitsstrategie des Westens erschien, entpuppt sich inzwischen als echtes Problem für Putin. Denn gerade dadurch droht ihm nun der worst case: eine Niederlage der angeblich ruhmreichen russischen Armee nicht etwa gegen die Nato, sondern gegen die Armee der Ukraine. Politisch könnte Putin ein solches Ergebnis wohl kaum überleben.

2. Generäle tot, Flaggschiff gesunken

Die russische Armee zeigt auch nach ihren diversen Umgruppierungen und mit großem Tusch vorgestellten neuen Zielvorgaben erstaunliche Schwächen. Drei Beispiele:

Am 14. April sank der Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, nach Beschuss durch ukrainische Raketen vom Typ Neptun. Damit ruht jetzt ein Schiff, das den russischen Staat 750 Millionen Dollar kostete und dessen Luftüberwachungssystem auch andere russische Schiffe hätte schützen sollen, auf dem Meeresgrund. Moskau verschleiert bis heute die genauen Abläufe beim Untergang ebenso wie die Zahl der Toten. Peinlicher geht es nicht.

Am 23. April griff Russland aus großer Entfernung die ukrainische Hafenstadt Odessa an, mit Marschflugkörpern, die aus Flugzeugen über dem Kaspischen Meer ausgeklinkt wurden. In Odessa kamen acht Menschen ums Leben, darunter eine über soziale Netzwerke auch im Westen bekannte junge Mutter und ihr drei Monate altes Baby. Der ukrainischen Armee gelang es aber interessanterweise, zwei russische Raketen rechtzeitig abzuschießen. Sollte sich die Tendenz zur wachsenden Abwehrfähigkeit der ukrainischen Luftwaffe fortsetzen, könnte dies im Laufe der nächsten Zeit die Übermacht der russischen Marine relativieren.

Am 24. April meldete die Ukraine die Zerstörung eines russischen Kommandozentrums südlich von Cherson, in dem sich 50 Offiziere aufhielten. Zwei Generäle starben, ein weiterer wurde schwer verletzt – nachdem bereits in den ersten Wochen des Kriegs sieben russische Generäle zu Tode kamen. Vorfälle wie dieser gelten als Hinweis auf militärische Inkompetenz: In allen Armeen der Welt wird die oberste Führung in besonderer Weise geschützt.

3. Die freie Welt verbündet sich

Relativ kurzfristig bat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin jetzt „gleichgesinnte Staaten“ zu einem Treffen auf die US-Basis Ramstein – Thema: Waffenhilfe für die Ukraine.

Für Putin war, unabhängig von allen Einzelergebnissen, schon das Zustandekommen des Treffens („Ukraine Defense Consultative Group“) eine schlechte Nachricht. Weil auch Japan und Israel teilnahmen, wurde deutlicher denn je, dass die Lage in der Ukraine kein reines Nato-Thema ist, sondern Staaten in der gesamten freien Welt zusammenführt.

Wer hätte das gedacht? Erstmals nimmt jetzt so etwas wie „eine globalere Nato“ Gestalt an, von der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schon seit Langem spricht. Putin macht‘s möglich.

4. Die Angst der Deutschen lässt nach

Man wolle „Putin nicht provozieren“ und auf keinen Fall „einen dritten Weltkrieg riskieren“ – so lautete bis vor Kurzem das zentrale Argument jener deutschen Politiker, die den Ukrainern keine schweren Waffen liefern wollten.

Inzwischen aber dreht sich bei vielen etwas. In der Berliner Ampelkoalition schoben die Grünen ein neues Denken an: Der Kriegsverbrecher Putin mache sowieso, was er wolle, man solle daher aufhören, seinen Vorgaben zu folgen, sondern lieber Festigkeit zeigen. Am Dienstag äußerte sich auch die sozialdemokratische Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in diesem Sinne: Deutschland werde der Ukraine Gepard-Panzer liefern und gemeinsam mit den Niederlanden und den USA ukrainische Soldaten auch an modernen Artilleriesystemen ausbilden. Nie zuvor zeigte Berlin dem russischen Präsidenten eine so klare Kante.

Deutschland tendiert eigentlich mehr als andere westliche Staaten zu Pazifismus und Ängstlichkeit. Doch auch hier hat Putin nun ein Umdenken zum Nachteil Moskaus bewirkt. Er wollte den Menschen Angst machen, durchs Testen von Atomraketen und auch dadurch, dass er die an den Massakern von Butscha beteiligten russischen Truppen auszeichnete. Doch er erregt inzwischen mehr Abscheu als Angst.

5. Frankreich wählt Macron

Über viele Jahre hinweg gab sich Putin große Mühe, die französische Rechtsextremistin Marine Le Pen zu fördern. Russische Banken spendierten ihrer rechtspopulistischen Bewegung Kredite, die korrupte Französin erklärte sich im Gegenzug mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim einverstanden.

Ein Sieg Le Pens bei den Präsidentschaftswahlen am 24. April wäre ein Sieg Putins gewesen, ein Stich ins Herz der im Kreml verhassten EU. Le Pen hatte in Aussicht gestellt, die im Kreml verhasste EU zu spalten und zu lähmen. Sie sagte zu, deutsch-französische Rüstungsprojekte zu stoppen. Und sie kündigte an, Frankreich aus der militärischen Integration der Nato herauszulösen – was die gerade bewirkte Verstärkung der Ostflanke des Bündnisses wieder hätte unterhöhlen können: Frankreich ist vor allem in Rumänien mit Truppen und Flugzeugen präsent.

Dieser Film läuft nun nicht. Die Franzosen gaben Emmanuel Macron 58,5 und Marine Le Pen 41,5 Prozent der Stimmen. Damit haben sie, Pech für Putin, Freiheit und Demokratie in ganz Europa gestärkt.

6. Slowenien wählt Golob

Auch in Slowenien gewann jetzt zum leisen Entsetzen Moskaus ein moderner Mann der Mitte die jüngsten Wahlen. Der Geschäftsmann Robert Golob, ein liberaler Grüner, verdrängt jetzt den rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Janez Janša.

Janša stand im Verdacht, mit dem moskaufreundlichen ungarischen Staatschef Victor Orban eine kleine prorussische Gruppe im Rahmen der EU-Staatschefs organisieren zu wollen. Ebenso wie Donald Trump zweifelte Janša wochenlang an der Rechtmäßigkeit des Wahlsiegs von Joe Biden in den USA. Und ähnlich wie Putin steht Janša mit dem „Liberalismus der EU“ auf Kriegsfuß.

Unter Janša ließ in Slowenien die Pressefreiheit nach, und die Korruption nahm zu. Nimmt man die Wahl Orbans mit hinein in die Wertung der jüngsten drei Entscheidungen in Europa, steht es zwei zu eins gegen Putinismus und Rechtspopulismus.

7. Zwei neue Nato-Mitglieder

Schon seit Jahren denken die bislang neutralen Staaten Schweden und Finnland über einen Beitritt zur Nato nach – jetzt wollen sie Nägel mit Köpfen machen: Der Antrag soll offenbar Mitte Mai eingereicht werden.

Dieser historische Dreh ist ein weiteres historisches Desaster für die russische Außenpolitik. Putin hat in den letzten Wochen noch einmal beide Länder ausdrücklich vor einem Beitritt zur Nato gewarnt. Gerade dadurch aber machte er aus Sicht der beiden Regierungschefinnen Magdalena Andersson (Schweden) und Sanna Marin (Finnland) die Sache noch dringlicher. Jüngste Verletzungen des finnischen und des schwedischen Luftraums durch russische Kampfflugzeuge steigerten lediglich die Aversion gegen Russland.

Als Putin am 24. Februar den Einmarsch in die Ukraine begründete, erwähnte er die Nato 40-mal und beklagte immer wieder deren Erweiterung durch neue Mitgliedstaaten. Der von Putin befohlene Krieg jedoch beschert dem Bündnis nun ironischerweise zwei neue, fitte Mitglieder.

Schweden und Finnland übrigens verfügen in militärischen Dingen über einen klaren Kompass. Früher als manche Nato-Staaten erkannten sie die Gefahr aus Russland. Schon im Januar ließ Schweden Panzer auf Gotland auffahren, um Annäherungen russischer Landungsboote zu kontern. Zur gleichen Zeit orderte Finnland sage und schreibe 64 Kampfflugzeuge vom Typ F-35 in den USA.

8. Partner China bleibt auf Distanz

Am 4. Februar stand Putin stolz in Peking an der Seite des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und verkündete eine russisch-chinesische Partnerschaft „ohne Grenzen“. Inzwischen stellt sich heraus: China hütet sich, Russland bei seinem Ukraine-Feldzug irgendeine konkrete Hilfe anzubieten.

Peking will nicht ebenfalls Objekt westlicher Sanktionen werden. Eine wie auch immer geartete Beschränkung des Handels kann China im Augenblick weniger gebrauchen denn je. Schon die massiven Corona-Lockdowns, etwa in der 25-Millionen-Einwohner-Stadt Shanghai, drücken derzeit massiv auf die Konjunkturerwartungen des Riesenreichs – das ohne Wachstum in eine ökonomische und auch machtpolitische Krise geraten könnte.

Schon die bloße Aussicht auf westliche Sanktionen führt derzeit zu einem Rückzug westlicher Investoren. Finanzinstitute sprechen von einem nie dagewesenen Abzug von Kapital aus China. In dieser Lage hört Peking wieder genauer hin, wenn USA und EU mehr Distanz zu Russland verlangen - und zum Ausgleich Handelserleichterungen in Aussicht stellen.

9. Russlands Wirtschaft im Sturzflug

Die Wirkung der westlichen Sanktionen dürfte sich in den kommenden Wochen erstmals auch in der russischen Realwirtschaft in größerem Maße niederschlagen. Allein in Russlands Hauptstadt sind 200.000 Jobs bedroht - dies ist keine missgünstige Vermutung des Westens, sondern Inhalt einer Mitteilung des Moskauer Bürgermeisters Sergej Sobjanin. Betroffen seien „Mitarbeiter ausländischer Unternehmen, die ihre Tätigkeit vorübergehend eingestellt oder beschlossen haben, Russland zu verlassen“.

Mit Mitteln der Russischen Föderation für Umschulungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bezahlt aus den laufenden Staatseinnahmen für Gas und Öl, soll jetzt versucht werden, die drohende Unruhe in Moskau zu dämpfen.

Westliche Fachleute weisen darauf hin, dass landauf, landab der Anteil künstlich am Leben erhaltener Strukturen in Russland laufend wachse – und dies nicht lange durchzuhalten sei. Auch der Ölsektor ist betroffen: Russland hat Schwierigkeiten, Versicherer und Reeder für Schiffstransporte zu finden. In beiden Branchen werden, wie etwa die Agentur Reuters unter Hinweis auf ein Beispiel aus Indien berichtet, globale „Reputationsrisiken“ befürchtet.

Russland selbst bietet für Investitionen alles andere als gute Bedingungen. Die Zinsen liegen bei 20 Prozent, weil die Zentralbank nur auf diese aberwitzige Art den Rubelkurs stabilisieren kann. An kreditfinanzierte Investitionen denkt naturgemäß in diesem Umfeld niemand. Die Inflationsrate in Russland betrug Mitte April 17,62 Prozent. Die offizielle Feststellung der internationalen Zahlungsunfähigkeit Russlands droht nach Einschätzung internationaler Ratingagenturen am 4. Mai. Derzeit läuft gerade noch eine 30-tägige sogenannte Gnadenfrist („grace period“).

10. Spekulationen um Putins Gesundheit

Schon seit vielen Jahren umgeben den russischen Präsidenten auf Schritt und Tritt Gerüchte über seinen Gesundheitszustand. In den letzten Tagen und Wochen gewannen die Debatten über dieses Thema in den sozialen Netzwerken eine neue Qualität. Millionenfach werden inhaltlich unwichtige Szenen wegen auffälliger Äußerlichkeiten heruntergeladen und betrachtet.

Vor allem zwei Videosequenzen beflügeln derzeit die Spekulationen.

Mit Lukaschenko Kurz vor einer Begegnung mit dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko geht Putins rechte Hand für kurze Zeit in eine unkontrollierte Zitterbewegung über. Zugleich scheint er Probleme mit dem rechten Bein zu haben. Beides wird von Putin so gut es geht überspielt.

Mit Shoigu Verdächtig erschien medizinischen Fachleuten wie Laien zuvor bereits eine Szene, in der Putin seinem Verteidigungsminister Sergei Shoigu gegenübersitzt und für die gesamte Dauer der Videoaufnahme (11 Minuten, 38 Sekunden) mit seiner rechten Hand die Tischkante anfasst.

Manche Fachleute deuten auf eine möglicherweise beginnende Parkinson-Erkrankung, andere tippen auf einen Schlaganfall. Spekulationen gab es auch nach Putins Teilnahme an einem Ostergotterdienst, in dessen Verlauf er sich immer wieder auf die Lippe zu beißen schien.

Die Gesundheit Putins wurde zu Beginn dieser Woche auch in Washington zum Thema, durch eine Journalistenfrage an Jen Psaki, die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, während der Livepressekonferenz im Weißen Haus.

Psaki ging routiniert in Deckung: Sie habe zur Gesundheit Putins „keine Bewertung oder einen bestimmten Kommentar“. Für den Betroffenen im fernen Moskau indessen ist es keine gute Nachricht, dass sein Zustand zum weltweiten Thema geworden ist.